26. Juni – 8:15 UhrEin Vogel piepste irgendwo auf den Dächern meiner neuen Wohnung. Niklas Allbäck hat mich am gestrigen Abend noch zu meiner neuen Wohnung geführt. Und was für eine Wohnung das war, vergleichbar mit den Unterschlupfen in denen ich in den letzten ein, zwei Jahren verbracht hatte.
Es war kurz nach acht Uhr in der Früh. In knapp einer Stunde erwarteten Niklas Allbäck und der restliche Stab zu einem Abschlussgespräch im Vereinsheim. Anschließend standen ein Pressetermin auf der Agenda, sowie das Vorstellen bei der Mannschaft vor dem ersten offiziellen Training. Also machte ich mich auf den Weg. Während des Fahrens programmierte ich das Navigationsgerät – ein Leichtsinn, der wohl schon so manchen Menschen das Leben gekostet hatte. Aber ich war hier wirklich am Ende der Welt gestrandet. Kaum Häuser, schlecht zu befahrene Straßen und karge Straßenbeleuchtung. Aber umso weiter ich Richtung Stadtkern fuhr, umso besser wurde es.
Am OIS-Garden angekommen sah ich in einem der beiden Fenster bereits zwei Männer, die sich in einem Gespräch zu befinden schienen. Ich stellte den Wagen ab und stieg aus.
Ich steckte mir eine Zigarette an und umkreiste vorsichtig mehrere Pfützen, die sich mir auf dem Weg zum Gelände in den Weg stellten.
Ich schaute mich um. Insgeheim müsste mir im nächsten Moment eigentlich ein muskulöser, angriffslustiger Rottweiler gegenüberstehen. Das Grundstück, umgeben von einer hohen weißen Mauer, war der ideale Ort für einen Kettenhund, der gegen Abend losgelassen wurde, um auf dem Gelände für Ruhe zu sorgen.
Als ich an der Tür angelangt war, erkannte ich Niklas‘ Stimme. Ich griff nach der Klinke und drückte sie herunter. Ich betrat eine kleine quadratische Diele und hatte die Wahl zwischen zwei weiteren Türen. Ich hörte wieder Niklas Stimme. Gleichzeitig lag ein schwacher Duft in der Luft. Ich klopfte an die Tür, hinter der ich Niklas sprechen gehört hatte und machte sie auf.
Das Büro war lieblos eingerichtet und erinnerte mich an meine erste Studentenbude. Der Raum war vollgepfropft mit abgewohnten, düsteren Möbelstücken. Der Teppichboden, der eine undefinierbare Farbe hatte, irgendeine Nuance zwischen Braun, Grün und Grau, war übersät mit Flecken verdächtigster Herkunft. Das ungepflegte, stumpfe Holz der beiden Schreibtische war geprägt von Dellen, Kratzern und schwarzen Brandlöchern.
Der Mann, der bei Niklas stand, passte nicht in diese Umgebung. Er trug zwar den typischen dunkelblauen Arbeitsanzug, starr vor Schmutz, und seine Hände, mit denen er sich auf einem der Schreibtische abstützte, waren ungepflegt, aber er hatte etwas an sich, das diesem armseligen Durcheinander hier zu widersprechen schien.
Er war groß und schlank, mit breiten, kräftigen Schultern. Sein Gesicht war schmal und beherrscht. Ein Dreitagebart bedeckte Kinn und Wangen. Das dunkle, etwa schulterlange Haar hatte er im Nacken gebunden. Ich hätte ihn eher für einen Karate-Meister gehalten, als für einen Vereinsfunktionär.
Niklas kam auf mich zu und legte die Hand auf meine Schulter.
„Unser neuer Trainer", stellte er mich vor.
„Hallo", sagte ich.
„Hi." Der Mann hatte sich aufgerichtet und begrüßte mich mit einem knappen Neigen des Kopfs. Er lächelte nicht. Seine Augen waren dunkel, fast schwarz und schienen aus sich heraus zu glühen.
