Mauern bis zum Umfallen
Als ich in der Saison 18/19 mit Ajax Amsterdam in die Gruppenphase der Champions League gekommen bin habe ich mich noch sehr gefreut. Als ich dann sehen musste dass meine Gegner FC Barcelona, FC Bayern München und Fenerbace Istanbul heißen verflog die Vorfreude doch ein wenig.
Es musste eine extreme Mauertaktik her. Nur um das hier vorher direkt zu sagen, die Testgruppe an Spielen in denen diese Taktik bisher ausprobiert wurde waren lediglich die Gruppenspiele der Championsleague sowie die erste K.O.-Phase, denn wir haben nicht nur überlebt, sondern unsere Gruppe sogar deutlich gewonnen.
Da es aber nunmal eine begrenzte Anzahl an Spielen war in denen ich die Taktik verwendet habe kann ich nicht sagen ob sich Gegner nach längerer Zeit gut darauf einstellen und wie sie sich bei anderen Vereinen verhält. Da ich aber so enorm viel Erfolg damit hatte dachte ich es wäre schön sie hier mal zu posten. Vielleicht inspiriert man ja den ein oder anderen der mal als massiver Underdog in ein Spiel geht.
Kommen wir aber nun zur Taktik und da möchte ich zunächst einen groben Überblick geben:
Die Idee ist so einfach wie kompliziert: Einfach kein Gegentor kassieren. Und das kann diese Taktik tatsächlich. In 6 Spielen gegen Bayern, Barca und Fenerbace blieb ich 5 mal ohne Gegentor.
Wie erreichen wir das also? Nun zunächst ist wichtig dass wir einen wirklich soliden und disziplinieren Block an Spielern in und um unseren eigenen Strafraum haben, der den Ball möglichst ohne Risiko klärt/nach vorne befördert.
Darüber hinaus macht sich diese Taktik zunütze, was man intuitiv schon weiß, aber durch xGoals genau beschrieben wird. Wichtig ist nicht wirklich wie oft der Gegner schießt, sondern von wo und wie.
Der Ansatz ist dass der Gegner außerhalb unseres Strafraums gerne tun und lassen darf was auch immer er möchte. Es interessiert mich wenig ob er 80% Ballbesitz hat oder aber 40 mal aus 25 Metern abschließt. In diesen Situationen fühle ich mich wohl.
Die Viererkette bewegt sich hierbei recht statisch und verschiebt einfach nur geschlossen Richtung Ball. Durch die Anweisung „Use Offside Trap“ bleiben sie zudem schön geordnet auf einer Linie. Direkt davor bewegt sich der Anchor Man, der einfach die Räume zustellt und großer Regelmäßigkeit den gegnerischen Offensivbemühungen im Weg steht.
Daneben zieht der DLP etwas tiefer, so dass beinahe eine Doppelsechs entsteht. Er bekommt zudem die Anweisung „Close down less“, so dass er seine Position hält und einfach den Raum vor der Abwehr zusätzlich dicht macht. Zentral ist es so für den Gegner unfassbar schwer durchzukommen.
Der BWM-Su rennt so ein wenig als Staubsauger davor durch das Mittelfeld und stört entschieden Jeden, der sich zu lange Zeit am Ball lässt. Dadurch verhindert man dass ein gegnerischer Mittelfeldspieler sich genug Zeit nehmen kann um evtl. doch einmal eine Lücke zu finden. Diese Aufgabe teilt er sich ein bisschen mit dem DF-De der aus seiner Stürmerposition ordentlich tief mit einrückt und den Gegnerischen Spielmachern auf die Nerven geht.
Der BWM bekommt zudem die Anweisung „hold position“, so dass er nicht allzu weit mit nach Außen zieht. Auch hier heißt die oberste Devise wieder: Zentrum verdichten!
Kommen wir nun dazu, dass auch die defensivste Taktik der Welt idealerweise irgendwie ein Tor schießen will um das Spiel zu gewinnen. Wer jedes Spiel 0-0 spielt wird am Ende meist auch nicht wirklich weit kommen.
Hier kommen die Flügel ins Spiel. Die Überlegung ist recht einfach. Wo sind Ballgewinne denn für den Angriff am vielversprechendsten? Die Antwort dürfte sein, dass man am liebsten den Ball vom gegnerischen Innenverteidiger abluchst. Da sich aber für eine solche Taktik ein hohes Pressing wenig eignet kommt Option Nummer 2 ins Spiel.
Wenn der Gegner ordentlich aufschiebt um irgendwie zumindes Zahlenmäßig gegen unser Abwehrbollwerk anzukommen rücken auch meistens die Außenverteidiger mit auf. Wenn man nun also auf den Außen den Ball gewinnen könnte hätte man dort zunächst freie Bahn um ordentlich Raum zu gewinnen.
Es erhalten also beide unserer Flügelspieler die Anweisung „Close Down More“ um solche Ballverluste herbeizuführen und dann zügig nach Vorne zu gehen.
Der zweite und vermutlich regulärere Angriffsplan ist den Ball zunächst schnörkellos aus der Verteidigung heraus an den Flügel zu bringen. Auch hier wieder die Überlegung: Sicherheit zuerst. Wenn der Ball erstmal auf dem Flügel ist wäre ein Ballverlust deutlich verkraftbarer.
Die Mannschaft bekommt also die Anweisung „Clear Ball to Flanks“.
