"Ich brauche eure Unterstützung"
Nach seinem überraschend klaren Wahlsieg über John Kerry gab sich George Bush versöhnlich. Er machte seinem Kontrahenten Komplimente und warb um das Vertrauen von dessen Wählern. Doch Experten sind skeptisch, ob der Präsident, einer der polarisierendsten in der amerikanischen Geschichte, einen Kurswechsel vollzieht.
Zufriedener Wahlsieger Bush: Versöhnlicher Ton
Washington - "Amerika hat gesprochen und ich bin demütig angesichts des Vertrauens und der Treue meiner Mitbürger", sagte Bush gestern Abend vor Tausenden jubelnden Anhängern in Washington. Er wolle nun die Stabilisierung des Irak und die Reform der Sozialsysteme vorantreiben. "Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es der breiten Unterstützung der Amerikaner. Deshalb möchte ich heute zu jedem sprechen, der für meinen Kontrahenten gestimmt hat: Um dieses Land stärker und besser zu machen, werde ich eure Unterstützung brauchen, und ich werde daran arbeiten, sie mir zu verdienen."
Der Demokrat Kerry hatte seine Niederlage zuvor öffentlich eingeräumt und damit die Ungewissheit über den Wahlausgang beendet. Er habe Bush in einem Telefonat zu seiner Wiederwahl gratuliert und ihn aufgefordert, die Spaltung des Landes zu überwinden, sagte Kerry in Boston. Er habe über die Notwendigkeit gesprochen, wieder eine gemeinsame Basis zu haben und zusammenzufinden. "Ich hoffe, dass wir heute damit anfangen können", sagte der Senator aus Massachusetts in einer emotionalen Rede.
Angesichts der Stimmenverteilung im letztlich entscheidenden Bundesstaat Ohio sei klar, dass er keine Chance mehr habe, Präsident zu werden, sagte Kerry. "Ich würde diesen Kampf nicht aufgeben, wenn es noch eine Chance für uns gäbe zu gewinnen." Sein Eingeständnis der Niederlage sah Kerry als Schritt, die USA nach dem erbitterten Wahlkampf wieder zu einen. Dafür sei wichtig, dass die Wahl von den Wählern und nicht durch Gerichte entschieden werde, erläuterte er.
Mit dem Eingeständnis seiner Niederlage gab Kerry das Tauziehen um den bis zuletzt umkämpften Staat Ohio auf. Damit fielen Bush die 20 letztlich entscheidenden Wahlmännerstimmen des Staates zu. Mit ihnen verfügt er nun über eine Mehrheit in dem Wahlkollegium, das im Dezember den Präsidenten kürt. Auch im Repräsentantenhaus und im Senat baute Bushs Partei ihren Vorsprung aus. Die Republikaner haben somit auf allen Regierungsebenen eine deutliche Mehrheit.
Nach einem erbittert geführten Wahlkampf machten so viele Amerikaner wie seit Jahrzehnten nicht mehr von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Rund 120 Millionen oder knapp 60 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Für Bush stimmten 51 Prozent der Wähler, er erhielt drei Millionen Stimmen mehr als Kerry.
Nächstes Ziel Iran?
Ob Präsident Bush in seiner zweiten Amtszeit tatsächlich eine Politik der Einigung betreiben werde, darüber gehen die Meinungen unter Experten jedoch auseinander. Gestärkt durch ein deutlicheres Mandat und eine größere Mehrheit in Kongress und Senat könnte der wiedergewählte Staatschef seinen von neokonservativen Beratern geprägten Kurs mit noch größerer Überzeugung weiterverfolgen - insbesondere auch in der Außenpolitik.
Darauf ließen schon Bushs Äußerungen während des Wahlkampfes schließen. "Er hat im vergangenen Jahr klargemacht, dass er die grundsätzliche Linie seiner Politik nicht ändern wird", sagte der konservative Republikaner Gary Schmitt gestern der Nachrichtenagentur Reuters. Er schloss einen radikalen Kurswechsel Bushs aus: "Seine Vision wird die gleiche bleiben".
