24.06.2020 – 14:30 UhrDie Zeit verging wie im Flug. Hätten sich nicht irgendwann
Mones‘ Magen gemeldet – der immer etwas früher dran war als meiner – hätten wir beiden gar nicht gemerkt, dass es schon früher Nachmittag war.
Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte unbarmherzig auf die wenig Schatten spendenden Büsche.
„Ich habe Durst.“ Mone‘ setzte sich unter einen uralten verkrüppelten Olivenbaum.
Ich nahm neben ihr Platz.
„Und mir knurrt der Magen.“„Kehren wir um?“, merkte ich an und spürte, dass ich eigentlich keine Lust mehr hatte, den Hügel noch weiter hinaufzulaufen.
„Unser Boot geht eh in zwei Stunden und wir müssen vorher noch etwas essen. Es wird eine lange Fahrt.“Ergeben nickte meine Freundin, stand auf und trottete mir hinterher, während ich versuchte mich zu orientieren.
Es war aber offensichtlich nicht so leicht, den Weg zurückzufinden. Der Wind hatte unsere Spuren im Sand verweht und ich hatte während der Wanderung nicht auf den Weg geachtet und waren mal hier und dort hingelaufen.
Nicht so clever, wenn man bedenkt, dass wir uns auf der Nebeninsel eines uns fremden Landes befinden.
Gozo war die schönere Variante des kleines Inselstaates Malta, die wir während unseres 16-tägigen Urlaub einmalig besuchten.
Früh morgens um acht aufgestanden, um mit dem Bus rechtzeitig am Hafen anzukommen, damit wir die Fähre erreichten.
Wandern bei 26 Grad.
Nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung. Ich wollte aber unseren ersten gemeinsamen Urlaub als Paar nicht vermasseln. Da muss man auch mal oder gerade trotz meiner üppigen Figur durch.
Und wie sagt man so schön? Jeder Gang macht schlank.
Blicken wir auf Anfang des Jahres zurück. Da brachte ich 182 Kilo auf die Waage. Mit viel Disziplin und der Unterstützung meiner Freundin, die Physiotherapeutin war, hatte ich es geschafft in einem halben Jahr knapp 30 Kilo zu verlieren.
Jetzt war es aber Zeit für eine Auszeit. Die Arbeit stresste, Corona stresste und wir wollten die kurze Gelegenheit nutzen, um aus Deutschland zu fliehen. Der Sonne entgegen. Drei Wochen am Pool oder Meer. Cocktails schlürfen. So hatte ich mir das eigentlich vorgestellt.
Meine Freundin aber nicht. Einen Tag wandern durch Valetta, den anderen hier eine Ruine besichtigen, da eine Kirche. Jeden Tag über 15.000 Schritte. Sah so ein Urlaub aus? Ich denke nicht.
Heute war dem aber ein Ende gesetzt. Ich hatte um 16:20 Uhr eine private Bootstour gemietet. Mit Ritt in den Sonnenuntergang. Das Wetter schien heute dafür zwar nicht überragend, die 150€ wollte ich aber nicht in den Sand setzen.
So brachen wir auf, griffen unterwegs Pommes auf und machten uns auf den Weg zum Gozo Ferry Terminal.
Dort sollte Josef auf uns warten, mit dem ich seit zwei Tagen im regen Austausch war. Ein kleines Boot, nur Platz für Simone und mich. Und ganze vier Stunden um die Insel, alle Sehenswürdigkeiten mitzunehmen.
Aber der Wellengang heute war monströs. Josef hatte alles im Griff. Meine Freundin ihren Magen aber weniger. Sie genoss die erste Stunde auf dem Boot also eher weniger.
Während sie an meine Schulter gelehnt die Augen zu machte, kamen Josef und ich ins Gespräch.
Ich war in solchen Sachen nicht gut. Eher introvertiert. Aber über ein Thema konnte ich mich bei jeder Person auf der Welt öffnen – Fußball.
Ich hatte mich im Vorhinein zwar über die heimische Liga informiert, leider war es mir aber missgönnt, ein Spiel auf de Insel live zu sehen.
Josef fing an zu erzählen. Ich erzählte ebenfalls von mir. Er wirkte überrascht, als ich ihm sagte, dass ich daheim in Deutschland selbst eine Mannschaft trainierte. Sogar eine B-Lizenz hatte. Und dass trotz meiner üppigen Figur. Wir redeten über Philosophien und Taktiken, ehe wir von einem lauten Grölen aus unserer Blase gerissen wurden.
Simone hatte es fertiggebracht, sich in das Mittelmeer zu übergeben. Wir lachten, ich versuchte ihre Haare zu halten, doch der Wind machte dies zu einer unmöglichen Aufgabe.
Auf mein Grinsen kam nur ein böser Blick. Ich rollte zwar mit den Augen, nahm sie aber wieder an meine Schulter. Josef und ich kamen wieder ins Gespräch.
Er erzählte, dass sein Vater gerade einen neuen Trainer für eine Mannschaft suchte. Es war aber schwierig auf Grund der aktuellen Zeit einen Trainer vom Festland zu akquirieren. Und der Maßstab an Trainern auf Malta war nicht sehr hoch.
Ich sagte ihm scherzhaft, dass er ihm ja meine Nummer geben könne.
Seine Frage, ob er das wirklich tun könnte, kam überraschend ernst rüber. Anschließend drückte er mir eine selbstgebaute Angelschnur in die Hand.
„Tunas“, und zeigte mit dem Finger auf das Wasser.