Plötzlich lag eine drückende Stille im Raum. Auch Niklas schien sich ihrer bewusst zu sein. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und murmelte etwas Unverständliches.
Ich wusste nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht denken und erst recht nicht sprechen. Etwas lähmte mich, und ich wusste nicht, was.
Also dann. Niklas fasste den Mann beim Arm und führte ihn hinaus.
Sie rufen mich dann an, sagte er über die Schulter.
Der Mann antwortete nicht. Vielleicht hatte er zu Niklas Worten genickt oder zur Bestätigung die Hand gehoben. Ich drehte mich nicht zu den beiden um.
„Ist der immer so wortkarg?“, fragte ich Niklas nachdem er die Tür geschlossen hatte.
Niklas nickte.
„So sind wir Schweden.“„Ich hoffe, das ist nicht ansteckend“, entgegnete ich mit einem Lächeln.
„Wer war das überhaupt?“ „Das war George Mourad. Ebenfalls Vorstandsmitglied.“„Nun gut. Wollen wir mal zum Vertraglichen kommen“, deute Niklas nach sekundenlanger Stille an und bat mich an den Schreibtisch.
„Das hier wird übrigens dein Büro.“Er schmiss die Vertragspapiere von der einen Schreibtischseite zur anderen. Ich blätterte durch.
4000€ im Monat, Vertrag bis November 2020 plus die Wohnung. Damit konnte ich leben. Besser als alles andere in den letzten Jahren. Und nächstes Jahr konnte man immer noch schauen, ob es sich bessere Angebote ergeben würden.
Eine weitere Klausel besagte, dass ich nur als Trainer eingestellt werden würde. Alle Vertrags- als auch die Transfergespräche, sowie Abschlüsse lagen im Bereich von Niklas Allbäck. Sportdirektor und Vorstand des Vereines.
Niklas sah, dass ich an der Klausel hängen blieb.
„Das ist Vorgabe des Vereines, nicht von mir. Wir hatten in der Vergangenheit mit unseren Managern einfach Pech. Bei den nächsten Vertragsgesprächen lässt sich darüber bestimmt reden. Aber erst einmal bist du nur für das Training und das Drumherum zuständig. Ich hoffe, du kannst damit leben.Ich nickte ab und unterschrieb im Endeffekt den dreiseitigen Vertrag, ohne etwas daran zu bemäkeln.
Warum auch. Ich war endlich angekommen. Darauf galt es in den kommenden Jahren aufzubauen. Jeder hat mal klein angefangen.
„Dann herzlich Willkommen beim Örgryte IS. Ab sofort ist das dein Büro. Hier wirst du die nächste Zeit sicherlich einige Stunden verbringen. Die Stimmung innerhalb der Mannschaft ist im Arsch und wir hängen am Tabellenende der Liga wie du weißt. Da gilt es rauszukommen. Wir erwarten erst einmal einen sicheren Tabellenplatz, der weder etwas mit dem Abstieg zu tun hat noch mit der Relegation. Hier sind die Unterlagen vom Team, der Reserve und der U19. Training mit der ersten Mannschaft ist wie du weißt, um 14 Uhr. Die PK ist für 11 Uhr angesetzt.
Die U19 hat heute Abend ein Spiel, falls du dir diese auch heute noch angucken willst.“Viel Stress auf einmal für den ersten Tag. Aber andererseits waren es auch nur noch drei Tage bis zum ersten Punktspiel. Und blickend auf den Tabellenstand musste ich mich schnell einarbeiten. Dieser war aber auch kein Wunder, wenn man betrachtet, wie die Spiele in der ersten Hälfte der Saison ausgegangen waren.
10:55 Uhr Der Saal im OIS Garden, wie ich gelernt hatte war gefüllt. Ich zählte knapp 14 Journalisten in den ersten beiden Reihen und etliche Leute, die dahinter Platz genommen hatten. So langsam wurde ich nervös. Pünktlich um 11:00 Uhr baten mich Niklas und unser Pressesprecher Johan auf die Bühne.
Nachdem Johan alle anwesenden begrüßt hatte fing Niklas an zu reden.
