Ich sehe die Probleme mit der Jugendausbildung auch, aber bis auf den fehlenden bulligen Mittelstürmer auf europäischem Spitzenniveau ist der Mix in der Nationalmannschaft aktuell doch ziemlich gut mMn. Gnabry und Sane sind doch genau die Spielertypen, die auch mal was individuell lösen und nicht abspielen. Wer gesehen hat, was Sane damals bei Schalke für absurde Solos hingelegt hat, kann mir nicht erzählen, dass der durch die Jugendausbildung zu sehr glattgebügelt worden ist. Aus zentraler Position kommt jetzt noch ein Musiala dazu, der absolute Unberechenbarkeit verströmt, und mit Havertz und Wirtz kommen da auch noch spannende Spieler nach. Mit Werner hat man auch nen sehr ordentlichen Mittelstürmer, der halt von seiner Anlage besser zu Umschaltmannschaften passt und nicht zur Nationalmannschaft, die ständig tiefe Blöcke knacken muss.
Ich sehe das fundamentale Problem irgendwie nicht (bis auf den fehelenden Mittelstürmer). Nationalmannschaftsfußball ist durch das gestiegene Niveau bei Mannschaften aus der zweiten Reihe einfach unberechenbarer geworden. Da reichen dann drei Spiele mit Abschlussschwäche und einmal ab der 60. Minute ausgecoacht worden zu sein und schon fährt man nach der Gruppenphase nach Hause. Klar kann man Flick vielleicht noch vorwerfen, vor dem Turnier immer Dreierkette gespielt zu haben und dann zum Turnier eine wenig eingespielte Viererkette aufzustellen, aber auch das hätte genügt, wenn man gegen Japan zur Halbzeit 3:0 geführt hätte, was durchaus möglich war.
Bei der EM hatte man das Pech schon im Achtelfinale auf eins der zwei Teams zu treffen, das mit seiner B-Elf noch Titelfavorit gewesen wäre, und auch das Spiel hätte mit etwas Glück anders ausgehen können. Wenn man nicht wie Frankreich oder England 20 Weltklassespieler im Aufgebot hat, muss man sich irgendwie abheben. Man kann wie Kroatien, Marokko diese WM oder Portugal 2016 einen extremen Stabilitätsfokus setzen und sich dann bis zum Halbfinale immer im Elfmeterschießen durchwurschteln und dafür nur noch todöde Spiele abliefern, oder es wie Italien mit einer guten Spielanlage versuchen. Und die haben sich dieses Jahr nicht mal qualifiziert, auch weil sie extrem Pech mit der Chancenverwertung hatten.
Einer der Gründe, warum es mir dieses Jahr sehr leicht gefallen ist, quasi keine WM zu schauen, und warum sich das auf Sicht auch nicht ändern wird, ist, dass sich der Fußball auf Nationalmannschaftsebene mehr und mehr in die Richtung verschiebt, wo er Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger war: extremer Stabilitätsfokus und vorne regeln die Superstars. Ab und zu kommt mal jemand mit einem anderen Ansatz durch, konstanten Erfolg wie von Frankreich gibt es anscheinend nur noch so. KI-Guardiola schreibt doch immer darüber, wie groß die Rolle von Zufall bei einer kurzen Reihe von Spielen in einem Low-Scoring-Game ist, und die Antwort, die erfolgreiche Teams gefunden haben, ist, die Anzahl an Zufallsereignissen (ergo Chancen) noch weiter zu drücken. Flick hat bei dieser WM den umgekehrten Weg gewählt und dann schlecht gewürfelt.