„A lot of Tunas“.Vergeblich versuchte ich drei Mal die Schnur so schnell wie möglich an Board zu ziehen. Schien aber nicht schnell genug zu sein. Josef hingegen schaffte es in der Zeit drei Stück zu fangen.
Zwei ließ er wieder frei. Den dritten, den er am
Wied il-Mieah Window fang nahm er mit.
„Bringt Glück,“ sagte er.
Dann ging es langsam wieder zum Hafen zurück. Volle Spannung erwarteten Mone' und ich den Sonnenuntergang auf dem Mittelmeer. Auch der Wellengang hatte sich langsam, aber sicher beruhigt. Meine bessere Hälfte ebenfalls.
So schipperten wir also dem Sonnenuntergang entgegen, ehe wir am Hafen ankamen und die letzte Fähre zurück nach Mellieħa nahmen.
In unserem Hotel gönnten wir uns noch auf dem Dach noch am Pool ein paar Cocktails, ehe mein Handy klingelte.
Simone rollte mit den Augen.
„Hallo Herr Zwick, Bjorn Vassallo hier. Sie wissen zwar nicht wer ich bin, ich ebenso wenig, aber…“Wenige Minuten später legte ich auf.
„Du zittert ja“. Mone nahm mir meinen Cocktail ab und stellte sie an den Poolrand.
„Ich dachte, du wolltest dir wirklich frei nehmen und nicht arbeiten, geschweige denn nicht ans Telefon gehen.“Ich erwiderte ihren bösen Blick.
„Das war nicht die Arbeit.“Also erzählte ich ihr genau die Worte, die mir Herr Vassallo gerade erzählt hatte. Letzteres war Präsident der MFA. Der Malta Football Association. Der Vater von unserem Kapitän am heutigen Nachmittag.
Josef hatte es tatsächlich für bare Münze genommen und seinem Vater von mir erzählt. Mir von meinen Vorstellungen vom erfolgreichen Fußball erzählt. Meine Methoden. All das, was er heute im Laufe des Abends aus mir herausbekam.
Während meine Freundin dachte, ich wolle Sie auf dem Arm nahm, tippte ich den Termin für ein Vorstellungsgespräch am kommenden Freitag ein. In meinem Kopf ratterte es. Es schien so, als wäre das nicht einfach nur eine an den Haaren herbeigezogene Idee, sondern ein neuer Lebensabschnitt. Weg aus der Kleinstadt Lohne, weg aus einem mittelständigen Unternehmen und selbst der Boss sein.
Ob meine Freundin diesen möglichen neuen Abschnitt gemeinsam mit mir bestreiten würde?
27.06.2020 7:30 UhrSeit einer Stunde robbte ich mich im Bett hin und her. Um Simone nicht aufzuwecken, nahm ich mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und setzte mich auf den Balkon des Zimmers. Die Aussicht zu Sonnenaufgang war traumhaft. Links hatte ich den Blick auf das Mittelmeer. Rechts wartete einer von drei Pools auf mich.
Aber der Reihe nach.
Am gestrigen Abend vergnügte sich Simone an der Bar, während ich zum Treffen mit dem Verbandspräsidenten antanzte.
Essen in einem traditionellen Restaurant in Valetta. Kurz vorher hatte ich einen wilden Ritt auf den Straßen Maltas hinter mir. Enge Straßen - schnelle Autos. Alle paar Meter mussten wir Platz für einen Bus machen.
Im Restaurant angekommen gab es
Stuffat tal Qarnit zu probieren. Eine reichhaltige und herzhafte Mischung aus Oktopus mit gekochtem Gemüse wie Kartoffeln und Fenchel.
Die Hölle für jemanden, der die deutsche Küche gewohnt war. Aber ich riss mich zusammen und hatte einen schönen Abend. Es schien weniger um Fußball zu gehen und es schien Björn eher daran zu legen, dass wir uns zwischenmenschlich auf einer Wellenlänge befanden.
Zum Ende des Gespräches trat er dann mit dem Fuß in die Tür und machte mir ein Angebot als Teammanager.
Eine Traineranstellung wäre erst möglich, sobald ich die dafür benötigten Statuten der UEFA erfüllen würde. Das könne er aber unter der Hand geregelt werden, sagte er, während er mir mit einem leichten Grinsen zuzwinkerte.
„Ein Haus, Auto und einem Gehalt von knapp 3000€ netto monatlich. Für den Anfang. Mehr kann ich Ihnen nicht bieten. Aber ich will Sie unbedingt im Team haben – abgemacht?“. Vassallo streckte mir selbstsicher die Hand entgegen.
„Ich fange am 06.07 an – Sie können mir die Adresse ja schicken.“ Antwortete ich und schlug ein.
„Das ist in Ordnung für mich – meine Sekretärin informiert Sie über alles nötige. Und bitte - mein Name ist Björn“. Vassallo‘ beendete das Gespräch und ich überlegte Simone anzurufen und sie schon einmal auf die Nachrichten vorbereiten sollte.
Ich verwarf diese Idee aber gleich wieder. Wir würden nur darüber streiten und wenn sie mir gegenübersteht, würde sie niemals wütend werden. Eher im Gegenteil. Wann würde ich mit diesen Rezensionen nochmal eine solche Chance bekommen?
Vermutlich nie. Nicht mit dieser Vorgeschichte. Ein keiner Inselstaat machte es also möglich. Aber habe ich diese Entscheidung nicht zu voreilig geschlossen?
Mein Kopf würde vermutlich mit ja antworten… Vermutlich war das der Grund, warum ich mich im Bett nur noch von links nach rechts drehen konnte…
Das Gespräch mit meiner Freundin wird sicherlich alles andere als positiv ausgehen.