Die erste Live-Übertragung: VfL Osnabrück gegen FCR! Wahnsinn!! Scheiße, bin ich aufgeregt. Ich stehe in meiner Kabine und mache mich fertig. Für diesen ersten großen Fernsehauftritt habe ich mir ein herrliches Outfit besorgt:
Des weiteren ziehe ich mir eine Viertel Flasche Jägermeister rein. Das beruhigt mich. Etwas.
Vor dem Spiel gibt es Interviews. Ich entscheide mich, die Gunst der Stunde zu nutzen und einem alten Ausspruch von Konrad Adenauer neuen Glanz zu verleihen: ‚Mache Dich erstmal unbeliebt, dann wirst Du auch ernst genommen.’
Reporter: „Herr Maurer, Herr Way, willkommen. Danke, dass Sie sich Zeit nehmen, um uns ein paar Fragen zu beantworten.“
Maurer lächelt freundlich und nickt, ich schaue mir gelangweilt das Stadion an und zucke mit den Schultern.
Reporter: „Herr Way, natürlich möchte ich zunächst von Ihnen erfahren, welches Geheimrezept Sie besitzen, dass Sie auf dem Weg sind, den vierten Aufstieg in Folge einzufahren.“
Way: „Pff. Meinen Sie, das verrate ich? Der Mensch da würde das doch sofort nachmachen.“ Ich deute mit dem Kinn auf Reiner Maurer, der die Augenbrauen hebt. „Dann steigt Osnabrück auch auf, und dass kann ja wohl wirklich niemand ernsthaft wollen.“
Reporter: „Oh, starke Worte, Herr Way. Herr Maurer, möchten Sie antworten?“
Maurer: „Der junge Kollege sollte vielleicht ein wenig Anstand erlernen.“
Ich lache lauthals und hebe den Daumen.
Reporter: „Nun, Herr Way, mich interessiert es trotzdem. Was ist Ihre Philosophie?“
Way: „Drei Punkte.“ Sage ich gelangweilt. Dann beuge ich mich an dem Reporter vorbei und brülle Maurer entgegen: „Hast Du das gehört, Drecksack?“
Maurer: „Also, ich muss doch sehr bitten!!“
Der Reporter ist um Kontrolle bemüht.
„Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie sich nicht leiden können!“
Maurer: „Leiden? Ich habe diesen Mann nie vorher gesehen.“
Way: „Und Sie hätten soo viel lernen können.“
Maurer: „Also, ich muss das wirklich nicht mitmachen hier!“
Reporter: „Herr Way – ich bitte Sie!“
Ich drehe mich weg und murmele deutlich hörbar ins Mikro: „Pah. Mädchen.“
Reporter: „Herr Maurer, vielleicht möchten Sie uns den Gefallen tun und uns etwas zum Spiel sagen?“
Maurer: „Wir sind gut drauf, Kevin Krampl ist gerade erst zum Spieler des Monats gekürt worden. Die letzten Spiele haben wir alle gewonnen. Ich sehe also keinen Grund, warum sich das heute ändern sollte, auch wenn der Herr dort das wohl anders sieht.“
Reporter: „Auch Remscheid ist gut drauf. Was sagen Sie, Herr Way und bitte, bewahren Sie Ruhe.“
Way: „Bin ruhig.“
Reporter: „Gut. Also, was meinen Sie?“
Way: „Ach, was Herr Mau übersieht-„
Maurer: „Maurer!“
Way: „Gesundheit. Also, was Herr Mau übersieht, ist wohl die Tatsache, dass wir noch viel mehr gewonnen haben als sein-„ Ich hebe Zeige- und Mittelfinger beider Hände und knicke Sie zweimal ein, „Team. Und: bei uns spielen zwei Brasilianer und einer, der schwarz ist.“
Maurer: „Ich wüsste nicht, was das zu sagen hätte.“
Way: „Und genau das unterscheidet uns voneinander.“
Reporter: „Werden Sie offensiv spielen oder eher aus der sicheren Deckung heraus?“
Maurer: „Meinen Sie mich?“
Reporter: „Ja, warum nicht?“
Maurer: „Wir werden alles tun, um das Spiel zu gewinnen.“
Reporter: „Herr Way?“
Way: „Hm?“
Reporter: „Ihre Antwort?“
Way: „Meine Antwort ist: ja.“
Der Reporter wartet einige Sekunden ab, aber ich sehe ihm nur milde lächelnd ins Gesicht. Dann wendet er sich der Kamera zu und gibt zum Reporterplatz.
