Darauf reagiere ich doch überhaupt nicht!
September 2015Bevor ich mich mit Jörg Kovac vom RGA treffe, um ein geraderückendes Interview zu geben, geht es gegen Dynamo Dresden. Wie ich beim Eintreffen in der Kabine feststellen muss: mein Team ist recht überschaubar. „Länderspiele“, raunt Opdam mir zu. Na, gut, müssen es eben die anderen richten. Und ich wäre schließlich nicht ich, wenn ich dadurch nicht noch meinen Gegner demütigen könnte. Ich lasse also ein paar Bankdrücker ran, allen voran Jimmy Roye, den ehemaligen Torschützenkönig der Niederrheinliga und Regionalliga West. Er spielt von Beginn an auf dem rechten Flügel im 4-3-3.
7. SpieltagFC Remscheid (1.) – Dynamo Dresden (16.)L’Hostis – Zimmermann, Stoller, Zeitz, Dang Khoa – Paçaciogullari – Cigerci, Felipe Anderson – Roye, John – Eze
Ich nehme gerade auf der Bank Platz, da zuppelt mich jemand am Ärmel. Leandro.
„Trainer? Ich nich spille? Warum?“
Ich schaue ihn einige Augenblicke an. Ich frage mich: ‚Ja? Warum eigentlich nicht?‘ Ein Blick auf den Platz zeigt mir, dass da dieser Eze steht. Leandro sitzt aber neben mir. Fit. Gut in Form.
Jetzt muss eine gute Erklärung her!
„Weil…“, beginne ich. „Weil… weil ich dat sach!“
Das muss reichen. Leandro jedenfalls hat keine Fragen mehr.
1:0 Eze (3.)
2:0 Eze (50.)
3:0 Stoller (58.)
Die eigentliche Geschichte (neben der, dass die versehentliche Aufstellung von Eze zwei Tore und das erste Spiel von Stoller ein weiteres Tor gebracht hat, ist: Jimmy Roye mit zwei Assists, 16 von 17 gelungenen Pässen und einer Bewertung von 8.0! Damit hat er es allerdings trotzdem nicht in die Elf des Tages geschafft – das bleibt neben Eze dafür der kompletten Viererkette vorbehalten!
Lustig pfeifend marschiere ich zum Bus. Es geht Richtung München. Unterwegs holt mich ein junger Schwarzer ein mit witzigem Afroschnitt. Routiniert zücke ich meinen Stift und signiere im Gehen und ohne den Gang zu entschleunigen seine Stirn. Mit einer fließenden Bewegung stecke ich den Stift ein und gebe ihm einen Klaps auf die Wange.
Erst einige Sekunden später bemerke ich, wie mich der Junge am Arm festhält.
„Nono, Monsieur Wehh. No, bitte stopp!“
Ich bleibe stehen und mustere den Jungen. Aber ich bin gut gelaunt.
„Wat willse?“, frage ich freundlich.
„Monsieur, wir können sprechen? Über mein Statüs in Team?“
„Können wir. Aber wer bis Du denn eigentlich?“
Jetzt blickt mich der Junge entrüstet an. „Sie sehen, so be’andeln Sie misch, so isch kriege immer kein Chongs und so isch will Verspreschen isch spiele.“
Ich blicke den Jungen mit regungsloser Miene an. Ich muss wohl überzeugend ausgesehen haben, denn er murmelt ein „Baptiste Bastide, Monsieur, aus Ihre Ü19.“. Dabei ging auf der anderen Seite nur eine wirklich heiße Schnecke entlang.
„Äh… ja, das sagt mir jetzt tatsächlich was. Und wat wills Du jetz? Spielen wills Du? Tuuse doch!“
„Ja, Monsieur, aber nisch in A-Team. Isch aber will A-Team.“
„Und einen schwarzen Van auch, wat?“, bemerke ich grinsend.
Bastide versteht mich augenscheinlich nicht. Egal.
