"Wat is los? Wat wolln die? N' Forumstreffen irgenzwo inne Walachei? Karlsruhe? Spielt da nicht der Winnie Schäfer?"
Das Hirn des Trainers des FC Remscheid dreht Pirouetten. Soeben erst war ihm die Einladung zugeflattert, die er nun verständnislos betrachtet. Ob sich die Organisatoren - irgendein Karamelljunkie aus der Region - vorstellen können, wie viel Way zu tun hat. Andererseits: ein Kurztrip wäre eine willkommene Abwechslung vom Bergischen Schietwetter.
"Gut. Ich mach dat!", ruft er laut. Isabella, die Sekretärin, reagiert nicht. Sie ist solche spontanen Äußerungen gewohnt und meistens folgen denen sowieso keine weiteren Tätigkeiten. Way war einfach ein fauler Arsch ohne Manieren.
Jetzt war es aber anders.
"Bella, hau ma inne Tasten, ich muss ganz dringend nach Karlsruhe!", stürzt Way aus seinem Büro. Isabelle erschrickt, fängt sich aber bald.
"Gerne, Herr Way. Welche Reisedaten darf ich berücksichtigen.
Way wirft ihr den Ausdruck aus dem Forum auf den Tisch.
"Da hasse alles, watte brauchs. Ich fahr ma Bahn, dat wird bestimmt lustich. Und n'Hotel brauch ich auch. Eins nich weit vonne Innenstadt wech, weil ich da bestimmt gut wat tanke un dann nicht ständig auffe Fresse fliegn möchte, weil der Wech so weit is. Vier Sterne natürlich, mindestens. Un Frühstück, weil am Sonntag hab ich wahrscheinlich die Fresse dick vonne ganze Nörds, die ja auftauchen."
Isabelle nickte. Und bestellte.
Samstag. 1. Juli. Bahnhof Remscheid:
'Gut, hab ich dat schon ma geschafft: Ich sitz inne Bahn aufn Wech nach Düsseldorf. Da geht dann den ICE nach Mannheim, dann geht noch einer wech nach Karlsruhe. Angeblich is da ne Bombe irgenzwo im Hof. Bin nich sicher, ob die da einfach nur mörderedle Nutten ham oder ob damit ne richtige Bombe gemeint is. Egal. Die werden schon dafür sorgen, dat ich irgenzwie bei den auffe Matte lande. Der eine Typ da - wie nennt der sich? Irgenzwat mit Darm... ach nee, Käse sach ich: Daim! Wenn sich einer nennt wie diese strunzsüße Köttel, kanner ja nich alle Glocken im Turm ham - jendfall, der Köttel sacht, datter sich dafür stark macht, dat ich dann irgenzwie da ankomme. Verlass ich mich drauf getz. Dann brauch ich mch auch nicht umme ganze Verspärungen zu kümmern, die mir mein Schmartfon ständig am anzeigen is. Ignorier ich einfach.'
Es vergeht die Zeit. Schließlich, im ICE nach Mannheim, sitzt Way im Ruheabteil.
'Ker, wat hat sich dat Bella da nur bei gedacht. Die weiß doch, dat ich so früh morgens immer diese fürchterliche Blähungen durche Hose blasen muss. Ruheabteil, ey, echt ma. Hinterher werde ich hier rausgeschmissn, weil sich irgendne Omma beschweren muss. Aber dat is getz numma Risiko. Ich verklach die Bahn sonst wegen Diskrimierung vonne Darmkranken. Dat wär ja gelacht!'
Schließlich Anbindung nach Karlsruhe. Verspätungen haben sich so aneinander angeglichen, dass ich alle Verbindungen gut erreiche.
'Ich weiß natüllich, dat da einfach jemand inne Bahn sitzt, der sich der Bedeutung meiner Anwesenheit bewusst is. Als ob die Bahn sons pünktlich da wär. Selbst der Blindgänger hat sich davon gemacht, oder wurde gebucht, wat weiß ich. Bin getz aufm Wech nach Karlsruhe. Wat ich dabei hab: Kameraausrüstung vom feinsten. Man sacht ja, dat die Perlen unten in Baden vonne nette Sorte sein solln. Dat will ich ma dokumentiern. Un getz habe ich et auch in mein Hotel geschafft. Dat Mädel am Emfang da vorne kannte mich wohl nich. Naja. War ja auch noch jung. Und muss mich ja auch nich jeder kennen. Dat Zimmer von mich is auch oke. Hab mich erstma eingewöhnt: Hose aus und mitm Arsch lecker auffe Matratze gepflanzt. Hab noch n'halbes Stündchen, biss ich mich auffn Wech machen muss für die Nörds vonnem Forum. Ahhh, hellich. Schwitziger Arsch auf frische Laken. Gibt nix besseres."