VfL Osnabrück (7.) – FC Remscheid (1.)Osnatel Arena, Zuschauer: 10.142
Anpfiff. Osnabrück ist ein stark besetztes Team, das Anlaufschwierigkeiten hatte, während Remscheid nominell schwächer besetzt, aber in Topform ist.
1.: Rausch völlig frei, aber er vergibt. Und stand im Abseits.
3.: Eigentlich hat Remscheid den Ball sicher, aber dennoch kommt Osnabrück zum Torabschluß: Krampl lässt rechts Dang Khoa stehen und schießt tückisch auf das Tor, aber knapp drüber.
8.:
TOR VFL OSNABRÜCK (Corstjens, ET.) – 1:0. An Dämlichkeit nicht zu überbieten! Zwar ist die Flanke von Kampel in den Remscheider Strafraum scharf, aber außer Corstjens, Schönheim und Jebbour steht dort kein Angreifer. Schönheim will wohl den Ball weg schlagen, trifft aber genau Corstjens und von dort ins eigene Tor. Kessler ist viel zu überrascht.
13.: der Augleich durch John, aber wieder Abseits.
16.: Freistoßchance für Osnabrück, aber klar drüber
25.: Remscheid kommt jetzt zu etwas mehr Spielanteilen
35.: Wieder Osnabrück, nachdem der Ball eigentlich schon geklärt war, aber Zilavec verzieht
38.: der FCR mit der ersten Chance: Leandro völlig frei, aber deutlich daneben
44.:
TOR VFL OSNABRÜCK (Kral, -) – 2:0. Und wieder legt Remscheid sich den Ball selbst ins Netz. Nach einem Freistoß von halblinks köpft Kampl, aber Kessler pariert glänzend, Thoelke köpft den Abpraller, den Corstjens von der Linie schlagen will. Er trifft aber nur Nijholt, den erneuten Abpraller verwertet dann Kral
Halbzeit. Osnabrück sehr stark und gleichzeitig die schlechteste Remscheider Leistung seit langem.
Ich schreite in der Kabine auf und ab. Meine Spieler diskutieren miteinander und rufen sich wahlweise auf Deutsch, Flämisch, Französisch, Portugiesisch, Holländisch und irgendwelchen Bergdorfdialekten Wortbrocken zu. Schließlich hebe ich beide Arme.
Die Meute verstummt.
"Männers!" sage ich mit tief eingesogener Luft.
"Wat is' dat da?? Wat soll dat?" Ich blicke in die Runde. Viele lassen den Kopf hängen. Corstjens meldet sich. Ich nicke hm zu: "Corstjens?!"
"Scheff. Ich muss mal kacken."
Ich nicke knapp.
Corstjens steht auf und geht steifbeinig Richtung Klo. Ich hebe den Arm und zeige auf ihn, blicke dabei aber in die Runde.
"Hört Ihr das? DAS ist Einstellung!"
Die Spieler blicken hinter Corstjens her, der gerade eben mit einer Stadionzeitung unter dem Arm um die Ecke verschwindet.
"Der Mann, der gerade da drinnen abführt, hat es erfasst."
Die Spieler schauen zu mir. Und sich fragend an.
"Ihr fragt Euch, was das soll? Einfach! Wenn man zuviel Scheisse bei sich hat, muss die wech!"
Ich gehe jetzt langsam vor den Reihen auf und ab.
"Scheisse, davon habt Ihr gerade genug. Ihr habt quasi alle Verstopfung. Also: was machen wir? Kacken gehen. Alle miteinander. Und genau das werden wir jetzt tun." Ich klatsche einmal in die Hände.
Die Spieler blicken mich an, dann wendet sich Zimmermann um und hebt die Hand.
"Zimmermann?" mache ich.
"Trainer, wir sind das Gästeteam. Die Gästekabine hat aber nur ein Klo."
Ich blicke einige Sekunden in Zimmermanns Gesicht, dann zur Seite, wo mein Co Opdam mit verschränkten Armen und regungslosem gesicht steht. Er nickt kurz.
"Matthias hat Recht. Nur ein Klo. Das wird zeitlich knapp. Die Kabine des Heimteams hat allerdings mehr."
"Fein", sage ich und drehe mich zu den Spielern zurück. "Wir werden also jetzt alle Mann zu den Osnabrückern gehen und denen die Klos vollkacken. Ihr sagt nix, tut nix, sondern steht einfach nur an. Fragen?"