Bush könnte jedoch Mitglieder in seiner außenpolitischen Mannschaft austauschen und kleinere Kurskorrekturen aus taktischen Gründen vornehmen, sagte Schmitt weiter. Zu Bushs ehrgeizigen Plänen zählt, den Irak in einen demokratischen Staat umzuwandeln und sicherzustellen, dass Iran niemals Atomwaffen besitzt. Um dies zu erreichen schließt Schmitt selbst einen Militäreinsatz in Iran als letzten Schritt nicht aus.
Patrick Cronin vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien hält dagegen einen grundlegenden Kurswechsel für unabdingbar. Um seine außenpolitischen Ziele zu erreichen, müsse Bush stärker auf Diplomatie und Kompromisse mit den Demokraten setzen sowie an der Verbesserung der transatlantischen Beziehungen arbeiten. Die außenpolitischen Herausforderungen - darunter die Stabilisierung des Irak, der Krieg gegen den Terrorismus und der Nahost-Konflikt - seien so groß, dass Bush auf Verbündete im In- und Ausland angewiesen sei.
Um diese Aufgaben zu meistern, müsse Bush einen neuen Konsens mit den Demokraten und den europäischen Ländern finden. Sollte Bush dennoch bei seiner harten Linie bleiben, ist nach Worten Cronins eine außenpolitische "Katastrophe" zu erwarten.
Lee Feinstein, ein früherer Berater des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton, hält es indes für möglich, dass dem Präsidenten in seiner zweiten Legislaturperiode die Puste ausgeht: "Es ist wirklich die Frage, ob sie die Energie, die Leute und die Ideen haben, um große außenpolitische Schritte zu unternehmen". Der immer noch andauernde Irak-Einsatz hindere die USA bis auf weiteres daran, sich Iran oder Nordkorea anzunehmen.
Ohio wurde zum Zünglein an der Waage
Spannend war die Wahl bis zuletzt in Ohio geblieben: In der Wahlnacht hatte Kerrys Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, John Edwards, noch angekündigt, seine Partei werde "um jede Stimme kämpfen", da der Wahlausgang in dem entscheidenden Staat noch unklar sei. Diese Situation hatte Befürchtungen genährt, die Wahl könnte sich, wie vor vier Jahren, erst nach wochenlangem juristischen Tauziehen entscheiden. Beide Parteien hatten bereits Anwälte in Stellung gebracht. Bush lag in Ohio mit mehr als 135.000 Stimmen in Front. Allerdings waren dort bis zu 175.000 Stimmen vorläufig zur Wahl zugelassener Wähler noch unberücksichtigt geblieben.
Wie erwartet errangen die beiden Kontrahenten Siege in ihren Hochburgen. Bush punktete bei der von einer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung geprägten Abstimmung vor allem in den Südstaaten und im Mittleren Westen und eroberte dabei auch Florida. Der Südstaat war der größte der bis zuletzt unentschlossenen Staaten. Kerry gewann dagegen besonders in den Staaten an der Ost- und der Westküste - unter anderem im zuvor unentschiedenen Pennsylvania und im kleineren Ostküstenstaat New Hampshire, der 2000 noch für Bush votiert hatte.
Schröder, Blair und Prodi unter den Gratulanten
Bundeskanzler Schröder schrieb in einem Glückwunschtelegramm an Bush: "Ich werde unsere enge und gute Zusammenarbeit, die wir hatten, fortsetzen." Dies diene den Interessen der USA ebenso wie denen Deutschlands und Europas. CDU-Chefin Merkel wies darauf hin, dass das Verhältnis zwischen USA und Europa wieder besser werden müsse. Dies erfordere aber Anstrengungen von beiden Seiten.
Auch der scheidende EU-Kommissionspräsident Romano Prodi beglückwünschte Bush und sprach sich für eine engere Zusammenarbeit mit den USA aus. "Ich hoffe, in dieser zweiten Amtszeit werden die USA und die ganze Welt in den Genuss einer politischen Stabilisierung und der Garantie einer kollektiven Sicherheit kommen, für die wir alle unser Äußerstes getan haben", sagte Prodi.
Großbritanniens Premierminister Tony Blair rief dazu auf, bei der Schaffung von Frieden im Nahen Osten eng mit dem wiedergewählten Bush zusammenzuarbeiten.