@Muffi: Dankeschön! Du bist übrigens nicht der einzige, der etliches Neues gelernt hat zum Thema "dänischer Fussball".
Es macht auch für mich einen der großen Reize solcher "kleiner-Verein"-journeyman-Saves aus, dass ich entlang des Weges immer wieder auf Informationen stoße, die mir bisher unbekannt waren.
@t.oelpel: Danke, mal sehen, wie erfolgreich das wird. Und ein extradanke, dass Du mich auf das Versäumnis aufmerksam gemacht hast!
Boldklubben Frem København
Mitte Juli 2044, Valby, Kopenhagen"Neeeeiiiin!"
Ich raufe mir die Haare und gestikuliere wild am Spielfeldrand.
"Musse spiele lango ... äh ... Ausweis? ... nee: Pass ... vonne die Attacke Hansen Clement, nicht das .... öh .... kurze Hose .... mit der .... rechte Flugzeug? ... Eslund!"
Bjarne Østergaard schaut mich verständnislos an. Ich stelle mein fruchtloses Dänisch-Gestammel ein und versuchs mit englisch, das er immerhin besser beherrscht als ich seine Muttersprache.
"Just play longer passes to your attacking partner Hansen Clement! Your short passing attempts to Eslund are not getting us anywhere!"
Unser Zielspieler sortiert mit sichtbaren Schwierigkeiten meine wahrscheinlich auch wieder suboptimal ausgesprochenen Vokabeln, dann strahlt er plötzlich übers ganze Gesicht und nickt.
"Ah, seek Hansen Clement, ignore Eslund. Aye, coach!"
Sprichts und orientiert sich wieder Richtung gegnerisches Tor.
Ich seufze innerlich.
Was wir hier im Testspiel gegen die Amateure von Vallenbæk zeigen, ist zwar nicht allzuschön, aber immerhin führen wir kurz vor Schluß in diesem ersten Testspiel mit 4:3.
Ich hab allerdings den Eindruck, als hätten die Jungs meine Taktikidee immer noch nicht so richtig verstanden.
Denn eigentlich soll das Chaos auf dem Rasen ein simples 442 mit Flügelfokus sein - und zwar ganz einfach deswegen, weil der Kader mehrere wirklich gute Flügelflitzer für die dritte Liga aufweist.
Der Afghane Nouristani (der einzige Nichtskandinavier unter den gut 60 Spielern in den drei Mannschaften des Vereins) ist links unangefochten, gleiches gilt für Stando rechts.
Dass wir mit dem Zwei-Meter-Mann Bjarne Østergaard und dem quirligen Aske Hansen Clement auch noch ein geradezu klassisches "big man little man"-Duo für den Sturm im Kader haben, macht das Flügelspiel samt hoher Flanken zu einem noch viel folgerichtigeren Taktikansatz.
Dachte ich eigentlich.
In der Praxis stellt sich heraus, dass es eine ganz eigene Herausforderung ist, wenn ein leidlich englisch sprechender Luxemburger und eine Mannschaft voller ebenfalls nur leidlich englisch sprechender Spieler versuchen, sich gegenseitig über Taktikfragen einig zu werden.
Seit meinem dritten Tag hier nehm ich Dänisch-Unterricht und kann inzwischen schon "Guten Tag" und "Einen Kaffee bitte" mit fürchterlichem Akzent radebrechen.
Für eine Spielvorbereitung sind diese Sprachansätze aber natürlich nur bedingt brauchbar.
Auch wenn es zugegeben schön war, dass mir höchst eilfertig in Rekordzeit gleich neun Kaffee gebracht wurden, als ich mein neugewonnenes Wissen am siebten Tag praktisch anwenden und die Jungs auf Dänisch begrüßen wollte...
Überhaupt: die einzigen beiden Menschen, mit denen ich mich ohne große Probleme verständigen kann, sind die Jensens.
Mit Papa Jensen auf englisch - der spricht die Sprache dermaßen gut, dass ich mir daneben wie einblutiger Anfänger vorkomme.
Aber eigentlich kein Wunder, führt er im Hauptberuf doch ein international tätiges mittelständisches Unternehmen, das die Kunden für seine Produkte (aus Holzabfällen hergestellte Möbel in viktorianischem Stil) vor allem in England findet.