Niemand meldet sich.
"Gut, also los."
'VfL Osnabrück' steht auf der Tür, die ich forsch öffne. Rainer Maurer macht gerade eine Taktikanalyse. Er hält inne und kreischt auf.
"Way?! WAYYY! RRRRAUS HIER! UNVERSCHÄMTHEIT!!! SECURIII---"
"Nee, nee, immer ruhig, mein Bester. Wir haben leider einen kleinen analen Notstand und können den nur hier beheben." sage ich ruhig und blicke demütig zu Boden.
"ABER, DAS IST DOCH!! WAY! RRRRAUSSSSS!!!"
"Gut, ich gehe."
Während ich mich umdrehe und zur Tür schreite, watscheln meine Spieler einer nach dem anderen durch diese hinein und stellen sich ordentlich in Reih und Glied vor die drei WCs.
Zur Halbzeit steht der Reporter wieder am Spielfeldrand und sucht sich Interviewpartner, findet aber niemanden. Barry Opdam steht schließlich bereit.
Reporter: „Herr Opdam, wie ist Ihre Sicht auf den Spielverlauf?“
Opdam: „Nicht optimal, würde ich sagen. Wir waren zu zaghaft und Osnabrück kaltschnäuzig. Das wird sich gleich ändern.“
Reporter: „Ihr Trainer Herr Way war vor dem Spiel, nun sagen wir, recht „offensiv“ mit seinen Ankündigungen.“
Opdam: „Ja, das ist er manchmal.“
Reporter: „Und teilen Sie seine Ansichten?“
Opdam: „Wir haben zusammen Erfolg, also würde ich sagen, ich bin hinter ihm. Ich würde manche Dinge vielleicht anders formulieren. Allerdings findet er oft die richtigen Worte. Jetzt ebenfalls wieder.“
Reporter: Worum ging es in der Kabinenansprache?"
Opdam: "Um Kot."
Reporter: „Gut, ähh... danke. Hier kommt gerade Reiner Maurer, auch ihm würde ich gerne kurz ein paar Fragen stellen: Herr Maurer, Taktik aufgegangen? Aber warum sind sie denn so blaß? Und was riecht hier so fäkal?“
Maurer: „Ach, eine kleine Ungereimtheit. Aber: ja, natürlich. Fühlt sich sehr gut an.“
Reporter: „Was war bislang ausschlaggebend.“
Maurer: „Das wir besser waren, ganz einfach. Und das Maul nicht so aufreissen.“
Maurer geht weiter.
Reporter: „Gut, danke. Freuen wir uns auf die zweite Halbzeit.“
47.: gleich ein Eckball durch Kral, den Zilavec daneben köpft
50.: Remscheid mit einer Ecke, aber Jebbour verliert leichtfertig den Ball, der Konter läuft und endet in einem Eckball für Osnabrück
51.: gleiches Bild, nur andersrum: der VfL spielt die Ecke, aber die Hereingabe wird zu Rausch geklärt. Der läuft über das gesamte Feld und holt am Ende selbst eine Ecke heraus
60.: Remscheid bringt mit Zohore für John einen zweiten Mittelstürmer
61.: Rausch mit einem Ball am Strafraum, aber er verfehlt deutlich
70.:
TOR FC REMSCHEID (Rausch, Jebbour) – 2:1. Der Anschlusstreffer! Remscheid kombiniert sich langsam rechts voran, bis Jebbour schließlich eine Flanke hereingibt. Der Ball wird vor die Füße von Rausch geklärt, der den Abpraller volley in die Maschen zimmert
76.:
TOR FC REMSCHEID (Juca, Leandro) – 2:2. Was für ein Tor!!! Leandro bekommt auf Höhe der Mittellinie einen Ball, behauptet ihn und spielt quer zum freien Juca, der aus 25 Metern direkt in den Winkel trifft!
82.: nach einigen Zweikämpfen kommt Leandro an den Ball und schießt etwas überhastet aus zwanzig Metern drüber
85.: jetzt kommt mit Choupo-Moting der dritte Stürmer. Remscheid will den Sieg.
