Ich hatte das schon im offiziellen Forum kommentiert. Im Prinzip ein beachtliches Werk für jeden, der hier wirklich tief eingsteigen will. Allerdings halte ich es andererseits auch
a) für Neueinsteiger vollkommen ungeeignet
b) teilweise unnötig verkomplizierend
Das Vorwort sagt es ja selbst: Auf gewisse Art ist der Creator konzeptionell der eigentlichen Spielsimulation und ihren Mechaniken oft um einiges Voraus gewesen. Ich halte die ganze Geschichte für ein Videospiel eh etwas grenzwertig, vor allem wie hier, wo es behandelt wird wie eine Taktikanweisung, die es nicht ist. wwfan, der das Ganze überhaupt erst ins Spiel gebracht hat, spricht ja selbst von Interpretationssache; und von der Theorie (!), dass gewisse Rollen besser zu gewissen Philosophien passen. Zur Verkomplizierung: Das ganze Ding bezieht sich ganz ganz stark noch auf Anweisungen, die nicht mehr im Spiel sind -- und von denen niemand weiß, ob sie exakt so funktionieren und vor allem weiter so funktionieren werden. So oder so sollte sich niemand mehr darauf beziehen müssen. Hinzu kommt, dass die Mentalitätsleiter die Abstraktion der Abstraktion ist: Teilweise abstrakte Anweisungen (Mentalität) werden noch mal abstrahiert (Leiter), um dann daraus sehr spezifisch aufzuschlüsseln, was genau passieren soll. Aber dabei wird hier auch wieder ein Level an Micromanagement darstellt, das so nicht im Spiel ist. Fast jede Art von Anweisung beeinflusst eine Entscheidungs-Tendenz des Spielers, die vom "Echtzeit"-Spielkontext der Situation und den Attributen des Spielers selbst beeinflusst wird (nicht nur PPMs). Wer so ins Detail geht, dass genau aufgeschlüsselt wird, in welcher Mentalität sich welcher Spieler wie verhalten soll, macht zwar anschaulich, was nach seiner Interpretation gemeint ist. Er suggeriert aber auch eine Art von Kontrolle, die nicht im Spiel ist, verwirrt gerade Neulinge und verzettelt sich schnell in sehr verschachtelten Gedankengängen.
Am einfachsten veranschaulicht man sich das zumindest mit den Rollen vielleicht ja immer noch so: Die strikte Schule dreht sich in der Konzeption um Manager, die Spielern klare Aufgaben zuteilen. Folglich ist unter anderem die kreative Freiheit niedrig, weshalb limitierte, sehr spezifische Rollen wie Poacher, die nur Chancen verwerten statt kreieren sollen sowie Anchormen, die den Ball zum Kreativspieler weiterleiten sollen, hier besser zum Tragen kommen. Es ist das klassische Wasserträger- und Spielgestalter-Konzept, in dem solch eine Kombination aus Wasserträgern plus Kreativspielern (Spielmacher / Trequartisa, etc.) am effektivsten zum Tragen kommt. Die Wasserträger, die limitierten Rollen, sollen zuarbeiten, und damit den gewünschten Spielgestalter und Vorlagengeber effektiver machen. Die Aufgaben sind klar verteilt. Wer gar keine "Kreativspieler" in einem strikten System hat, kann ziemlich berechenbar werden, und das hat sogar seinen Grund in der Spielmechanik: niedrige kreative Freiheit resultiert auch in wenigen Risikoaktionen und sehr kontrolliertem Spiel. Wobei auch hier Spielerattribute mit reinfließen können: Spieler mit hohem Flairwert machen von sich aus gerne mal was Eigenes. Ein No-Nonsens-Absicherer im defensiven Mittelfeld haben zu wollen und ihn mit einem Spieler voller Flair zu besetzen, ist zu einem gewissen Grad widersprüchlich. Fängt der plötzlich an, von hinten mal hin und wieder selbst den Netzer zu geben, obwohl er dessen Wasserträger Hacki Wimmer sein soll, dann ist man selbst Schuld. Zur Erinnerung: spielmechanisch ist "kreative Freiheit" ein Aufschlag auf den natürlichen Flairwert, das Attribut, der Spieler. Manche sind schon von sich aus Freigeister, andere nicht.
Die fluide Schule hingegen macht diese Aufteilung in Wasserträger und Spielgestalter überflüssig. Denn Spieler bekommen genug Freiheiten, dass jeder davon zumindest ein wenig sein Ding machen darf. Ein Poacher wird sich hier nicht so strikt an seinen Anweisungen halten, ein Spielmacher als kreativer Fokus ein Stückweit überflüssig, weil vor allem alle Angriffsspieler mit vielen Freiräumen ausgestattet sind.
Richtigen Schaden richtet man bei "falschem" Mix der Rollen aber eh nicht an, auch deshalb halte ich vieles am Text für sehr verkomplizierend. In strikten Systemen ist man ohne expliziten Kreativspieler aber gerne etwas leichter ausrechenbar, und in sehr fluiden Systemen sollte sich wohl niemand wundern, wenn sein Zielspieler plötzlich mal zum Strafraumdribbler wird und seine Anweisung nicht einhält. Das ist vielleicht auch der eben erwähnte Punkt, an dem die Spielmechanik mit dem Konzept noch nicht schritthält. Denn "unter der Haube", den Reglern, gibt oder gab es im Prinzip rein teschnich kaum bis keine Unterschiede zwischen "spezifischen" und "generalistischen" Rollen. Und wenn man ehrlich ist, kam bestimmt nicht nur ich jahrelang mit weitaus undetaillierten Anweisungen aus. Aber auch da zählt natürlich: Beeinflusst wird die Tendenz, zu Deppen oder Stars machen sich die Spieler auch selbst, wenn man sie nicht erfolgreich daran hindert, gerade die Laufwege betreffend. Die Positionierung ist nach wie vor das wahrscheinlich wichtigste Element jeder Fußballtaktik, und darüber hat man eine sehr direkte Kontrolle, auch wenn man nicht die Qualität der Laufwege bestimmen kann (was gut ist).
Dazu muss ich weiterhin sagen, dass das Gleiche auch für meine viel viel oberflächlicheren Versuchsabhandlungen zum Thema gilt. Für einen Sticky und damit auch Anlaufstelle für Anfänger taugt das einfach nicht.
Und die kreative Freiheit ist ja pro Philosophie noch mal einstellbar (more expressive, more disciplined), was ich auch schon immer für grenzwertig hielt. Aber ich hatte hier jetzt mal bewusst die ganze Mentalitätsgeschichte weitestgehend ausgeklammert (und bei der es imho teilweise viele Überschneidungen gibt, siehe die beiden Screenshots von mir auf der letzten Seite). So oder so sollte sich niemand mehr auf Anweisungen beziehen müssen, die nicht mehr im Spiel sind.