Ich habe mich in der Rassismus-Debatte um Özil und in der Frage welche Werte ein Spieler der deutschen Nationalmannschaft vertreten muss, bisher nicht sonderlich eingeschaltet. Diese Frage hingegen (und der Thread entstand ja aus der Özil-Nummer), beantworte ich nun aber gern und diskutier da auch gerne mit euch.
Ich glaube ich hab ein sehr wirres Bild von Heimat. Meine Eltern kommen aus Polen, ich selbst wurde in der Nähe von Köln geboren. Ich wuchs in der Nähe von Stuttgart auf und bin mit 18 dann nach Hamburg gezogen. Das sind sehr viele Orte und doch kann ich glaube ich von keinem dieser Orte behaupten, dass es meine Heimat ist oder ich einen dieser Orte meine Heimat nennen möchte.
Polen war für mich trotz der Wurzeln meiner Eltern immer sehr fremd. Ich habe nie Polnisch gelernt und Besuche dort waren für mich eher eine Qual. Das Verhältnis der Verwandten untereinander ist nicht so prall, die Menschen in Polen haben eine gänzlich andere Vorstellung des Lebens (und können davon nicht ablassen) und die allgemeine Kultur ist mir auch zu religiös geprägt. Eine der wenigen Sachen, die ich an Polen wirklich schätze sind das Essen und der Hund meiner Oma, mit dem ich mir als Kleinkind immer gern das Eis geteilt habe. Sonst ist da nichts.
In Köln habe ich die ersten zwei Jahre meines Lebens verbracht, geschenkt. Da baut man keine größere Verbindung zu auf.
In der Nähe von Stuttgart hab ich es dann (gezwungenermaßen) 16 Jahre ausgehalten. Wir haben eigentlich trotz etwas widerer Familienumstände in einem von außen betrachtet tollem Viertel gewohnt. Eine gute Schule ums Eck, die weiterführenden auch nicht weit, alles gut vernetzt. Die Aufteilung von Migranten und Deutschen war immer schon etwas getrennt, wir hatten allerdings eine Wohnung in einem sehr deutschen Viertel. Mittelklasse, nichts aufregendes. Als meine Mutter noch alleinerziehend war, haben wir auch recht deutlich erfahren müssen, dass so ein Nachname und die ausländische Herkunft nicht von Vorteil waren. Wir wurden lange nicht von den Nachbarn akzeptiert, nicht auf Straßenfeste eingeladen, es gab viele Lästereinen über die neuen "Polen" aus der Nachbarschaft. Ok, das sind die alten und konservativen Leute aus einer anderen Generation, denkt man. Auch in den Schulen habe ich immer wieder mitbekommen, dass Schüler und Schülerinnen wegen ihrer Wurzeln benachteiligt wurden. Ich hatte Mitschüler, die wurden aus den Vorlesewettbewerben (ohne gelesen zu haben natürlich), die haben schlechtere Noten bekommen, obwohl die Leistung dieselbe war (O-Ton: Ja, als Türke ist es einfaxch schwieriger eine 1 in Deutsch zu bekommen), und so weiter. Und das war nicht in einem Problembezirk. Das war in einer soliden Mittelklasse. Und ich weiß nicht, ob es die Angst der Anwälte und Ärzte in unserer Nachbarschaft war, dass meine Mum vom Bauernhof in Polen ihnen den Job streitig macht, ob es die Ignoranz "Fremdem" gegenüber war oder ob es schlussendlich ganz stumpf "Rassismus" war. Aber auch dort, fühlte ich mich nicht wohl. Erst als meine Mutter mit einem deutschen Mann zusammenkam und ihn schließlich auch heiratete, gab es Anstalten der Nachbarschaft sich mit den "Polen" zu beschäftigen. Auch heute bin ich sehr ungerne dort. Auch, wenn ich noch immer viele schöne Momente meiner Kindheit mit dort verbinde.
Seit 5 Jahren wohne ich jetzt in Hamburg. Wohnort? Ja. Heimat? Schwierig. Und jetzt komme ich auch ein bisschen auf die eigentliche Frage des Threads zu sprechen: Was ist Heimat? Per Definition wäre sicher dieser Ort in der Nähe von Stuttgart meine Heimat. Emotional / subjektiv gesehen sicher nicht, weil es mir kein gutes Gefühl gibt dort zu sein und ich auch nicht öfter oder länger dort sein möchte. Es sorgt bei mir einfach für keine Begehrlichkeit. Das tut Hamburg aber auch nicht. Ich bin vor fünf Jahren hierher gekommen, um in der Werbung zu arbeiten. Ich "wollte nicht unbedingt" an den Hafen, an die See oder ans Tor der Welt. Das war mir völlig egal. Hamburg war für mich immer ein Hebel oder Werkzeug, um ein Karriereziel zu erreichen, wenn man so will.
In den letzten Tagen hab ich ein wenig drüber nachgedacht. Jetzt diesen Text einmal runtergeschrieben. Was ist meine Heimat?
Die ist für mich schlussendlich nicht an einen Ort gebunden. Zu 0,0%. Heimat ist für mich immer bei meiner Familie und bei meinen Freunden. Ich habe diesen Ortsbezug einfach nicht. Hamburg ist meine Heimat, wenn ich, wie in ein paar Augenblicken, mit Freunden auf meinem Balkon sitze, ein Bier trinke und Spaß habe. Heimat kann aber auch der Ort sein, in dem ich aufgewachsen bin, wenn an Weihnachten die ganze Familie um den Baum sitzt. Von mir aus auch Madagascar, wenn ich mit Freunden in Urlaub bin. Für mich ist Heimat einfach nicht mit einem Ort verbinden, Heimat wurde (auch durch die Erfahrungen, die ich gemacht habe) für mich immer mehr zu einem emotionalen Begriff. Ein Gefühl. Nie ein Ort.
Jetzt möchte ich noch ein paar Worte zur "deutschen Heimat" verlieren.
An meiner Heimat Deutschland schätze ich: Egal wer du bist...wenn du Arbeiten gehst und dich an die freiheitlich-demokratische Grundordnung hälst, bist du hier in der Regel gern gesehen. Das ist für mich die Seele meiner deutschen Heimat in a Nutshell. Ob dann Jemand bei der Hymne singt etc. ist für mich eigentlich belanglos, solange nicht dabei aktiv andere z.B. mit Teletubbiesgeschrei stört.
Das ist etwas, dass ich so leider nicht erlebt habe. Und davon gehe ich jetzt gar nicht von "meiner" Ausnahme aus, sondern ich habe genug Ausnahmen in Deutschland gesehen, dass es für mich fast die Regel ist. "Der Deutsche", wie ich ihn kennengelernt habe, hat Vorbehalte gegenüber Ausländern. Auch, wenn sie arbeiten und vor allem, wenn sie irgendwann an einen Punkt kommen, an dem sie durch ihre Arbeit vielleicht auch ein "besseres" Leben führen als er selbst.
Ich stimme dir zu, dass jemand, der hier lebt, sich an den Werten Deutschlands nicht nur orientieren, sondern sich zu großen Teilen auch festhalten muss. Ich glaube aber auch, dass das nicht dafür reicht, um akzeptiert zu werden – als ebenbürtiger Einwohner dieses Landes. Ich weiß ehrlich gesagt auch gar nicht, was es genau braucht. Vielleicht muss man die Kultur annehmen (hier wichtig: Unterschied von Kultur und demokratischen oder deutschen Werten). Ich habe die "deutsche Heimat" allerdings doch anders wahrgenommen, als du sie hier beschreibst. Aber: Deutschland ist groß, vielleicht war ich in den falschen Ecken.