Jetzt klingelt der Wecker. Way rafft sich mühselig auf. Mit Bedauern zieht er die Hose wieder an, schultert die Fotoausrüstung und betrachtet sich im Spiegel. Zufrieden nickt er sich selbst zu. Und macht sich auf den Weg.
'Karlsruhe, dat is also so, wiede aussehen tus. Naja. Hätteste Dich besser 'Karlsgrube' genannt. Hier hasse ja mehr Löcher als Du innem billigen Puff in Amsterdam findes. Baukräne un Absperrgitter. Ker, hömmich up, da is ja fürchterlich. Aber naja, bis ja nich wegen de Stadt hier, sonnern wegen de Nörds. Ma guckn. Scheiße, mir fällt ein: ich weiß gar nich, wie die alle aussehen. Gibtet n'Prototyp für Nörds? Keine Ahnung. Ach, die finden mich schon. Man kennt mich ja und et sin ja nich alle sonne Nixwisser wie dat Mädel anne Rezepzion.'
In der WhatsApp-Gruppe gibt man mir Recht. Ein User namens "DragonFox" schreibt:
[11:20, 1.7.2023]: Ich sitz östlich der Pyramide vor dem Modehaus Carl Schöpf, hinter den Blumen.
[11:25, 1.7.2023]: Der Henning oder ein sehr Henning ähnliche Mensch ist gerade vorbei gestampft.
[11:25, 1.7.2023]: Er steht hinter mir
'Alter! Wat soll DAT denn? 'Ein Henning ähnlicher Mensch'? Gibbet sowat überhaupt? Dat is ma starkes Stück! Den Kerl behälste aber ma im Auge, der is ja nich ganz dicht!'
Es treffen so nach und nach die anderen ein: Daim.
"Wat denn, is dat alles oder kommt da noch wat?"
"Wir erwarten noch den Basken", antwortet Daim. Seine Ausdrucksweise ist gepflegt, studiert. Sein Gesichtsausdruck: normal. Krampfhaft normal. So, als ob er sich irgendwie von Way distanzieren möchte.
"Wat is? Wer kommt da noch?"
"Dani. Der Baske."
"Wer is Dani?"
"Der Baske."
"Und Dani."
"Ja. Der Baske."
"Sachteste schon. Sieht Dani gut aus?"
"Keine Ahnung."
"Alter, die bestells 'ne Dani und weiß nich, ob die gut aussieht??"
"Nein. Dani
ist Der Baske."
"Watt denn? DAT ISSN KERL??"
"Ja."
"Hömma, ich dachte, hier gibtet Nutten. Un Koks. Aber vor allem Nutten!"
"Nein. Es kommt nur der Baske."
"Wieso kommt der dann, ohne Nutten? Ey! Sach nich, der is schwul!"
An dieser Stelle schweigt Daim. Ich mache mich auf das schlimmste gefasst. DragonFox deutet auf einen alten Mann.
"Vielleicht ist er das?"
"Wieso wegen die grauen Haare? Basken ham keine grauen Haare."
"Wie kommst Du da drauf?"
"Dat issn Gesetz. Die ham da keine Enzyme für."
Am Ende sind wir zu Dritt. Way beginnt, die Fotoausrüstung zusammenzusuchen, vor alle, um die Enttäuschung wegen der fehlenden Damen zu verbergen. Eifrig beginnt er, die umliegenden Sehenswürdigkeiten zu fotografieren. Daim, immerhin studierter Historiker, weiß viel über die Geschichte dieses Ortes zu erzählen. Way will schon unqualifizierte Kommentare abgeben, doch bemerkt er erstaunt, dass ihn die Informationen tatsächlich interessieren. Außerdem ist dieser Dragonfox ebenfalls ein sehr versierter Kommentargeber.
Schließlich tritt ein stämmiger, braungebrannter Mann an die Gruppe heran.
"Servus. I bin der Baske."
"Nimm ma die Kappe wech.", weise ich ihn an. Mit regungslosem Gesicht greift er nach seiner Armykappe mit Mainz 05-Logo (Amateure, pff) und nimmt sie vom Kopf. Darunter: sehr kurze, graue Haarstoppeln."
"Was für eine Schmach, lieber Henning", spottet DragonFox laut.
Die Runde bewegt sich, permanent examiniert kommentiert von Daim, durch die Karlsruher Baustellen. Schließlich steht sie vor einem Brauhaus. Daim, Fox und der Baske betreten das geschäft. Way sitzt bereits an einem Biertisch. Mit Bier.
