@kaisi, Alpha: Tatsächlich, so schnell entsteht eine Wohnortdiskussion... interessant! Ich war übrigens in China
Am nächsten Morgen befinde ich mich auf dem Trainingsplatz. Das Training ist nicht öffentlich, doch befinden sich zahlreiche Reporter hinter der Spielergruppe.
Unsere Trainingseinrichtungen müssen dringend verbessert werden!
Ich will soeben eine Ansprache halten, als ich ein surrendes Geräusch höre. Ein Schrei. Björn Schlicke liegt winselnd auf dem Boden und hält sich den Kopf. Ich eile zu ihm und finde einen prall aufgepumpten Ball aus Schweinsleder. Ich nehme ihn, halte ihn hoch, und frage in die Menge.
„Wer war’s?“
Schweigen.
„Wer war es, wer hat den Ball geschossen?“
Ein Raunen geht durch die Reporterschar, dann zeigen plötzlich alle auf einen zentral stehenden Menschen mit Vollbart und kreischen: „Sie war’s, sie war’s... äh-ähh... Er war’s, er war’s!“
Ich blicke skeptisch. „Kann es sein, dass Weibsvolk anwesend sind?“
Ein Murmeln. „Nein. Nein. Nöö. Nein...“
Samstag, 27. AugustBereits am Vortag sind wir in Hamburg angekommen. Wolfgang Overath hat sich vor der Abfahrt mit mir zusammengesetzt, um die Taktik zu besprechen. Er sieht den Gesamttrend positiv, meint aber, dass die Defensive gegen das spielstarke, wenn auch schlecht gestartete Hamburg (11. Platz), gefestigt werden muss. Wir haben uns auf eine defensive 4-4-2-Kontertaktik geeinigt, in der gegebenenfalls Van der Vaart in Manndeckung genommen wird. Das entscheide ich aber vor Ort.
Sonntag, 28. August3. Spieltag Saison 2005/06
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Hamburger SV - 1. FC Köln
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Fernsehkameras – richtig, stimmt ja! Das Spiel wird live übertragen. Oh, eine gute Chance für mich, Monika Lierhaus endlich persönlich kennen zu lernen! Auf dem Weg zum Premiere-Tisch jedoch fällt mir ein: Monika Lierhaus ist ja schon lange nicht mehr bei Premiere. Na, gut... muß ich mit Dieter Nickles Vorlieb nehmen...
Verdammt, sehe ich scheisse aus im Fernsehen…
das muss an diesen Bildbearbeitungsprogrammen des digitalen Fernsehens liegen!
Nickles: „Herr Denkler, herzlich willkommen zu unserer Live-Übertragung des Spiels Ihres FC gegen den HSV.“
Denkler: „Vielen Dank, Frau Lierhaus, äh, pardon... Herr Nickles.“
DN „Hehe, liegt wohl an meiner Frisur. So... Es ist viel geschrieben worden über Sie und Ihren Werdegang in letzter Zeit. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass das Schicksal der Mannschaft zu sehr ins Hintertreffen gerät?“
HD „Es stimmt, aber meine Geschichte bietet ja auch genügend Stoff für Reportagen. Das Team allerdings kann dadurch auch ruhiger arbeiten.“
DN „Wie das? Die Zahl der Reporter hat zugenommen.“
HD „Allerdings, das habe ich mir sagen lassen. Aber es ist doch so, dass sich alles auf meine Person fixiert. Spielt der FC schlecht, dann ist es dieses mal mehr denn je Schuld des Trainers.“
DN „Sie sprechen Ihre geringe Erfahrung im Leistungssport an...“
HD „Meine nicht vorhandene Erfahrung!“
DN „Richtig. Trotzdem übernahmen Sie den Job. Musste Ihnen das nicht wie ein Höllenritt erscheinen?“
