Kapitel 4: Salvo
23.10.2032, Sheffield, EnglandEin Cheftrainer bei Wednesday steht beidbeinig im Medienfokus – und wenn er vorher in der ersten Liga und sogar im Europacup gearbeitet hat, gilt das natürlich umso mehr.
Da ist es dann auch völlig egal, dass die National League die fünfthöchste englische Spielklasse und damit außerhalb der professionellen Football League ist.
Der Name „Sheffield Wednesday F.C.“ ist eben nicht nur einer der wohl ungewöhnlichsten Clubnamen im Fussball, sein Träger ist auch einer der ältesten Fussballclubs überhaupt.
1867 als „The Wednesday“ und Ableger des „Wednesday Cricket Clubs“ gegründet, haben die Blauweißen eine ebenso bewegte wie ruhmreiche Geschichte vorzuweisen. Höhepunkte sind dabei die vier englischen Meisterschaften (1903, 1904, 1929, 1930), die drei FA-Cup-Siege (1896, 1907, 1935) und der League-Cup-Erfolg (1991).
Vom League Cup mal abgesehen sind die absoluten Glanzzeiten der Nordengländer allerdings schon ein ganzes Jahrhundert her. Nach 1990 gabs grad mal noch den erwähnten Sieg im League Cup, einen dritten Platz in der Premier League (1992) und je eine Finalteinahme im FA Cup und League Cup (beide 1993).
In den dreißig Jahren danach haben die Owls dann eine nicht für möglich gehaltenen Abwärtsspirale durchlebt:
Bis zur Saison 1997/98 noch in der Premier League, folgte dem Abstieg innerhalb von 10 Jahren sogar der Sturz in die drittklassige League One. Zwar gelang bald darauf die Rückkehr in die Championship, aber nach 2020 begann der zweite, heftigere Sturz, nicht zuletzt deswegen, weil der Aufstieg mit exorbitanten Ausgaben einherging, die den Verein beinahe in die Auflösung getrieben hätten (2010).
2022 League One, 2023 League Two, 2026 sogar zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des Clubs der Absturz in die Fünftklassigkeit. Und auch wenn im Jahr darauf sofort die Rückkehr in den Profifußball gelang, war das nur ein kurzes Aufflackern, denn es ging sofort wieder runter.
Seit 2028 gehört Wednesday Jahr für Jahr zu den Aufstiegsfavoriten – und Jahr für Jahr schaffen sie es, besagtem Aufstieg aus dem Weg zu gehen, meist durch erfolgreiches Versagen in den Playoffs.
Und jetzt, in der Saison 2032/2033, scheint nicht einmal das mehr erreichbar zu sein.
Die Owls dümpeln im unteren Mittelfeld der Tabelle herum, ein Abstieg scheint wahrscheinlicher als ein Erreichen der Playoff-Ränge.
Na, genau das soll sich jetzt unter meiner Leitung ja ändern.
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Meine erste Pressekonferenz ist um 9:30 angesetzt und als ich den Raum betrete, hab ich Mühe, meinen Unterkiefer im Zaum zu halten. Der will nämlich ohne Zeitverzug Richtung Fußboden abzischen.
Wenn ich das richtig schätze, sitzen hier gut dreißig Pressevertreter. DREISSIG! In der FÜNFTEN LIGA!
Ich schlucke kurz, hole dann tief Luft und folge McCormick und Pressesprecher Ben Allen aufs Podium.
Wir schauen uns kurz an, dann nickt McCormick unmerklich und Allen ergreift das Mikro und das Wort.
Allen: Herzlich Willkommen zur außerordentlichen Pressekonferenz des Sheffield Wednesday F.C., wir freuen uns sehr, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Ich begrüße unseren Head of Sports Darren McCormick – und natürlich unseren neuen Trainer Henri Schmit.
McCormick: Danke Ben. – Ich schließe mich dem herzlichen Willkommensgruß an. Wir sind sehr glücklich, einen so erfahrenen und erfolgreichen Coach für unseren Club gewonnen zu haben und sind überzeugt davon, dass wir mit ihm zurück in die Erfolgsspur finden. Und damit kommen wir bereits zu Ihren Fragen!
Pressefritze 1: Herr McCormick, „erfolgreich“ trifft auf die letzten Monate Schmits in Rotterdam ja nun gar nicht zu. Wieso glauben Sie, er wird hier - zwei Tage nach seinem Rücktritt bei Sparta – mit klarem Kopf Erfolg bringen?
