"Metodo" und "Catenaccio" - Made in ItaliaDie taktischen Finessen der beiden Systeme sind von "Inverting the pyramide" teilweise stark übernommen. Dies gilt auch teilweise für die beiden Themen, die danach folgen. Dennoch will ich versuchen, gewisse andere Aspekte miteinfließen zu lassen, die Wilson vielleicht nicht erwähnt oder nur anreißt, man wird sehen.
Ähnlich wie in den Donaustaaten Österreich und Ungarn war auch der italienische Fußball schon sehr weit entwickelt: Es gab eine Profiliga, die Spielerausbildung war hervorragend und so gehörte die italienische Nationalmannschaft schon ab den 20er Jahren zu den stärksten Europas. Doch Moment - Italien 20er bis 30er? Zeitalter des Faschismus? Wie war dort eine Profiliga möglich, in Deutschland klappte dies unter den Nazis doch auch nicht? Nun, anders als Hitler erkannte Mussolini die Wichtigkeit des Fußballs in Italien und nutzte ihn als Repräsentation seines stolzen Regimes. Italien bemühte sich stark um die Ausrichtung einer WM im eigenen Land und bekam diese Möglichkeit auch 1934. Bis zur WM 34 war bereits die Nationalmannschaft taktisch fertig ausgebildet.
Der Trainer der italienischen Nationalmannschaft war Vittorio Pozzo.
Er verbrachte einige Jahre in England und diese sollten Einfluss auf sein taktisches Konzept haben.
Zurück in Italien versuchte er einen Mittelweg aus dem alten 2-3-5 System und dem englischen WM-System zu finden, und zwar aus praktischen Gründen: Die Topspieler Italiens waren auf der einen Seite technisch besser als die Engländer, quirliger und auch egoistischer. Auf der anderen Seite waren sie aber auch körperlich robuster als die Österreicher und auch konditionell stärker.
Hätte Pozzo also auf das 2-3-5 zurückgegriffen, wäre er Fußball wohl nicht so fließend geworden wie beim österreichischen Wunderteam; Das WM- System 1 zu 1 zu übernehmen war von vornherein ausgeschlossen, da die taktische Disziplin, die Chapmans FC Arsenal hatte, niemals in einer Nationalmannschaft zu halten gewesen wäre . Italien hätte also das gedroht, was mit Ausnahme von Arsenal und England allen Nachmachern des WM- Systems gedroht hätte: entweder ein extrem lückenhaftes System mit Defensivschwächen oder ein total statisches Aufbauspiel.
Doch Pozzo erkannte dies und kreierte eine Art Mittelweg, den "Metodo":
Dies wird die letzte Taktik dieser "Qualität" sein, ich habe für die nächsten Themen eine neue Idee, um euch die Taktik visuell besser und vor allem richtiger darzustellen.
Zum Thema: Auf dem ersten Blick sieht der Metodo wie ein normals 2-3-5 System aus, doch eine kleine Besonderheit gibt ihm eine ganz eigene Note. Der Mittelläufer spielt eher zurückhängend, quasi direkt vor der Abwehr. Eigentlich wollte Pozzo, ähnlich wie Chapman beim FC Arsenal, einen Mittelläufer, der das Spiel aufbauen kann mit tiefen Pässen auf die Flügel. Wenn er über einen solchen verfügt hätte, wär wohl nur kurz später ein funktionierendes WM-System möglich gewesen.
Leider hatte Italien einen solchen Spieler nicht, generell sah es , was den Mittelläufer betraf sehr düster aus.
Doch 1931 unterzeichnete Luis Monti einen Vertrag bei Juventus Turin. Monti war Mittelläufer der argentinischen Nationalmannschaft im WM-Finale 1930, als man gegen Uruguay unterlag.
Monti hatte aber auch italienische Vorfahren, was es ihm möglich machte, auch für Italien auflaufen zu dürfen ( dies war noch bis in die 60er so möglich- Beispiel Puskas, der die spanische Staatsbürgerschaft annahm und so noch bei der WM 1962 für Spanien auflief).
Pozzo bediente sich dieser Möglichkeit auch bei einigen anderen Spielern.
Monti entsprach eigentlich gar nicht Pozzos Vorstellungen eines Mittelläufers. Er zählte schon 31 Lenze, war übergewichtig. Trotzdem ist Monti der beste Mittelläufer vor 1945. Er ist im Prinzip der Prototyp des modernen defensiven Mittelfeldspielers, vom Spielertyp her ist er wohl am besten mit Gennaro Gattuso zu vergleichen, zumindest wenn der Gegner im Ballbesitz war. Monti machte die Räume eng und räumte alles ab, was in seine Nähe kam.