„Monsieur, ich…“
„Pass op: Du wills also ins A-Team. Dabei spielste schon inne U19 nich die große Geige. Ich sach: Du bleibs, wo de bis!“
„Monsieur, no. NO! Isch will gehen dann, will zu große Clüb, will…“
„Mir völlich egal, watte wills! Ich sach: kein A-Team für Dich!“
„No! Isch will…“
„Wennse dat wills, können wa übern Leihgeschäft reden mal.“
„Nonono, nischt Leih. Isch will wesch, isch will ganz und ganz wesch. Monsieur?“
„No.“
„Pardon?“
„No.“
„Sie sagen ‚no‘, aber Sie meinen?“
„No. Letztes Wort. ICH bin der Chef, hörse? ICH sage, wer spielt! Und ICH sage: DU spiels nich!! Hau ab jetzt.“
Bastide blickt mich entsetzt an, versucht dann aber eine freundliche Miene aufzusetzen. Was ihm mißlingt.
„Bon, Monsieur. Isch bleibe. Isch freue misch auf Spiele mit…“
„Schon gut. Tschöö.“
8. SpieltagSpVgg Unterhaching (16.) – FC Remscheid (1.)Der drittletzte will sich gegen uns wehren, aber ich weiß schon vorher: dat geht inne Hoose! Allerdings läuft Haching in einem Diamant-4-4-2 auf, dagegen spielen wir nicht häufig. Bin also gespannt.
Ich belasse zunächst L’Hostis wegen dessen guten Leistungen zuletzt im Tor, ebenso auch Dang Khoa auf links. Laczkó ist ohnehin verletzt. Im defensiven Mittelfeld fehlen gleich mehrere Spieler, so dass mein eigentlich spielmachender Achter Rubén Pérez dort steht.
L’Hostis – Zimmermann, Corstjens, Zeitz, Dang Khoa – Rubén Pérez – Cigerci, Felipe Anderson – Rausch, Mrkonjic - Leandro
Am Ende gehen wir als überlegene Sieger vom Feld. Überragender Mann: Felipe Anderson. Zwei Chancenvorbereitungen, ein Assist und 11 von 12 gewonnenen Zweikämpfen.
0:1 Leandro (58.)
0:2 Rausch (86.)
Opdam und ich befinden uns auf dem Weg zurück aus der Pfalz. Wir haben ein paar Spieler gescoutet und dabei die Erkenntnis gewonnen: in der Pfalz sind die Fußballspieler nicht gut. Und größtenteils häßlich. Aber das ist mehr subjektiv. Die Würstchen auf den Amateurplätzen sind dafür alleroberste Klasse. Noch nie musste ich so viel Bier trinken, um die gute Schärfe und Würze herunterzuspülen – ein klares Güteklasseindiz. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass ich plötzlich aus meinem Tiefschlaf hochschrecke, den ich auf dem Beifahrersitz in Opdams nagelneuem Dienst-Mercedes halte.
Ruckartig zucke ich auf, greife nach Opdams Hand und rufe laut:
„Barry! Pinkelpott! SOFORT!“
Opdam kennt mich zum Glück lange genug, um schnell zu reagieren. Er weicht zwei LKWs aus und zieht von der linken Spur direkt auf die Verzögerungsspur des zufällig gerade vorbeifliegenden Rastplatzes. Lautes Hupen, quietschende Reifen, aber der gute Mann weiß: das hier ist eine Situation, die Sonderrechte legitimiert.
Auf dem Rastplatz springe ich bei noch rollendem Fahrzeug raus und verschwinde Sekunden später im Häuschen. Und wie ich da so vor dem Pissoir stehe und den kleinen Way ins Becken hängen lasse, fällt mir ein kleines Werbeposter auf: ein Duftbäumchen, darunter die Aufschrift „Weides Wunderbäumchen – miefig war gestern, heute ist toll!“ und dem Untersatz „I think we have a grandios Geruch verbreitet“. Und außerdem ein Foto von Roman Weidenfeller, der im Tor steht, an dessen Latte eines der Bäumchen hängt.
Ich denke nach. Roman Weidenfeller wirbt für Duftbäumchen? Was ist denn da in der Karriereplanung schief gelaufen? Ich blicke erneut auf das Poster. In einem rot umrandeten Feld, unten in der Ecke, steht gedruckt: „Zu erwerben auf diesem Rasthof.“
Mann. Roman Weidenfeller. Der Mann elektrisiert. Und polarisiert.
