Ich hatte aber leider nicht mit der Investigativpotenz der schreibenden Presse gerechnet. Ich wollte einen Belagerungszustand des FC-Vereinsgeländes erreichen. Das war geschafft. Leider wurde ich selbst auch belagert.
Meine Wohnung: Presse.
Meine Apotheke: Presse.
Mein Haus, mein Auto, mein Boot... Presse.
Irgendwie hatte man mich als Initiator der Aktion ausgemacht. Schade. So war das nicht geplant. Ich überlegte, wie ich da wohl wieder herauskommen würde. Jez’ Handy war leider nicht mehr zu erreichen. Hatten diese Klöster etwa keinen Sendemast?? Meine Frau war einigermaßen genervt, zumal sie von meiner Aktion nichts wusste. Gestern fiel das Wort „Anwalt“ erstmals. So konnte das nicht weitergehen. Unterdessen verlor der FC wieder ein Spiel. Nicht mal da hatte mir mein genialer Plan geholfen. Ich suchte die Telefonnummer meines Freundes Markus heraus. Ihm gehörte ein großes First-Reisebüro auf der Alleestrasse und ich wollte wissen, wie teuer ein Flug nach Tibet ist. Gerade griff ich zum Hörer, um ihn anzurufen, da klingelte es.
„Ja, bitte?“
Ich hatte mein übliches „Schönen guten Tag“ durch die Pressebelagerung kurzzeitig (wie ich hoffte) ausgesetzt. Ein junge Frauenstimme mit deutlich rheinländischem Touch meldete sich.
„Geschäftsstelle des 1. FC Köln, Sie sprechen mit Frau Poensgen. Der Vorstandsvorsitzende Herr Overath bittet um ein kurzes Gespräch. Hätten sie einen Moment Zeit?“
„Guten Tag, Frau Poensgen.“ Da war er, der Anruf, auf den ich bereits seit längerem gewartet hatte. Vor mir lief der FM 2006 auf dem Monitor und ich schaute schnell beim FC rein, damit ich alle Namen der regierenden Riege parat hatte. Vielleicht konnte mich das retten.
„Ich stehe Herrn Overath gern zur Verfügung.“
„Danke, Herr Denkler. Einen Augenblick bitte, ich stelle sie durch.“
Klick. Di-di-di-di-diiiii-dii-dii-di-di-di... schlimm genug, daß ich jetzt Streß kriegte, aber diese monotone
Warteschleife fiel garantiert unter die Genfer Konvention. Ich stand schon mal auf und holte mir einen Magenbitter.
„Overath hier, schönen guten Tag, Herr Denkler."
Ohhh. Ein Gott persönlich in der Leitung...
„Schönen guten Tag, Herr Overath. Was darf ich für sie tun?“
„Uns liegen Informationen vor, dass sie der Urheber der Protestwelle um diesen Fan in Tibet sind. Ist das korrekt?“
„Ich gebe zu, dass es sich um einen Freund von mir handelt und ich die Informationen seiner Abreise nicht vertraulich behandelt habe.“ Vielleicht konnte mich hochtrabendes Gesülze retten. „Insofern bin ich wohl die Ursache, aber der Hype entstand durch die Medien.“
„Ja, ja, das wissen wir alles. Jedenfalls wird hier in Köln mehr und mehr ihr Name genannt.“
Ich erschrak. Davon hatte ich noch nichts gehört. „Oh!“
„Die Fans“, fuhr Overath fort, „fordern eine Galionsfigur, eine Person ihres Vertrauens. Jemanden, der aus ihren Reihen stammt.“
Was sollte das denn bedeuten? Ich war doch gar kein Fan des FC...
„Wir werden ohnehin einen neuen Trainer zur kommenden Saison installieren, aber wir brauchen dringend Ruhe im Umfeld. Wir müssen die Fans in unserem Rücken wissen.“
„Das halte ich für einen vernünftigen Vorschlag“, sagte ich. Etwas besseres fiel mir nicht ein. Ich stapelte Informationen in meinem Kopf. Soll Jez nun etwa Köln-Trainer werden? Er ist doch gar nicht da! Im Augenblick würde er irgendwo, in eine orangene Tunika gekleidet und mit Ziegenledersandalen an den Füßen in einem arschkalten Gemäuer sitzen und sein Mantra wiederholen. Ich hörte, wie Overath am anderen Ende Luft holte.
„Können Sie mir irgendwas über ihre Referenzen als Trainer sagen?“
Ich war für den Bruchteil einer Sekunde durch meinen FM abgelenkt, als mein Blick über den Kader des FC strich. Ich lächelte in mich hinein.
„Na ja, ich bin schon weit gereist. Ich war in Liverpool, Nottingham, London, in Brighton, in Hull, ich war in Eindhoven, in Bochum, in Dortmund und in Leverkusen. Meine schönsten Jahre hatte ich in Essen und in Kaiserslautern. Allerdings...“
„Da sind sie überall gewesen?“ fragte Overath erstaunt. „Das reicht mir. Wer bei solchen Vereinen hospitieren darf, kann uns retten.“
„Ähh... ja.“ Was redete dieser Mann da? Das sollte eigentlich ein Witz sein, denn ich meinte den FM.
„Ich würde sie gerne treffen, um mit den Verhandlungen zu beginnen. Gegebenenfalls arbeiten sie als vorgeschobene Figur für Fachkräfte im Hintergrund, das will ich ihnen nicht vorenthalten. Wir müssen unsere Anhänger beruhigen. Bitte nennen sie mir einen Zeitpunkt, an dem sie einen Termin frei hätten.“
Einen Termin vereinbaren? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Worum ging es überhaupt?
„Herr Overath, ich muss gestehen, dass ich im Augenblick etwas auf dem Schlauch stehe. Sie wollen mich, um ihre Fans in Zaum zu halten?“
„Richtig, aber nicht nur. Sie scheinen in den meinungsmachenden Kreisen große Akzeptanz zu genießen. Die brauchen wir jetzt. Bitte arbeiten sie für uns!“
Ich überlegte kurz, jedoch erschien es mir ein guter Gedanke. Wenn ich irgendwie Jez wieder nach Deutschland holen könnte, dann doch wohl am besten, indem ich das Übel an der Wurzel ergriff, beim FC.
„Gut, Herr Overath. Ich habe im Augenblick Urlaub. Sie können also über mich verfügen. Bitte nennen sie mir Zeit und Ort.“
„Dann würde ich mich freuen, wenn sie morgen um 11.00 Uhr im Dom-Hotel erscheinen könnten. Sie kennen den Weg?“
„Ja, danke.“ Ich hatte schließlich noch vor kurzer Zeit Hundert Meter entfernt als Parkwächter gearbeitet, während des Studiums.
„Dann freue ich mich auf unser Zusammentreffen. Bis morgen, Herr Denkler.“
„Ich freue mich auch. Bis morgen... Herr Overath.“
Klick im Telefon.
Klick im Kopf.