Wenn seine Mannschaft allerdings im Ballbesitz war, schaltete sich Monti auch vorn ein. Er war also Dreh- und Angelpunkt des Angriffsspiels, also immer anspielbar und stets Bälle verteilend. Das hört sich dann doch nach einem englischen Mittelläufer an, aber: Wie gesagt war Monti nicht der schnellste und zudem verteilte er keine langen Bälle, sondern einfache, kurze Pässe.
Doch der Metodo von Pozzo hatte eine weitere Besonderheit, die die taktische Grafik sehr schön darstellt. Die Halbstürmer spielten zurückgezogen. Solch defensive Halbstürmer gab es nirgendwo sonst, denn sie unterstützten teilweise die Außenläufer ( beachte: Außenläufer, nicht Außenstürmer). Pozzo nahm dabei keine Rücksicht auf die individuellen Vorlieben seiner Halbstürmer, sie mussten sich seiner Taktik unterordnen. Das ist der Unterschied: Während in Italien die zurückgezogenen Halbstürmer aus rein taktischen Gründen so spielten, waren es beispielsweise bei Arsenal die individuelle Spielweise der Halbstürmer, die sich eben aus eigenem Ermessen zurückfallen ließen.
Kommen wir nun zu den 2 Weltmeistertiteln, die dieses System Italien bescherte. Vorweg gesagt: die WMs 1934 und 1938 sind miteinander nicht annährend zu vergleichen. Auch das Italien 1934 hatte mit dem Italien 1938 nicht mehr allzuviel zu tun.
Die WM 1934 ist die wohl korrupteste Weltmeisterschaft im Fußball gewesen. Ob Italien auch ohne die Mithilfe der Schiedsrichter Weltmeister geworden wäre---- schwer zu sagen, vermutlich schon. Jedenfalls war das Viertelk- Halb- und Finale von fragwürdigen Schiedsrichterleistungen begleitet, und es gilt als erwiesen, dass zumindest die Schiedsrichter der ersten beiden genannten Spiele von Italien gekauft waren. Wie dem auch sei: Die Wm-Mannschaft 1934 von Italien war sicher gut, sie ließ extrem wenige Chancen zu. Das österreichische Wunderteam schoss im Halbfinale die ersten 40 Minuten nicht ein Mal aufs Tor, Monti nahm Sindelar schlichtweg die Luft zum atmen. Das Finale dagegen war eine Karikatur: Die Tschechoslowakei beherrschte das Spiel 80 Minuten lang und ging auch in der 76. Minute in Führung, doch in der 81. Minute fiel der Ausgleich. Ob es nun nötig war, 8 Minuten nachzuspielen, ist eine andere Frage, jedenfalls gewann Italien durch ein Tor in der 97. Minute.
Im gleichen Jahr kam es zum vielleicht größten Spiel vor 1945, zumindest von der Konstellation her: Italien gegen England, die beiden besten Mannschaften der Vorkriegszeit gegeneinander. Italien ging in der ersten Halbzeit unter: 0:3 . Grund dafür war die taktische Disziplinlosigkeit der Mannschaft - es zeigte sich nunmal der schwierige Spagat des Metodo: hielten sich die Spieler an die Vorgaben, war Italien fast unbezwingbar, das defensive System war das wohl beste seiner Zeit. Doch erwischten die Spieler einen schlechten Tag, war der Metodo ein extrem löchriges System gegen taktisch ausgezeichnete Gegner, die auch noch physisch ein ganz anderes Niveau mitbrachten. Letztendlich ging das Spiel 2:3 aus, weil sich die Italiener in der 2. Halbzeit nicht auf die Beine der Gegner, sondern auch mal auf das gegnerische Tor zustürmten.
Ich persönlich frage mich, wie wohl ein solches Spiel 4 Jahre später ausgegangen wär, denn: der Weltmeistertitel Italiens 1938 war eine ganz klare Sache, die italienische Mannschaft 1938 war auch personell gesehen nochmal deutlich stärker als 1934.
Die auf einer stabilen Defensive aufbauende Mannschaft kam nie wirklich in Bedrängnis. Was noch dazukam, war Schnelligkeit, Physis und Dynamik. Der Donaufussball der Ungarn ging im Finale ganz traurig unter.
Zum Schluss will ich noch die wichtigsten Spieler des Metodo euch noch vorstellen (Monti habe ich euch bereits näher gebracht).
Tor:
Gianpiero Combi 1934, Aldo Olivieri 1938Combi und Olivieri wären , wenn sie sich zu einer Person vereinigt hätten, wohl der perfekte Torhüter geworden.