HD „Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, wer offenen Auges durch die Welt geht, kann sich schnell auf Situationen einstellen, wie ungewöhnlich sie auch sein mögen. Klinsmann, zugegebenermaßen mit der Fußballwelt vertraut, hat es ja auch gemacht.“
DN „Sie folgen der Tradition der Trainer, die nie hoch gespielt haben: Finke, Daum... Was muss man da anders machen?“
HD „Da ich keine Erfahrungen in der Praxis besitze, kann ich meine theoretischen Kenntnisse und meine Ideen nur im Verbund mit Praktikern umsetzen. Dazu habe ich sehr gute Leute in Köln, allen voran natürlich Wolfgang Overath, der mir stets zur Seite steht.“
DN „Ein Wort noch zu den Umständen Ihrer Mission. Wie geht es Ihrem Freund Thomas?“
HD „Wenn ich das wüsste. Ich hoffe nur, er bekommt mit, was hier wegen ihm geschieht!“
MD „Reden wir also über das aktuelle Geschehen. Ihre Mannschaft muss gegen den HSV ran. Was rechnen Sie sich für heute aus?“
HD „Schwierig zu sagen, weil wir uns noch früh in der Saison befinden. Anders als wir ist der HSV unterdurchschnittlich gestartet, aber nach zwei Spieltagen kann man das natürlich noch nicht bewerten. Ich hoffe einfach, dass die aktuelle Form beider Teams zumindest für diesen Spieltag bestehen bleibt.“
DN „Haben Sie noch mehr im Hintergrund als diese Hoffnung?“
HD (lacht) „Wenn Sie wüssten...! Aber im Ernst: wir werden versuchen, unser Spiel durchzudrücken, also Kampfstärke und schnelle Kombinationen. Zugegeben, die Abwehr des HSV ist bärenstark – unser Sturm im Augenblick aber auch.“
DN „Danke, Herr Denkler, für dieses Gespräch. Wir werden uns nach dem Spiel noch wiedersehen.“
HD „Sehr gerne, vielen Dank, Frau Lierles... Nickles... HERR Nickles!“
MD „Viel Glück und Erfolg!“
HD „Ihnen auch!“
So, das war mein erstes echtes Live-Interview. Junge, junge, sind diese Scheinwerfer heiß...
68.Minute: Wechsel Scherz für Podolski, noch mehr Zeitspiel!
73.Minute: Lauth zentral am 16er, schießt, doch Wessels hält. Barbarez kommt am 5er mit dem Kopf an den Ball, Wessels hält. Ailton steht frei an der Torecke, Wessels hält. Puh...
80.Minute: wunderbares direktes Kurzpassspiel des FC, doch Streit verliert den Ball an van Buyten. Das Mittelfeld steht blank, alle sind aufgerückt. Van der Vaart läuft mit der Kugel am Fuß auf den 16er zu und schießt aus 20 Metern, doch rechts vorbei.
90.+3.Minute: Alpay kocht Lauth ab und läuft einige Meter. Dann spielt er den Ball halbhoch nach vorne. Streller knackt an der Mittellinie die HSV-Abseitsfalle und läuft dem Ball hinterher. An der linken Ecke des 16ers kommt er an die Kugel und hebt sie über Kirschstein. Der Ball landet im rechten Eck. 0:3!
90.+4.Minute: Das Spiel ist aus. Wir gewinnen 0:3! Wahnsinn!!
Dieter Nickles, Thomas Doll und ich stehen nach dem Spiel zum Interview zusammen. Aus der Nähe betrachtet sieht Doll noch vernarbter aus wie im Fernsehen. Wie sagte Basler einst über Christian Ziege? Wie ein rasierter Totalschaden. Irgendwie stimmt das... ich bin aber begeistert, neben so einem Mann stehen zu dürfen, quasi auf Augenhöhe, denn wir beide sind nun Trainer. Und ich habe sein Team geschlagen! Irre!