„Ja, auch von mir ebenfalls ein herzliches Willkommen in die Runde. Gleichzeitig möchte ich euch unseren neuen Trainer Magnus Uwesson vorstellen. Ein junger aufstrebender Trainer aus Deutschland, der einen Vertrag bis Ende des nächsten Jahres erhalten hat. Er wird Ihnen jetzt alle ausstehenden Fragen beantworten.“Einige Reporter hielten ihre Finger in die Luft. Johan sorgte dafür, dass alle nacheinander zu ihren Fragen kamen.„Herr Uwesson, auch von mir ein herzliches Willkommen. Ich schreibe für die örtliche Tageszeitung, mein Name ist Mirko Veinberg. Die erste Frage ist natürlich, haben Sie sich mit der Mannschaft schon bekannt gemacht? Können Sie was zum schlechten Klima innerhalb des Teams sagen? Es war in den letzten Wochen immer wieder nach außen getragen worden, dass die Spieler den letzten Trainer psychisch kaputt gemacht haben sollen“.„Nein, ich habe die Mannschaft noch nicht kennen gelernt. Das wird heute Nachmittag der Fall sein. Mir ist auch nicht bekannt, dass das Mannschaftsgefüge derartig kaputt ist. Wir werden schauen. Ich habe eine starke Persönlichkeit. Ich denke nicht, dass jemand es schafft, diese kaputt zu machen.“„In vier Tagen steht ihr erstes Spiel an. Direkt ein wichtiges. Wie wollen Sie die Mannschaft so schnell erreichen? Ist es überhaupt möglich eine eigene Taktik zum Tragen zu bringen?“„Ich weiß, dass am Samstag die erste wichtige Partie ansteht. Nicht nur für mich, auch für den Verein. Ich muss aber erstmal die Jungs kennenlernen, bevor ich mir überhaupt Gedanken um eine Taktik machen kann.“„Auch finanziell steht es eher schlecht um den Verein. Sind Sie überhaupt aufgeklärt worden?“Ich schaute rüber zu Niklas, ehe ich antwortete.
„Ich denke, wir sind nicht hier, um über Finanzen zu reden, sondern über meine Anstellung als Trainer. Die Finanzen liegen außerhalb meiner Reichweite als Trainer. Das sind Aufgaben mit der sich der Vorstand und Niklas als Sportdirektor befassen müssen. Nicht ich, der noch nicht einmal 24 Stunden hier ist.“„Sie sind gebürtiger Däne, der in Deutschland aufgewachsen ist. Zudem ziemlich jung, mit ihren 25 Jahren. Wie kommen Sie mit der Sprache zurecht, wie planen Sie mit ihren Spielern zu kommunizieren. Sind Sie sich sicher, dass Sie dem Druck des Profigeschäftes standhalten können?“„Zu aller erst: Meine Mutter ist Dänin. Ich bin dreisprachig aufgewachsen. Deutsch, Englisch, Dänisch. Die Sprachen hier in Skandinavien unterscheiden sich zwar, aber mit meinem Dänisch verstehe ich das meiste aus dem Schwedischen. Sprechen werde ich, wie auch jetzt vermutlich erst einmal hauptsächlich Englisch. Ich werde aber zusehen, dass ich so schnell wie möglich die schwedische Sprache lerne.“„Und der Druck im Profigeschäft?“„Ich denke ich habe schon schwierigere Situationen im Leben gemeistert, als diesen Druck. Da habe ich wenige Bedenken.“An dieser Stelle unterbrach Niklas dann. „Ich denke, dass reicht fürs Erste. Weitere fragen können gerne im Vorfeld der Spieltags-PK gestellt werden. Aber Magnus hat vorerst ein Training vorzubereiten. Vielen Dank! Wir sehen uns am Freitagnachmittag wie gewohnt um 11 Uhr. Bis dahin!“Geschlossen verließen wir den Raum. Ich begab mich in mein neues Büro. Es war Zeit mir die Mappe, die Niklas mir gegeben hatte anzuschauen und das anstehende Training vorzubereiten…