Da macht einem echten Ruhrpottasi niemand etwas vor!
Die Runde labt sich an Schnitzel, Salat für Daim (der Vegetarier ist, meinem Essen also das Essen wegfrisst) und diversen Bieren und philosophiert genüsslich über Diverses, an das sich Way nicht mehr erinnern kann. Auch ein Ruhrpottasi sollte einen halben Liter Bier nicht wegstürzen, wenn die empfangende Grundlage im Magen nur zwei Schokoriegel sind, die er irgendwo tief im Fotorucksack gefunden hat.
Das Essen vertilgt, das Bier vernichtet, gibt Daim das Signal zum Aufbruch. Es geht Richtung Schloss. Way schaut sich irgendwann aber verunsichert um.
"Sach ma, Köttel... so sehn in Baden die Schlösser aus?"
Daim schaut sich um.
"Nein. Das ist die Uni. Hier arbeite ich."
"Ach so. Un ich wollte grad schon sagn, datt ich verstehen kann, warum man Euch hier als unterentwickelte Region betrachtet. Aber so..."
So ziehen sie weiter durch die schönsten Bauten, die die funktionale Architektur der Sechziger und Siebziger Jahre überhaupt nur hervorbringen konnte. Es öffnet sich ein weiter, grünbestreifter Weg, den wir langsam entlang wandern. Aus der Ferne vernehmen wir ein kurzes Sirenensignal. Der Baske zuckt zusammen, blickt sich wild um, schaut alarmiert.
"WAS WAR DAS?"
"Die Schmalspurbahn, die hier durch den Schloßgarten verläuft", antwortet Daim kennerisch.
Der Baske entspannt sich, aber nur langsam. Erst später dämmert Way: Der Baske hat erzählt, er sei passionierter Red Dead Redemption-Spieler. Da ist es wohl normal, auf Zugsirenen so panisch zu reagieren. Dass dann auch noch
zufällig Daims Frau und Tochter in dem Zug sitzen, dürfte den Basken nicht beruhigt haben. Das riecht doch geradezu nach einem schiefgegangenen Hinterhalt. Daim rennt zum Zug und klatscht seine Frau ab. Das "schiefgegangen" setzt Way also eher in Anführungszeichen. Und ist gespannt, was als nächstes passiert.
So steht die Gruppe schließlich vor dem Schloss. Mögliches Programm: das Erklimmen der Stufen auf den Turm, um einen Blick über Karlsruhe zu werfen.
"Hmmja. Ich weiß nich. Sehn wa da nich eigntlich nur Baustellen?"
"Nicht nur. Man sieht das Stadion, die Mittelgebirge, die Stadt..."
"Jaja, is ja gut, ich mach ja mit. Kostet dat wat?"
"Vier Euo."
"Hab ich nich."
"Kein Problem, ich zahle für Dich."
Die Stimme ist mir bekannt. Ich drehe mich zu ihrem Ursprung um. Da steht ein Mann mit räudiger Mütze, verschlafenen Augen und einer insgesamt eher resignierten Erscheinung.
"Wer bis Du denn?", fragt Way.
Der Mann schaut irritiert.
"Na, Octavianus!"
Way schaut stumpf.
"Nie gehört."
Der Mann zieht die Brauen zusammen.
"Wir haben uns vor einer halben Stunde vorne am Schloss getroffen. Wir haben uns umarmt. Du hast erzählt, wie schön die Tour bis hierher ist."
Way lacht auf.
"Wat is? Ker, dat sin ja gleich drei Unwahrscheinlichkeiten auf einmal! Also ob!!"
"Du hast gesagt, Du wirst Dich später vermutlich nicht an mich erinnern, weil Du gerade so viel gesoffen hast."
Ways Lachen ebbt ab. Es dämmert ihm: da könnte etwas dran sein. Schließlich klopft er Octa auf die Schulter.
"Jung, da hasse wohl Recht. Dat klingt nachm alten Way. Schön Dich hier zu sehn. Aber sach ma, wat is mit Deine Schülerinnen? Hasse die alle im Rucksack?"
"Nein", lacht Octa. "Die sind in Stuttgart."
Die Runde schweigt. Alle starren Octavianus an.
"Verstehe."
"Aufsichtspflicht.", murmelt DragonFox. Wieder lacht Octavianus.
"Nein, nein. Die sind ganz anders als die deutschen Schüler. Die kann man alleine in die Großstadt lassen."
+++ Ende Teil Eins +++