DN „Herr Doll, Herr Denkler, schön, dass Sie nach dem Spiel zu uns gefunden haben! Herr Doll, zunächst die Frage, wie Sie sich diese Niederlage erklären können.“
TD „Ganz klar über die Chancenverwertung und die Klasse der gegnerischen Abwehr! Wenn die was zugelassen haben, hat Wessels klasse pariert oder wir haben vorbei geschossen.“
DN „Teilen Sie diese Ansicht, Herr Denkler, dass Ihr Team eigentlich unterlegen war?“
HD „Nicht ganz, denn von Unterlegenheit will ich nicht reden. Das 0:3 ist zu hoch und dem Spielverlauf vielleicht nicht angemessen, da gebe ich Herrn Doll recht. Jedoch will ich nicht sagen, dass wir unverdient gewonnen haben.“
DN „Wenn man Teile der ersten Halbzeit betrachtet, Herr Doll, muss man sich fragen, warum Ihr Team nicht schon zur Pause deutlich geführt hat.“
TD „Ich sagte es ja gerade schon. Wir haben oft zu schnell den Abschluß gesucht. Viele Torschüsse kamen von außerhalb des 16-Meter-Raums und gingen entweder am Tor vorbei oder wurden von Stefan Wessels gehalten. Das 0:1 kurz vor der Pause hat dann sein übriges dazu getan. Dann wird es natürlich schwierig für uns.“
HD „Da pflichte ich Herrn Doll bei. Das Elfmetertor, unstrittig übrigens für mich, kam nicht nur sehr unerwartet, sondern auch zum günstigsten Zeitpunkt, direkt vor der Pause. So konnte ich das Team direkt danach punktuell und kollektiv auf die neue Situation einstellen.“
DN „Dennoch hat sich der HSV auch in der zweiten Hälfte viele Chancen herausgespielt. Herr Doll, was müssen Sie zur nächsten Partie ändern, um keinen Fehlstart in die Liga zu riskieren, neben der Chancenverwertung, meine ich.“
TD „Eigentlich nicht viel. Wir müssen die Kiste treffen. Dazu müssen wir insgesamt cleverer agieren vor dem Tor, auch mal einen oder zwei Querpässe spielen und auf die wirklich gute Chance warten. Die Spieler haben wir dafür und die Einstellung ebenfalls.“
DN „Herr Denkler, Ihr rheinisches Märchen scheint erst mal weiter zu gehen. Was ist für Sie zu tun, um diesen Lauf beizubehalten?“
HD „Wir dürfen nicht nach links und nicht nach rechts schauen, sondern unsere Blicke auf den Punkt fixieren, der da „40 Punkte“ heißt. Das sollten wir nicht vergessen! Wir sind ein Aufsteiger mit kleinem Etat, wenigen bekannten Namen, aber einem großen Herz und wahnsinnigen Fans. Das soll und wird uns tragen. Wie sagte Olli Kahn einst? ‚Weitermachen, immer weitermachen!’ Genau so soll es sein.“
DN „Dann wünsche ich Ihnen beiden für Ihre kommenden Spiele viel Erfolg und gutes Gelingen.“
In der Kabine, die ich für das Interview verlassen habe, finde ich das Team in klasse Stimmung wieder. Alpay hat meine Hose dabei, gewaschen. Braver Mann. Seine hängt noch bei mir zuhause auf der Leine... ich nehme mir nach den Beglückwünschungen Zeit und greife zum Handy. Die Nummer meines Chef-Physios, Schäferhoff, habe ich gespeichert. Esklingelt drei mal, dann geht er dran.
„Herr Denkler! Welche Freude! Haben wir gewonnen? Haben wir es diesem Rieger gezeigt?“
„Ja... Rieger?“
„Nicht so wichtig. Was gibt’s denn?“
„Was ist mit Andreas?“
„Ähh... mit wem?“
„Ottl. Andreas Ottl.“
Schweigen.
„Unserem Spieler.“ Füge ich hinzu.
Schweigen.
„Der sich heute verletzt hat.“
Noch mehr Schweigen.
„Dem FUSSBALLER!!!“
„Ah, ja, jaa! Jetzt weiß ich. Da stand ich doch etwas auf der Leitung. Hehe, passiert mir schon mal. Nicht oft, aber manchmal bin ich doch etwas verwirrt. Neulich erst, da hat doch meine Frau... oder war’s meine Schwester...??“
„Schon gut. Was ist also mit ihm... Ottl. Was ist mit Ottl?“
„Wieso fragen Sie denn? Wissen Sie, ich bin hier gerade auf dem Golfplatz. Phantastische Anlage und...“
„Herr Schäferhoff, hören Sie mich?“
„Ja?!“
„Hören Sie mir genau zu!“
„Ja??“
„Ottl! Spieler! Heute auf dem Platz! Aua! Böse weh getan! Du Medizinmann. Sag mir wie lange Ottl Aua!!“
„Ah, Ottl. Andreas. Hm, ja, den habe ich behandelt...“
In diesem Moment wünsche ich mir einen Hals wie George Lucas, der anschwillen kann bis nach Finkenwerder.
„Ja. Und?“
„Er ist verletzt.“
„Schäferhoff...“
„Er, er hat einen Riss. Mehr kann ich nicht sagen.“
„Einen Riss? Wo?“
„Sehne. A...Achillessehne... glaube ich. Fällt vermutlich länger aus.“
„Prognose?“
„Lange.“
„Genauer?“
„Sehr lange...?!“
„Gut. Danke.“
Ich hänge ein. Neben mir steht Christian Rahn. Ich nehme ihn beim Arm.
„Christian?“
„Herr Denkler?“
„Erinnere mich daran, dass ich einen neuen Physiotherapeuten einstellen will.“
„Klar, mache ich.“