Bei Real bleibt auch festzuhalten, dass was Christoph Kramer gestern nach dem Spiel noch sagte. Die haben in den letzten Jahren zig solcher Spiele gehabt, wo sie weitestgehend nicht unbedingt die bessere Mannschaft sind, aber am Ende fast immer gewinnen. Und dann ist das auch nicht mehr nur Glück bzw. immer Glück ist Können!
Ja und nein. Dazu möchte ich mal einen Quervergleich ziehen, der bestimmt gewaltig hinkt, aber das ist mir mal eben einfach egal, weil er mir kurz nach dem Halbfinalrückspiel Real - Bayern eingefallen ist und mich seitdem irgendwie nicht mehr los lässt.
Vorab sollte man wissen, dass ich Real viele Jahre wirklich, wirklich, wirklich!!! abgrundtief beschissen fand für diese Art, Spiele zu gewinnen. Der Tiefpunkt war das CL Finale 2018, das in meiner Meinung nach eine Schweinerei war und meinen Glauben an den Fußballgott, falls ich den jemals hatte, wohl mit einem Streich begraben hat. Wohlgemerkt das einzige CL-Finale seit 2004, welches ich nicht live gesehen habe. Dennoch hat es mehr (negative) Emotionen in mir ausgelöst, als so manches andere von mir verfolgte Finale. Das mal vorab, um deutlich zu machen, dass meine gleich geschilderte Meinungsänderung auf keinen Fall etwas mit den neuerlichen Erfolgen Reals zu tun hat. Als Bayernfan beteuert man das lieber einmal zu oft als zu wenig.
Mittlerweile hat sich mein Blick auf Real Madrid gewandelt. Dabei spielte sicherlich eine Rolle, dass sich meine allgemeine Wahrnehmung mit uns konkurrierender Vereine mit zunehmendem Alter deutlich entspannt hat. Bei Real kam jedoch im speziellen die Saison 2021/22 hinzu, während welcher ich zum einen mit einem glühenden Realfan in einer WG gewohnt habe, zum anderen ebenjenes Real eine wirklich beeindruckende KO-Phase in der Champions League gespielt hat. Ich war im Finale dennoch für Liverpool, obwohl gerade das Halbfinale, das ich mit besagtem Mitbewohner geschaut habe, mich nachhaltig beeindruckt hat. Wie die Mannschaft danach mit den Fans gefeiert hat, hat mich irgendwie diese Stärke Reals, mit unbändigem Willen verloren geglaubte Spiele doch noch umzubiegen, wertschätzen und akzeptieren lassen. Man kann sagen, in dieser Saison habe ich meinen Frieden mit einem ehemals bis aufs Blut bekämpften Gegner gemacht.
Es war von da an nicht nur Respekt, sondern langsam aufkeimende Sympathie, die ich diesem Club entgegengebracht habe. Da mag mit reingespielt haben, dass Barca, welches ich in diesem Kampf der Giganten immer deutlich favorisiert hatte, sich in den 10er Jahren zu einem absolut katastrophalen Haufen entwickelt hatte. Real hingegen, auch wenn da längst nicht alles toll war, Stichwort Super League, hat zumindest auf dem Transfermarkt keine verrückten Sachen gemacht. Ja, es gab teure Transfers, aber alles mit Hand und Fuß, Spieler wie Kroos, Modric, Vini Jr. und Alaba kann ich zudem einfach richtig gut leiden und zuletzt ist Ancelotti als Coach einfach ein Boss.
So viel zu den sportlichen Aspekten. Was mir aber in den letzten Wochen darüber hinaus klargeworden ist, ist der Umstand, dass Real so Fußball spielt, wie ich mein Leben lebe. Nicht immer geradlinig, sondern sehr häufig auf Schlingerkurs, in irgendwelche Situationen hinein- und wieder herausgeratend, ohne zu wissen, wie man das nun wieder geschafft hat. Aber mit dem Selbstverständnis und der tiefen, inneren Überzeugung: Egal was für eine Scheiße passiert, ich werde damit schon irgendwie fertig und am Ende bin ich der Sieger.
Was hat dieser schier endlose Exkurs jetzt mit dem gestrigen CL-Finale zu tun? Zu der beschriebenen Mentalität gehört meiner Meinung auch die nüchterne Einordnung, dass Menschen(gruppen wie z. B. Fußballmannschaften) dazu neigen, sich dort eine hohe Selbstwirksamkeit zu attestieren, wo sie besonders erfolgreich sind, oft genug jedoch nur vom Zufall, vom Wohlwollen bzw. Versagen anderer und/oder den sich damit einhergehend reproduzierenden Umständen profitieren. Soll heißen: Natürlich hat diese Real-Mannschaft einen brutalen Siegeswillen, eine mit eiskalt noch untertriebene Abgezocktheit und eine Cleverness, die ihresgleichen sucht. Dennoch ist selbst mir, der ich zu 100% für Real war, die Diskrepanz in den 50:50 Entscheidungen der Schiedsrichter aufgefallen. Die wurden nahezu ausnahmslos alle pro Real gepfiffen. Real schreibt seinen eigenen Mythos mit jedem Titel, mit jedem auf glücklichste Weise errungenen Sieg permanent weiter und jeder im Weltfußball bekommt das mit. Die gegnerischen Spieler, die Schiedsrichter, Fans, Verbandschefs usw. Neben den Entwicklungen der letzten Jahre unter Ancelotti darf man außerdem nicht vergessen, dass Real schon zuvor DAS Aushängeschild des Weltfußballs war. Auch davon profitiert die aktuelle Mannschaft, ohne dass sie zur Vorgeschichte des Clubs etwas beigetragen hat. Das soll nicht heißen, dass irgendjemand Offizielles bewusst Real bevorzugen würde, es führt einfach nur dazu, dass extrem viele "weiche" Faktoren, die du nicht trainieren und auch nicht aus eigener Kraft beeinflussen kannst, sich in den letzten Jahren sehr stark allesamt in Richtung Real Madrid gedreht haben.
Insofern möchte ich der Mannschaft nicht ihre Leistung absprechen, trotzdem gehört unglaublich viel Glück dazu und die Fügung so vieler, unterschiedlicher Faktoren, dass man das nicht alleine auf Können, auch nicht auf Willen oder ähnliches zurückführen kann. Real versteht es, das absolut beste aus diesem Privileg zu machen und davor ziehe ich meinen Hut, aber es bleibt ein Privileg.
Folglich bleibt mir nur zu sagen: Glückwunsch an Real Madrid, die selten den besten Fußball der Welt gespielt haben, aber immer den erfolgreichsten, weil sie verstanden haben, dass es genau darauf ankommt.