86.: der ebenfalls eingewechselte Tinga mit der Riesenchance, aber er bringt aus zehn Metern den Ball nicht im Netz unter. Stattdessen unterläuft Corstjens den weggeschlagenen Ball aus der Abwehr und kann sich nur noch mit einem Foul helfen
88.: die Hereingabe klärt Choupo-Moting ins Aus. Osnabrück hadert jetzt mit dem Schiri und will da ein Foul gesehen haben
89.: Drei Minuten Nachspielzeit
Abpfiff.
TV-Interviews nach dem Spiel. Ich trete an die Gruppe aus Reporter, Maurer und Fernsehtechniker heran und freue mich. In der Hand halte ich eine Fahrrad-Trinkflasche, gefüllt mit Korn.
Reporter: „Ah, Herr Way, schön, dass Sie zu uns kommen. Vielleicht möchten Sie gleich Ihr Fazit ziehen?“
Way: „Tja, warum eigentlich nicht. Ich würde sagen: leider geil.“
Reporter: „Sie sind zufrieden mit dem Ergebnis?“
Way: „Klar, Mann. Warum nicht?“
Reporter: „Vor dem Spiel sind Sie sehr zuversichtlich gewesen und ich hatte den Eindruck, Sie würden sich als klarer Sieger sehen?!“
Way: „Ach, so, das. Nee, ehrlich, war doch geil. LEIDER geil, wa, Maurer? Hähähä!“
Maurer wendet seinen Kopf angeekelt-pikiert ab.
Reporter: „Können Sie präzisieren?“
Way: „Immer, mein Bester. Erste Halbzeit war natürlich irgendwie nicht so gut. Natürlich braucht Osnabrück ein Eigentor von uns, um in Führung zu gehen und schlechte Abwehrarbeit, um die Führung auszubauen. Anders hätten die doch nie getroffen.“
Ich nehme einen Schluck aus der Flasche, spüle die Zähne und schlucke dann runter.
„Dann war Halbzeit und ich sach den Jungs, wir müssen jetzt aber auch mal anfangen irgendwann. Und abführen. Dat war die Idee vonne Corstjens. Ham wir gemacht und gut, am Ende nur 2:2, aber egal. Weiterhin Erster. Und Osnabrück? Ach, irgendwo weit hinter uns halt.“
Maurer: „Sie sind wirklich eklig, Way!“
Way: „IIICCCHHHH? Hömma, wenn Du nich verliern kanns!“
Reporter: „Gut, gut, alles in Ordnung, vielen Dank, Herr Way.“ Er wendet sich Reiner Maurer zu. „Und was sagen Sie dazu? Ihre Spielanalyse dürfet deutlich anders ausfallen.“
Maurer: „Allerdings. Remscheid war in der ersten Halbzeit nicht präsent-„
Way: „Gar nicht wahr.“
Maurer: „- und wir haben das Feld wesentlich zielstrebiger bespielt-„
Way: „Papperlapapp.“
Maurer: „-und uns die klareren Torchancen erarbeitet.“
Way: „In Deinem Kopf.“
Reporter: „Und Sie, Herr Way, sind anderer Meinung?“
Ich sehe den Reporter freundlich an. Dann lege ich einen Arm um seine Schulter und sage leise in sein Mikro: „Hey, Mann, Sie und ich, wir wissen doch, dass man Kindern nicht ihr Spielzeug wegnehmen sollte.“ Dann knuffe ich ihn in die Seite und zwinkere in die Kamera.
Maurer: „Hören Sie, das ist grotesk. Ich werde das Interview beenden.“
Way: „HA! Sehen Se, sehen Se?“
Reporter: „Bitte beruhigen Sie sich, meine Herren! Wir sind doch alle erwachsen!“
Ich zucke mit den Schultern, Maurer schüttelt den Kopf.
Reporter: „Also, ich würde sagen, wir beenden die ‚Analyse’ hier. Vielen Dank, die Herren.“
Maurer dreht sich um und geht. Ich dränge mich noch an den Reporter heran.
Way: „Darf ich noch jemanden grüßen?“
Reporter: „Nein.“
Way: „Menno.“
http://www.youtube.com/watch?v=d2N9jMIQpkE
Mein Fernsehauftritt hat einen eindeutigen Effekt gehabt: die Liste derjenigen Spieler, die sich vorstellen können nach Remscheid zu wechseln, hat sich über Nacht verdoppelt. Plötzlich finde ich Spieler des AC Milan (Rubén Pérez) dort oder vom FC Bayern (Devic). Außerdem haufenweise deutsche Jugendspieler. Ich lasse also scouten bis zum Gehtnichtmehr.