McCormick: Weil Henri Schmit ein nachweislich höchst erfolgreicher Aufstiegstrainer ist, der sowohl mit Echternach als auch mit Rotterdam unter widrigen Bedingungen die Erwartungen weit übertroffen hat.
Pressefritze 2: Herr Schmit, … oh, ist es in Ordnung, wenn ich englisch spreche? Ich sehe keinen Dolmetscher.
Schmit: Sicher, ich spreche englisch seit meiner Schulzeit.
Pressefritze 2: Danke. – Warum haben Sie einen so herben Abstieg inkauf genommen? Schon den Schritt vom Champions-League-Teilnehmer Jeunesse Esch zum damaligen Zweitligisten Sparta haben ja nicht alle verstanden. Was sagen Sie Leuten, die Ihren Schritt aus der Erst- in die Fünftklassigkeit verwunderlich finden?
Schmit: Sehen Sie das Logo auf meinem Trainingsanzug? *grinst* Haben Sie eine Ahnung, wie gut es sich anfühlt, dieses Logo tragen zu dürfen? Es gibt in Europa eine Handvoll Vereine, die für mich immer eine Überlegung wert sind, völlig unabhängig von der Liga. Jeunesse Esch ist einer dieser Vereine – und Sheffield Wednesday auch. Damit meine ich nicht, dass ich als Kind in Wednesday-Bettwäsche geschlafen habe *grinst noch breiter* - das wär auch unverschämt gelogen.
Was allerdings nichts daran ändert, dass ich eine ziemlich kurze Liste von Vereinen im Kopf habe, von denen mir ein Vertragsangebot immer mehr bedeuten wird als von anderen … Clubs, die ich wirklich gern mal trainieren möchte … bei denen ich Teil der Vereinsgeschichte werden möchte, ums pathetisch zu sagen …. und Sheffield Wednesday ist Teil dieser short list.
Mit anderen Worten: ich bin verdammt stolz, als Trainer hier auf diesem Podium sitzen zu dürfen. Und ich hoffe, dass ich das Vertrauen des Vereins durch Erfolg zurückzahlen kann. Die Voraussetzungen sind jedenfalls gut, soweit ich das bisher gesehen habe.
Pressefritze 17: Haben Sie schon einen Eindruck von der Mannschaft gewinnen können? Wenn ja, wie fällt Ihr erstes Fazit aus?
Schmit: Wir haben gestern zwei Trainingseinheiten durchgeführt, wir haben ja auch nicht viel Zeit bis zum ersten Spiel gegen den United F.C. – Mein Eindruck ist wie gerade schon angedeutet gut, ich denke, ich verspreche nicht zuviel, wenn ich für heute abend eine kämpferisch bessere Elf auf dem Rasen in Aussicht stelle. Das spielerische Element werden wir natürlich nicht vergessen, aber heute liegt der Fokus zunächst klar darauf, wieder eine Mannschaft auf dem Feld zu sehen, die dem Gegner zeigt, dass im Hillsborough nichts zu holen ist.
Pressefritze 3: Was können Sie zur Taktik sagen?
Schmit: Dass wir eine haben. *lacht* Nein, im Ernst – für das erste Spiel werden wir nicht zu viel am taktischen Grundkorsett ändern. Das 4 1 4 1 meines Vorgängers ist eine gute Formation, die grundsätzlich zu den Spielern paßt. Ich weiß noch nicht, inwieweit wir in den nächsten Spielen auf die gleiche Ausrichtung zurückgreifen werden. Aktuell ist es meine vordringliche Aufgabe, dem Team den Glauben zurückzugeben, dass es in der Vanarama National kein einziges Team gibt, das wir fürchten müssen.
Respekt? Natürlich, den hat jeder Gegner verdient. Aber Angst? Nicht mit uns. Wednesday gehört rein qualitativ in die Spitzengruppe dieser Liga. Und deswegen – das können Sie jetzt gern als eine Art Vorschau auf die Zukunft sehen – werden wir perspektivisch von der jetzigen, eher reaktiven Spielidee zu einer aktiven Ausrichtung übergehen.