Mit seiner Tochter Svea dagegen könnte ich auch englisch sprechen (da ist sie genauso gut wie ihr Vater) - aber allzuoft sprechen wir .... letzeburgisch!
Mir ist fast der Unterkiefer in den Kaffeepott gefallen, als sie mir breit grinsend erklärte, dass sie meine Muttersprache spricht.
Warum?
Ganz einfach - sie hat ihren "Master of Science in finance and economics" an der Uni Luxemburg gemacht!
Und hatte natürlich nichts besseres zu tun, als mir diese Sprachkenntnisse erstmal zu verheimlichen und feixend dabei zuzusehen, wie ich verzweifelt versuche, auf englisch klarzukommen!
Wenn sie nicht so verdammt sympathisch wäre, hätte ich ihr das womöglich übelgenommen...
Seit ich das aber nun weiß, ist sie öfter als sie das ursprünglich wohl geplant hat Teil der Trainingseinheiten.
Wenn ich nämlich auf englisch nicht mehr weiterkomme und dem Trainerstab und den Spielern eine bestimmte Idee nicht vermitteln kann, erklär ichs ihr und sie übersetzt dann ins Dänische.
Einfach geht anders, klar, aber das ist immer noch besser als wie ein Trappatoni-Rumpelstilzchen 2.0 hin und her zu hüpfen, weil keiner der Jungs versteht, was ich sagen will.
Allerdings hat auch dieses Vorgehen einen ziemlich bedeutenden Nachteil.
Die Spieler verstehen Sveas Dänisch natürlich super - allerdings sind sie in der Praxis allzuoft damit beschäftigt, ihre niveauloseren Stammhirnteile unter Kontrolle zu halten und deswegen so abgelenkt, dass sie doch wieder nur Bahnhof verstehen.
Und deswegen steht es jetzt, als der Schiedsrichter superpünktlich abpfeift, auch 4:3 und nicht 4:0.
Unser Gegner war sechstklassig, aber diesen Klassenunterschied hat man nicht gesehen.
Da liegt noch viel Arbeit vor uns.
Immerhin gewonnen - wenn Keeper Johansen nicht kurz vor Schluß diesen Flipperball rechtzeitig abgefangen hätte, der in den Strafraum flog, hätten wir den Sieg womöglich sogar noch aus der Hand gegeben und die Zuschauer zusätzlich verärgert.
Zuschauer? Japp, etwa 400 Fans haben sich tatsächlich die Mühe gemacht, ins Stadion zu kommen, um dieses erste Testspiel unter "Lava" zu verfolgen.
Man höre und staune, ich habe tatsächlich schon in den ersten zwei Wochen einen Spitznamen von der Lokalpresse bekommen - wahrscheinlich nur, weil es den Damen und Herren Schreiberlingen zu mühselig ist, jedesmal nachzuschauen, wie genau man "Lawajöh" nun eigentlich schreibt.
Egal, Spitzname ist Spitzname.
Ich klatsche mit den Spielern ab, als sie verschwitzt und nur mäßig zufrieden an mir vorbei zu den Duschen traben.
"Good game, boys, not perfect but a good start."
Ich hab das Gefühl, dass immerhin die Hälfte verstanden hat, was ich gerade gesagt habe - es wird. Langsam zwar - gaaaaanz langsam - aber immerhin.
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Als ich mich am 6. Juli bei den Spielern vorstellte, sah das ein bißchen anders aus.
Ich hatte alle drei Teams - erste Mannschaft, die hier "B-Team" genannte Reserve und die U18 - zusammenrufen lassen, genauso wie alle sportliche Angestellten des Vereins.
Möglicherweise war ich ein bißchen zu aufgeregt ob der komplett neuen Herausforderung, vielleicht war ich auch nicht so richtig hundertprozentig bei der Sache - immerhin hatte ich die ganze Zeit Sveas Parfüm in der Nase, die direkt neben mir stand.
Im Endeffekt war meine Begrüßung jedenfalls, wenn auch kein kompletter Griff in die Badkeramik ... nennen wir es doch einfach mal ganz diplomatisch "ausbaufähig".
