Dem EU-Beitritt der Türkei stellen sich in meinen Augen mehrere Hindernisse entgegen:
1 - Die Aufnahmekapazität der EU: mit der Aufnahme der ehemaligen Ostblocks hat man eine gewaltige witschafts- und gesellschaftspolitische Aufgabe übernommen, die bis zum Jahre 2014 höchstwahrscheinlich auch noch nicht bewältigt sein wird. Es geht nicht nur um den Aufbau der durch den Kommunismus heruntergewirtschafteten Staaten, es geht auch um eine Verschmelzung von Gesellschaften, die seit dem zweiten Weltkrieg freiheitlich lebten, und von Gesellschaften, in denen ein übermächtiger Staat diktatoriell die Richtung vorgab. Es geht für den "Westen" auch darum, die Konkurrenz anzunehmen und auf bisher allgegenwärtigen Wohlstand und Bequemlichkeit zu verzichten, es geht darum, den Kuchen ab jetzt nicht mehr alleine aufzuessen, sondern zu teilen.
Dazu herrscht momentan eine große Unzufriedenheit mit der EU, teils wegen diese Wohlstandsverzichts, teils wegen einer unsinnigen Kontroll- und Regulierungswut (siehe Bananen) der Brüsseler Bürokratie. Was ich meine: ich glaube nicht, das es schlau wäre, die Türkei in den nächsten Jahrzehnten aufzunehmen. Sie wäre dann der bevölkerungsreichste Staat und würde meiner Meinung nach zu einer völligen Überforderung der Bürger, aber auch des Staatsbündnisses EU führen.
2- Aussenpolitik und Vergangenheitsbewältigung der Türkei: Wie gesagt. Zypern- und Kurdenfrage, aber auch Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern. Die Türkei verneint diese historische Tatsache konsequent, es gibt Denkmäler für die türkischen "Helden", die bei dieser ethnischen Säuberungsaktion gefallen sind. Es haben sicher auch andere europäische Staaten Defizite in ihrer Vergangenheitsbewältigung (die Engländer glorifizieren ihre Kolonialzeit immer noch), aber ich halte es trotzdem für richtig, diesen historisch unwiderlegbaren Genozid anzuprangern und Reue dafür zu verlangen.
3- Die gesellschaftlich Struktur. Hier bin ich vielleicht sehr radikal, aber ich bin der Meinung, daß eine auf einem unreformiertem Islam beruhende Gesellschaftsform nicht in Einklang mit den rechtstaatlichen und menschenrechtlichen Prinzipien, auf denen die "westlichen" Gesellschaften größtenteils beruhen, zu bringen ist. Die Türkei ist allerdings ein Sonderfall, da das Laizitätsprinzip hier eine unglaublich wichtige Rolle spielt. Sicherlich ist auch in einer weltoffenen Stadt wie Istanbul die Situation eine völlig andere als in kleineren Gemeinden.
Trotzdem gibt es wohl angesichts der "Bedrohung" durch die eher negativen westlichen "Werte" wie Materialismus und Individualismus in der Türkei eine Rückbesinnung auf den Islam, was leider zu einem Verfall z.B. der Frauenrechte führt. Es ist übrigens falsch, daß die Verschleierung der Frau nicht im Koran vorkommt, an mehreren Stellen wird betont, daß die Frau sich zu verhüllen hat, was man natürlich interpretieren kann, wie man will. Bereits Mohammed betrieb Vielweiberei und liess die Frauen um die Ecke bringen, die ihm keine Freude mehr bereiteten....
Jetzt muss ich weiter ausholen: solche wenig sinnvollen Dinge stehen natürlich auch in der Bibel. Das alte Testament ist ein einziges Textgewirr voller Krieg, Bluttaten und Rassimus. Man stelle sich nur den Exodus vor: die Israeliten kriegen von ihrem Gott ein Land zugeteilt, das nur eben gerade zufällig von einem "minderwertigen" Volk bewohnt wird - das natürlich in der Folge belagert und ausgerottet wird. So was nennt man Feldzug mit Genozid.
Der Unterschied zum Islam ist der, das es in der Geschichte des Christentums 2 Reformationen gab: eine davon war die Gründung, bei der Jesus Werte wie Gleichberechtigung, Friedfertigkeit und Nächstenliebe in den Vordergrund stellte. Eine zweite fand dann nach dem Mittelalter statt, wo nach vielen Irrungen, Wirrungen und Toten die Religion Christentum zweigeteilt und danach in den Privatbereich jedes Einzelnen zurückgedrängt wurde. Das Christentum hat sich größtenteils (mit Ausnahme von ein paar Ewiggestrigen) von dem alten Testament losgesagt, hat vieles, was in der Bibel steht, in Frage gestellt und hat die Entscheidung in gesellschaftspolitischen Fragen dem Staat überlassen. Jeder darf heute über die Religion denken, was er will, ohne gesellschaftliche Ächtung befürchten zu müssen. Das "Gesetz Gottes" wurde durch Menschenrechte und freiheitliches Denken ersetzt, zwar ist einiges mit eingeflossen, dennoch vieles unabhängig von Religion entstanden.
Eine solche Reformation ist im Islam möglich, aber in meinen Augen noch schwieriger. Während es im Christentum durch eine Berufung auf Jesus und das neue Testament möglich war, daß - zumindest bei den evangelischen Christen und bei den Katholiken, die nicht dem Apparatschik Vatikan angehören - z.B. Frauen gleichgestellt wurden und das Wort Gottes nicht mehr als Gesetz betrachtet wurde, ist dies im Islam fast unmöglich. Alleine die Verwebung von Staat und Religion ist im Koran sehr viel stärker: Mohammend war nicht nur Prophet, sondern auch Kriegsherr und Staatsführer, Jesus "nur" Prophet. Es gibt im Koran keine Stellen, die Frauen und Männer auf die gleiche Stufe heben. Im Endeffekt würde nur eine fast komplette Lossagung von dem Buch als Grundlage der Religion zu einer Reformation führen können.
In der Türkei ist diese Reformation sicher von allen islamischen Ländern am weitesten. Dennoch ist sie in meinen Augen noch lange nicht weit genug, was die Wahl einer sich auf den Islam berufenden Partei, die vor nicht allzu langer Zeit noch aus Hardcore-Islamisten bestand, belegt. Solange große Teile der türkischen Gesellschaftvon der Religion Islam in ihrem aktuellen, unreformierten Zustand dominiert werden, sehe ich keine Möglichkeit zum Beitritt. Hier hat die Türkei eine Riesenaufgabe vor sich, deren Lösung Vorbildcharakter für alle anderen islamischen Staaten haben könnte: seht her, es geht, der Islam funktioniert auch als in den Privatbereich zurückgedrängte, fortschritts- und frauenfreundliche Religion.