Mich hat er jedenfalls eingefangen.
Ich muss jetzt sofort so ein Bäumchen kaufen.
Blasenentleert und selbstverständlich ohne Handwäsche öffne ich die Schwingtür zum Verkaufsraum des Rasthofes. Opdam ist auch da. Ich gehe auf ihn zu, nach den Bäumchen suchend, das greift Barry nach meiner Schulter.
„Way, schauen sie, wen ich hier antreffe.“
Ich kneife die Augen zusammen. Und tatsächlich! Unter einem buschigen, verfilzten Bart und langen, aber gegelten Haaren, entdecke ich den Bäumchenmann: Roman Weidenfeller.
„Weidenfeller? Wat tun sie hier?“ frage ich entgeistert.
„Mir gehört der Laden. Ich verdiene hier mein Geld.“
„Ach. Dafür hamse Zeit?“
„Warum denn nicht?“ fragt Roman verständnislos zurück.
„Na, weil sie doch in Dortmund…“
„Nein.“ Geht er entschieden dazwischen. „Nein. Das ist… vorbei…“
Er dreht den Kopf weg. Scheinbar wühlt ihn das auf.
„Wieso?“ frage ich gewohnt taktvoll zurück.
„Vertrag nicht verlängert.“, kommt die knappe Antwort.
„Aber… Lust auf Fußball hättense doch wohl noch?“
Jetzt blickt mich Weidenfeller an. Seine Augen wirken müde, aber dennoch entdecke ich ein Blitzen.
„Was für eine Frage! Wenn ich doch bloß einen Verein finden würde…“
Barry und ich tauschen Blicke. Dann greife ich in die Tasche nach meinem Handy. Kurz in den Kontakten geblättert, finde ich schnell die Nummer, nach der ich suche.
„Oui?“, meldet sich die Stimme von Frank L’Hostis.
„Ja, Froonck? Ich binnet, der Coach. Hömma, wat hälste von einem Statuswechsel?“
„Ahh… was meinst Du, Coootsch? Statuswechsel?“
„Ja, ich mein von Dein Status im Team. Bis getz biste ja nur Backup, weil der Kütschück eigentlich besser is. Oder war. Zuletz warer ja nich mehr so doll.“
„Ah, versteh. Oui, ich denke, dass ich einverstanden bin.“
„Gut, Fronck. Dat freut mich. Dein neuer Status is: ohne Zukunft. Tschö.“
Klick. Handy aus.
9. SpieltagFC Remscheid (1.) – 1.FC Nürnberg (8.)Der nächste Meister, der ins Röntgenstadion kommt. Nürnberg steht dabei für eine gewisse Kontinuität, denn mit Schäfer, Chandler, Nilsson, Simons, und Pekhart laufen viele Spieler aus dem Bundesligakader auf, ebenfalls im 4-3-3, das auch ich spielen lasse. Das wird also schon ein Gradmesser.
Ich gebe selbstverständlich Weidenfeller die Eins, außerdem spielt erneut Dang Khoa und auch Schuster auf dem linken Flügel. Letzterer ist eher so eine Eingebung ohne echte Überlegung. Ein Bauchgefühl, welches sich sehr schnell als Glückgriff erweist: zwei Tore und Spieler des Spiels! Insgesamt lasse ich auf Angriff spielen, womit der Club gar nicht zurechtkommt. Wir schießen sie förmlich aus dem Stadion. Beim Gang in die Kabine nach dem Spiel kann ich es mir nicht nehmen lassen, Herzog die Zunge rauszustrecken.
1:0 Schuster (5.)
2:0 Leandro (9.)
2:1 Corstjens (ET, 28.)
3:1 Rausch (39.)
4:1 Schuster (64.)
5:1 Ricardo (69.)
6:1 Corstjens (86.)
Im Büro kann ich mich nun endlich dieser unangenehmen Sache widmen, auf die Opdam mich vor kurzem aufmerksam gemacht hat: das Interview von Herzog mit dem RGA. Ein Interview? So sollte ich das eigentlich nicht bezeichnen. Es handelt sich eher um reine Zur-Schau-Stellung. Um pure Egomanie. Eine Mitarbeiterin hat neulich auf dem Flur sogar etwas von einer „guten Darstellung“ gesagt. Dabei ist es Selbstinszenierung erster Güte.