Das Problem war nicht, dass bisher exakt niemand jemals von Gerad Lavayeux gehört hatte, auch wenn FOLA Esch zumindest vom Namen her ein paar Leuten bekannt war.
Das Problem war, dass mein englisch stammelig, mein dänisch nichtexistent und mein französich, englisch und deutsch genau null hilfreich war.
Aber daran arbeite ich ja bereits.
Was mir - Sprachbarriere hin oder her - aber schon bei den ersten Trainings auffiel: insbesondere die erste Mannschaft ist gut zusammengestellt, wenn man bedenkt, wie klein die Auswahl guter Spieler für einen Verein mit dem Ruf des BK Frem ("war mal ein guter Club - so vor hundert Jahren") ist.
Svea macht da offenbar einen richtig guten Job - denn wie ich zu meinem Erstaunen feststellte, ist sie tatsächlich (unter anderem) hauptverantwortlich für die Kaderplanung und die Verhandlungen mit potentiellen Neuzugängen.
Es gibt quer durch alle Mannschaften eine klare Spielidee, nach der die Spieler ausgewählt werden, gleichzeitig hat sie es geschafft, dass das nicht eben üppige Gehaltsbudget noch großzügigen Spielraum aufweist, ohne dass es im Kader große, noch zu stopfende Lücken gäbe.
Ich war beeindruckt.
Erste Mannschaft
B-Team
U 18
Einzig in der Innenverteidigung könnte es für meinen Geschmack noch etwas mehr Auswahl geben - vor allem etwas mehr Auswahl an robusten, kopfballstarken, tacklingfreudigen Spielern.
Aber das ist fast schon ein Luxusproblem.
Das Ziel, auf das wir uns während meiner Vertragsunterzeichnung geeinigt haben (Aufstiegsplayoffs erreichen), ist zwar kein Selbstläufer, aber auch nicht allzu ambitioniert, wenn ich ehrlich bin.
Wieso bin ich dieser Meinung?
Nun, ganz einfach: die 2. Division wird in zwei Zwölfergruppen ausgespielt.
Die jeweiligen Meister steigen direkt auf, die Vereine auf den Plätzen 2-6 spielen nach einem mir noch nicht hundertprozentig klaren System weitere Aufsteiger aus.
Das heißt, "Aufstiegsplayoffs erreichen" ist im Endeffekt das gleiche Saisonziel wie "obere Tabellenhälfte".
Und DAS sollte mit diesem Kader nun wirklich machbar sein, es sei denn, die anderen Vereine bedienen sich sämtlich bei Leihspielern in der ersten Liga.
Wir haben zwar auch so einen Partnerverein in der Superliga, aber wenn es sich irgendwie vermeiden läßt, werde ich ganz sicher nicht auf Leihspieler setzen.
Nachdem alle Spieler an mir vorbeigetrabt sind, pack ich noch meine Taktiktafel mit unserer geplanten Standardtaktik ein.
Und dann ist erstmal Feierabend für heute.
Morgen arbeiten wir auf dem Trainingsplatz das heutige Spiel auf - vorausgesetzt, ich kann mich verständlich machen - und dann sinds nur noch 5 Tage bis zum nächsten Testspiel.
Diesmal gegen Hellas.
Nee, nicht Hellas Verona, sondern Boldklubben Hellas, einen lokalen Kopenhagener Amateurclub.
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Als ich abends in meinem Hotelzimmer sitze (die Wohnungssuche ist zwar angelaufen, aber bisher nicht von Erfolg gekrönt), trinke ich in leicht melancholischer Stimmung auf zwei abgestiegene Ex-Vereine und einen Meister.
Im Klartext - der FC Winterthur hat die Erstligasaison ohne mich genauso erfolgreich bestritten wie im vorherigen Versuch mit mir: Abstieg. Nur diesmal direkt, als Letzter.
Die Red Boys sind ihrem Ruf als Fahrstuhlmannschaft leider auch wieder gerecht geworden.
Und FOLA Esch ist wieder Meister.
'In diesem Sinne: Prost!', denke ich und nehme einen kräftigen Schluck Faxe aus der Dose, die ich aus der Hotelbar mitgenommen habe, weil mir der Name vertraut vorkam.
Zehn Sekunden später stehe ich am Kühlschrank und hole mir ein richtiges Bier.