Ich gebe mal meinen Senf dazu. Vorweg: mittlerweile gehe ich, ohne jeden Zweckpessimismus, von einem Abstieg aus. Bei bereits vier Punkten Rückstand und dem anstehenden Programm dürfte Platz 15 in ein paar Wochen weg sein, sodass maximal die Relegation bliebe. Auch daran habe ich aber große Zweifel, zumal ich die Mannschaft in Anbetracht ihrer gerade unter Druck sehr schwachen Auftritte gegen HSV, VfB oder Bielefeld nicht als Favoriten sehen würde.
Die Ursachenforschung gestaltet sich das schon schwieriger.
Die Behauptung, der Kader sei einfach schlecht zusammengestellt, ist zwar nicht völlig von der Hand zu weisen, lässt aber vieles außer acht. Ja, auf der Sechs ist eine Lücke und ja, in Puncto Tempo und Physis weist der Kader Defizite auf. Das war aber auch schon letzte Saison so, in der man die Euroleague nur knapp verpasst hat und im Pokalhalbfinale verschaukelt wurde. Man hat ja auch versucht, den Defensivverband mit der Verpflichtung von Toprak, einem eigentlich kopfball- und zweikampfstarken sowie recht schnellen IV, zu verstärken. Der hat halt nur in der Hinrunde praktisch nicht gespielt. Letztlich ist das im Wesentlichen, bis eben auf Kruse (dazu gleich), derselbe Kader wie letzte Saison, mit punktuellen, durchaus sinnvollen Ergänzungen (Toprak, Bittencourt).
Zu Kruse: Der Vorwurf, man habe Kruse nicht ersetzt, ist natürlich ebenfalls nicht falsch. Er ist aber eben auch sehr sehr einfach. Man hat auf den Abgang von Kruse ja durchaus reagiert: es wurde Füllkrug verpflichtet, der den Verlust von Kruse in Form von erhöhter Strafraumpräsenz und einer damit einhergehenden leichten Verändrung der Spielstatik gemeinsam mit Osako auffangen sollte. Man hat zu Saisonbeginn auch gesehen, dass dies im Großen und Ganzen funktioniert hat. Nur hat Füllkrug eben seit dem sechsten Spieltag oder so kein Spiel mehr gemacht und Osako ist dann leider in ein Formtief gefallen. Wenn man jetzt kritisiert, dass es keinen "echten" Ersatz für Kruse gab, sollte man auch berücksichtigen, über welchen Verein man spricht. Werder ist nicht Bayern, nicht RedBull, nicht Dortmund. Es gibt kein Festgeldkonto, Kruse ging ablösefrei. Ihn 1:1 zu ersetzen ist in der Form schlicht nicht möglich.
Ein Grund ist sicherlich, dass Kohfeldts Fußball nur funktionieren kann, wenn er mit Mut und Überzeugung gespielt wird und die sind eben im Laufe der Hinrunde sukzessive verloren gegangen. Zudem fehlt es natürlich defensiv wie offensiv an Automatismen. Das ist bei dem schier unfassbaren Verletzungspech dieser Saison aber auch nicht verwunderlich. Es gibt drei bis vier absolute Stammspieler, die diese Saison kaum gespielt haben, in der Hinrunde waren wir über Wochen praktisch ohne IV unterwegs, mittlerweile fehlen seit Wochen quasi alle Außenverteidiger (was der Hauptgrund dafür ist, dass sich Kohfeldt mehr oder weniger gezwungen sieht, mit Dreierkette zu spielen) - ich denke, es gibt kaum einen Bundesligaverein, der so etwas auf Dauer auffangen kann. Zumal so Dinge wie die Aufstellung nach Taktik anpassen oder auf Formschwankungen von Spielern reagieren (gerüchteweise tun manche Trainer sowas ja ganz gerne) seit Saisonbeginn praktisch nicht möglich sind.
Unter anderem deshalb bin ich auch eher dafür, mit Kohfeldt in die zweite Liga zu gehe. Er hinterfragt sich selbst, er versucht Dinge zu ändern, er gibt der Mannschaft taktisch durchaus Dinge mit, die richtig umgesetzt auch zum Erfolg führen können (so auch zu sehen im Pokal). Er war Jahrgangsbester, hat gezeigt, dass er interessante Ideen von Fußball hat und dass er grundsätzlich Mannschaften und Spieler entwickeln kann, er ist Bremer durch und durch. Ich bezweifle stark, dass es einen besseren Trainer für Werder auf dem Markt gibt. Hinzu kommt die Frage: Was soll ein neuer Trainer denn konkret anders machen?
Es ist die Mannschaft, in der viele, gerade auch erfahrene Spieler, die eigentlich jetzt führen müssten, teils unerklärliche Fehler machen. Es ist die Mannschaft, die immer wieder bei kleinsten Rückschlägen einbricht, den Kopf verliert und vieles über sich ergehen lässt. Es ist die Mannschaft, die immer wieder in eine kaum nachvollziehbare Lethargie verfällt, die immer wieder jede Aggressivität und Entschlossenheit vermissen lässt (obwohl sie wenige Tage vorher gezeigt hat, dass es anders geht), die ihren Trainer (der sich so oft es irgend ging vor sie gestellt hat) Woche für Woche hängen lässt.
Der Reflex, jetzt Trainerwechsel zu fordern, ist nachvollziehbar, aber ich sehr bei der Frage, warum dem so ist, weniger den Trainer als die Spieler in der Verantwortung. Auch wenn die vermutlich selbst keine Ahnung haben.
Außerdem "kann" Baumann Kohfeldt eigentlich kaum entlassen. Kohfeldt ist "sein" Trainer, er hat den Vertrag um drei Jahre verlängert, er hat den Kader auf Kohfeldts Spielidee ausgerichtet. Wenn Kohfeldt scheitert, muss Baumann eigentlich mitgehen.