Combis stärken lagen klar auf der Linie. Seine Paraden waren lehrbuchreif, doch wagte er sich selten , die Torlinie zu verlassen.
Combis Nachfolger Aldo Olivieri war komplett anders. Auch er war auf der Linie sicher ein guter Torwart, doch machten ihm eher seine Fähigkeiten beim Herauslaufen berühmt. Selbst ein Schädelbruch , ausgelöst eben durch einen Zusammenprall mit einem gegnerischen Stürmer, hielt ihm nicht davon ab, weiterhin alles zu riskieren , um den Ball zu sichern. Olivieri bekam für seine Risikobereitschaft daher den Spitznamen "Kamikazeflieger".
Abwehr:
Umberto CaligarisLeider habe ich kein Foto mit seinem Markenzeichen gefunden. Caligaris spielte stets mit einem weißen Stirnband. Obwohl er an den WM Titeln Italiens wegen seines forgeschrittenen Alters kaum einen Anteil hatte ( 1934 spielte er nur 1 mal, 38 gar nicht) muss ich ihn erwähnen, denn: Caligaris ist zusammen mit dem Engländer Eddie Hapgood der beste Verteidiger der Vorkriegszeit. Caligaris war ein ganz besonderer Verteidiger, denn er war seiner Zeit wohl 30-40 Jahre voraus. Caligaris erfand den Scherenschlag, um Bälle zu klären oder generell weiterzugeben. Caligaris war kein beinharter Innenverteidiger á la Hapgood, sondern zu seinen Stärken gehörten seine Technik und seine Schnelligkeit. Prinzipiell wär Caligaris wohl ein vortrefflicher Libero geworden. Zu seinen Glanzzeiten galt er auf der linken Abwehrseite als unbezwingbar.
Läuferreihe: wie bereits vorgestellt, Luis Monti.
Sturmreihe:
Raimundo OrsiAuch Orsi war wie Monti eigentlich Argentinier, der dann aber nach Italien wechselte und schließlich Nationalspieler wurde. Orsi war Linksaußen und von der Spielweise mit Cliff Bastin vergleichbar: schnell, technisch hervorragend und torgefährlich. Orsi ist wohl hinter Bastin als bester Linksaußen der Vorkiegszeit einzustufen.
Silvio PiolaSilvio Piola wird noch heute in Italien vergöttert. Er ist immernoch Rekordtorschütze der Serie A, gilt als bester Mittelstürmer, den Italien je hervorgebracht hat. Silvio Piola war zum einen Knipser, zum anderen aber auch technisch für einen Mittelstürmer extrem gut ausgebildet. Sein Markenzeichen war der Fallrückzieher, mit dem er nicht selten seine Tore erzielte.
Doch es gibt einen italienischen Spieler, der die bereits genanntn überragen sollte, auch weil er sowohl 1934, als auch 1938 entscheidenden Anteil an den Titeln hatte:
Giuseppe MeazzaWenn nach einem Spieler das größte Stadion Italien benannt ist, sagt dies wohl alles über ihn aus. Meazza gilt bis heute als beste italienischer Fußballspieler aller Zeiten. Meazza war eigentlich gelernte Mittelstürmer, doch Pozzo brauchte ihn als Halbstürmer und Meazza fügte sich dem Wunsch des Trainers. Doch dies machte Meazza nur kompletter: Neben seiner beeindruckenden Dribbeltechnik ( die Sololäufe von Meazza waren berüchtigt) , seiner starken Schusstechnik und seiner Schnelligkeit kamen als Halbstürmer noch Spielübersicht und Spielmacherfähigkeiten hinzu. Letztlich konnte Meazza auf allen 5 Positionen im Sturm eingesetzt werden und ist deshalb in die Top 5 Spieler der Vorkriegszeit einzuordnen.
Nun, wie ging es mit dem "Metodo" weiter? Pozzo blieb noch bis über den Krieg hinaus Italiens Nationaltrainer und es entwickelte sich nach 1938 eine Spielergeneration, die nicht weniger talentiert war. Das Problem: sie manifestierte sich in einem einzigen Verein, dem AC Turin. Bei einem Flugzeugabsturz 1949 kam fast die gesamte Mannschaft ums Leben, was für über 10 Jahre das Ende für die italienische Nationalmannschaft bedeutete. Erst Anfang der 60er sollte Italien zurückkommen, zunächst auf Vereinsebene, mit dem wohl umstrittensten Spielsystem der Fußballgeschichte, dem
Catenaccio.
Dazu demnächst mehr