Pressefritze 6: Noch einmal zurück zu Ihrer vorherigen Station. Es gab Gerüchte, dass es zwischen Ihnen und dem Team zu schweren Zerwürfnissen gekommen sei, manche sprachen gar von einer Spielerrevolte. Wie ist Ihre Sicht der Dinge?
Schmit: *holt tief Luft und denkt einen Moment nach* Zunächst mal – es ist korrekt, dass die Spieler und ich zuletzt nicht mehr auf einer Wellenlänge waren. Revoltiert hat allerdings keiner, ich hatte das Privileg, bei Sparta mit einem Team hochprofessioneller Fussballer arbeiten zu dürfen, denen ich zutraue, mit meinem Nachfolger – wer immer das auch werden wird - den Turnaround und den Klassenerhalt zu schaffen.
Ich hatte noch nicht so viel Zeit, zurückzublicken, aber ich habe den Eindruck, dass das Grundproblem auf meiner Seite lag. Ganz platt gesagt habe ich zum einen nicht genau genug zugehört und zum anderen zu viele Veränderungen in zu kurzer Zeit zu implementieren versucht. Sie können sicher sein, dass mir das nicht noch einmal passieren wird.
Pressefritze 21: Sie haben angeblich Jack Neal als Kapitän abgesetzt und den 18jährigen Ben Barlow zum neuen Kapitän ernannt. Ist das korrekt und wenn ja, wie kam es zu dieser Entscheidung?
Schmit: Das ist korrekt, ja. Jack war nicht glücklich mit der Verantwortung und bat mich, eine andere Lösung zu finden. Ich habe die Mannschaft gebeten, mir drei Kandidaten zu nennen, die sie als Kapitän akzeptieren würden und habe mich unter diesen für Ben entschieden, da er ein hohes Maß an Siegeswillen, Ehrgeiz und Einsatzbereitschaft mitbringt – Eigenschaften, die wir in der jetzigen Situation sehr, sehr dringend brauchen.
Pressefritze 21: Ist sein Alter nicht ein Problem für die Akzeptanz innerhalb des Teams?
Schmit: *zögert einen Wimpernschlag lang* … Nein.
Pressefritze 9: Sie haben ja einen Dreijahresvertrag unterschrieben. Wo planen Sie mit Sheffield Wednesday am Ende des ersten, zweiten und dritten Jahres unter Ihrer Leitung zu stehen?
Schmit: Pläne sind so eine Sache. Sehen Sie, ich habe vor vier Monaten noch nicht geplant, heute hierzusitzen. Wednesday hat 2020 ganz sicher nicht geplant, in der Saison 32/33 in der National League zu spielen … Pläne sind oft nur so gut, wie die Realität es schlußendlich zuläßt.
Das Management und ich haben daher keinen exakt durchchoreographierten Fahrplan im Kopf, wir haben stattdessen aktuell nur ein Ziel, das klar definiert ist: am Ende meines aktuellen Kontraktes soll Sheffield Wednesday wieder Teil der Football League sein.
Wenn wir das vorher erreichen sollten, setzen wir uns erneut zusammen und passen die Zielsetzung an, ganz einfach.
Pressefritze 14: Sie sagten vorhin, Sie haben eine „short list“ im Kopf – mit Vereinen, bei denen Sie ins Grübeln kommen. Wer außer Wednesday und Esch steht denn da noch darauf?
Schmit: *lacht* Ich verrate Ihnen stattdessen einige Namen, die garantiert nicht darauf stehen, einverstanden? – FOLA Esch, Barnsley F.C., Rotherham United, Doncaster Rovers, Sheffield United, Leeds United.
Davon abgesehen: Ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, ich sei stolz, hier Trainer sein zu dürfen.
Den nötigen Erfolg und das Vertrauen seitens des Clubs und seiner Fans vorausgesetzt, kann ich mir sehr gut vorstellen, hier länger als nur ein paar Jahre zu bleiben. Das heißt, das in absehbarer Zeit kein anderer Verein mit einem Angebot um die Ecke zu kommen braucht. Ich bin kein Trainerwandervogel.
McCormick: Wir danken für Ihr Erscheinen und freuen uns darauf, Sie alle heute abend zum Spiel wieder im Stadion begrüßen zu dürfen. Auf Wiedersehen.“
@Akumaru: Da Du ja sowieso eifrig mitliest, hab ich die Antwort auf Deine Frage einfach mal frecherweise in den Text mit eingebaut.