Dort angekommen ist der Plan dann recht einfach. So schnell wie möglich nach Vorne kommen und den Ball in eine Abschlussposition bringen.
Bei mir geht der Ball bevorzugt über links raus, wo Kluivert einen sehr schnellen und dribbelstarken Spieler darstellt.
Er soll dann seinen Weg die Linie entlang machen und per „whipped cross“ an den langen Pfosten abgeben wo der ebenfalls schnelle David Neres vom Flügel einrückt und am langen Pfosten verwerten soll.
Das ist jetzt vielleicht nicht der cleverste und kreativste Offensivplan aller Zeiten aber unfassbar effektiv.
Um auch weit genug Vorne zu sein bekommt Neres die Anweisung „Get Further Forward“.
Zudem stelle ich ihn auf „Stay Wider“, so dass er im normalen Spiel eine breite Anspielstation abgibt und erst sehr spät einrückt, was es den Innenverteidigern zusätzlich erschwert in frühzeitig zu decken bzw. aufzunehmen.
Kommen wir also zu den Ergebnissen und wie diese zu Stande kamen. Das Barcelonaspiel auswärts muss man hier vielleicht ein wenig herausnehmen. Barca ging früh durch einen Distanzschuss und einen folgenden Torwartfehler in Führung und erhöhte nach 30 Minuten per Standard, so dass ich gezwungen war die Taktik aufzugeben und offensiver zu spielen. Das sind Gegentore die man schon mal fangen kann und haben mit der Taktik per se nichts zu tun.
Schauen wir uns also mal die Statistiken der Spiele an. Die Idee ist es ja den Gegner nur aus aussichtslosen lagen abschließen zu lassen, oder aber ihn zu hohen Flanken zu zwingen, die statistisch gesehen auch eine miserable Torquote aufweisen.
Zunächst einmal möchte ich euch die Passing Maps meiner Gegner präsentieren, wo man sieht wie erfolgreich wir sie tatsächlich aus unserem Strafraum heraushielten.
Wie man hier bereits sofort sieht ist ab unserem Strafraum schluss. Genau zweimal konnten Spieler zentral vor unserem Tor angespielt werden. Beides waren kopfballverlängerungen nach Ecken.
Bayern hat es tatsächlich zweimal geschafft einen Spieler gefährlich anzuspielen. Der Flanke auf die 9 ging dabei ein Pass über gut und gerne 80 Meter voraus und die 18 erhielt den Ball nachdem einer unserer Spieler den Ball unglücklich abfälschte. Insgesamt bin ich damit aber immernoch zufrieden.
Im zweiten Spiel gegen die Bayern waren wir defensiv sogar noch stabiler. Die 17 ist Jerome Boateng der nach einer Ecke zum Kopfball kommt.
Ein ähnliches Bild auch bei Juve. 1-2 mal pro Partie rutscht vielleicht mal ein Ball durch. Ansonsten ist die Defensive jedoch Wasserdicht. Und man muss ja auch sehen dass wir jetzt nicht zwingend Weltklasseverteidiger haben.
Was man also sehen kann ist dass der Gegner nicht wirklich in unseren Strafraum kommt. Das macht sich auch an den Schüssen bemerkbar, die so in Richtung unseres Tores abgegeben werden.
Beinahe alle die ihr hierbei im Strafraum aus aussichtsreicher Position sehen könnt kommen nach Ecken zustande. Ich schätze in der Standardverteidigung kann man hier noch ein bisschen drehen. Ansonsten sind die Schusspositionen größtenteils harmlos. Aber seht selbst.
Und unsere Offensivbemühungen? Nun ein Feuerwerk haben wir sicher nicht abgebrannt. Aber ich bin doch sehr zufrieden damit wie mein eigentlicher Plan funktioniert hat. Ein Tor haben wir bis auf das 0-0 in Turin eigentlich immer geschossen. Viel ging dabei über Standards. Nicht selten verhalf eine Ecke oder ein Einwurf zum Erfolg. Viele Tore sind spät gefallen, weil der Gegner bei fortscheitender Spieldauer immer weiter aufrückt um den Sieg zu erzielen. Die Kombination auf Neres an den langen Pfosten zu geben, so dass er die Tore erzielt sorgte zwar regelmäßig für Gefahr, ist aber in der Torausbeute noch verbesserungsfähig.
Trotzdem ist Neres definitiv ein extrem gefährlicher Spieler gewesen. In den 8 Partien schoss er 3 Tore und gab 2 Assists.
Defensiv hält die Taktik also zunächst was sie verspricht. Offensiv muss halt ein bisschen der liebe Gott helfen und Fortuna eine ordentliche Portion Glück mit in die Suppe kippen.
Grundsätzlich bin ich aber davon überzeugt, dass man mit dem richtigen Spielermaterial auf den Flügeln mit dieser Taktik enormen Erfolg haben kann.
Es ist sicherlich eine enorme Leistung als Ajax Amsterdam in 6 Partien gegen Bayern, Barca und Juve 3 Siege 1 Unentschieden und nur zwei Niederlagen zu kassieren. Erwarten würde man da sicherlich schlechteres.
Vielleicht hat ja jemand ein Team, dass in seiner Liga hoffnungslos abgehängt ist und probiert es mal über eine gesamte Saison aus und kann dann näheres Berichten.