Also eigentlich mein Metier.
Ich nehme die Beine vom Tisch und beuge mich vor zur internen Sprechanlage. Das muss besprochen werden.
Nacheinander kommen sie schließlich in mein Büro:
Barry, um die Lage zu besprechen.
Der Pressechef, um ein Gegeninterview zu arrangieren.
Der Anwalt, um die Mitarbeiterin zu feuern, die diesen Artikel „gut“ fand.
„Unser guter Herr Präsident hat sich offenbar dazu entschlossen, in der Öffentlichkeit zu agieren.“, beginne ich das Gespräch mit Opdam.
„Was denkt er sich nur dabei?“
Barry schaut nachdenklich den Artikel an. Dann verzieht er das Gesicht.
„Das ist nicht gut.“
„Sie haben das Talent, das Offensichtliche auszusprechen, Opdam.“
Barry aber schüttelt nur leicht den Kopf.
„Nein, bedenken Sie: erst schafft er hier Millionen heran, jetzt geht er in die Öffentlichkeit, um sich als großer Macher hervorzutun.“
Ich runzle die Stirn. Das klingt erschreckend nachvollziehbar. Dennoch beunruhigt mich das nicht so, wie es eigentlich sollte. Ich reibe mir die Nasenspitze.
„Barry, ich weiß nicht. Irgendwie empfinde ich nicht wirklich eine große Bedrohung. Ich meine: was will er tun?“
„Er versucht doch offensichtlich, sie in ihrem Ruf zu schädigen und die Welt glauben zu machen, sie hätten keinen Kredit mehr bei den Fans.“
„Mag sein, mag sein, aber… das kann ja wohl nicht stimmen. Haben sie jemals diese Bewegung wahrgenommen, dieses ‚No Way‘?“
Opdam denkt einen Augenblick nach, schüttelt dann aber den Kopf.
„Nein. Nie. Nicht bewußt jedenfalls.“
„Nein, ich auch nicht“, bestätige ich. Ich hole tief Luft.
„Eigentlich kann gar nichts passieren. Ich habe den Verein aus den Tiefen der Provinz geholt, ich habe hier alle Strukturen aufgebaut und ich habe sämtliche sportlichen Erfolge zu verantworten. Außerdem bin ich Remscheider.“
„Ich hoffe, Herr Way, dass das nicht zu schnell verblasst.“
„Nein, da mache ich mir keine Gedanken. Das Volk weiß, wer die Spiele ausrichtet. Wer sie jetzt vielleicht bezahlt, interessiert dagegen kaum jemanden.“
Barry schaut nachdenklich aus dem Fenster auf die leeren Ränge des Röntgenstadions. Dann wendet er sich wieder zu mir.
„Ja, aber das ist gefährlich. In dem Moment, wo sie keinen sportlichen Erfolg mehr haben, wächst Herzogs Stärke.“
Ich schnaube abfällig. „Keinen Erfolg? Barry, sie werden doch nicht etwa zweifeln? Was soll schon passieren? Außerdem“, sage ich leiser und eindringlicher und beuge mich vor, „sitzen sie mit mir in dem Boot!“
Opdam nickt nur und verzieht das Gesicht zu einem Lächeln.
„Ja, Herr Way. Nett, mich daran zu erinnern.“
Ich tätschle ihm väterlich die Hand, mit der er sich auf meinem Schreibtisch abstützt und lehne mich wieder im Sessel zurück.
„Trotzdem meine ich, wir sollten Herzog nicht einfach so das Feld überlassen. Ich werde ein kleines Interview arrangieren und habe dazu schon den PR-Menschen bestellt.“
Opdam schaut mich an, dann wendet er sich zum Gehen. In der Tür hält er kurz inne und sagt:
„Way? Übertreiben Sie es nicht.“
Ich lache laut auf.
„Als ob ich das jemals getan hätte!“
Barry Opdam blickt in meine Richtung und hebt dann lächelnd die Augenbrauen. Nur um sogleich verstört den Raum zu verlassen.
Ja: ich bin vollkommen unberechenbar!