@Daydreamer: Dankeschön
Kapitel 9: Meine lieben Leser,
am gestrigen Abend hatten wir mit der Mannschaft den Sieg noch bei dem einen oder anderen Bierchen gefeiert. Eine Mannschaft die es gewohnt war, so oft zu verlieren, soll man auch Siege feiern lassen. Sie verstehen das sicherlich? Ich denke, es war 3 Uhr morgens als Trainerin Alex und der Herr Gastwirt mich mit einem leichten Schwips in unser einziges Taxi verfrachteten, um mich damit nach Hause zu schicken.
Aber Sie können sich nun sicherlich vorstellen, wie schwierig es war aufzustehen, als um 7:30 der Wecker klingente. Denn für mich war der heutige Tag ein Arbeitstag. Es war Sonntag. Der traditionell stärkste Tag an der Strandbar, da vor allem viele Familien und Touristen kamen. Aber auch Dorfbewohner und Personen aus den umliegenden Gemeinden kamen gerne an den Strand, auf einen Kaffee, ein Eis oder ein Bier.
Jetzt können Sie sich vorstellen, wie es dort ausgesehen haben muss. Gut, die Strandbar ist nicht groß. Sie besteht aus einer Bar mit vielleicht 10 Barstühlen und etwa 12 Tischen am „Vorplatz“. Und natürlich auch aus etwas Laufkundschaft, die sich nur schnell etwas kaufen möchten um sich mit ihrer Errungenschaft damit in den Sand zu setzen. Also, kurzum. Mit leichten Kopfschmerzen und etwas übermüdet hatte ich einen leichten Stress. Ich merkte gar nicht, dass Alex sich an den Thresen gesetzt hatte und mich angrinste.
„Bademeister Jochen“ lachte sie laut. „Sie sehen heute aber nicht aus wie ein Sieger?“ meinte sie. Ich blickte auf.
Jochen: „Ah, Trainerin Alex. Bitte nicht so laut. Bademeister hat heute Kopfschmerzen und schlechte Laune“.
Alex: Gibt es Kaffee?
Jochen: Es dauert ein bisschen. Es dauert, ich habe nur zwei Hände“ sagte ich etwas gereizt.
„Na, da hat jemand aber wirklich eine Laune“ kam es von Alex. Sie konnte nicht aufhören zu lachen.
„Hallo, Hallo, wo bleibt denn bitte mein Kaffee?“ rief ein dicklicherer Gast von Tisch 1. „Und mein Bier bitte“ kam es nun von Tisch zwei. „Ja, sofort, bitte um etwas Geduld“ rief ich zu den Gästen zurück. Ich versuchte leicht hektisch eine Kaffee herunterzulassen, als ich von der Maschine eine Fehlermeldung bekam. „Filter wechseln, verdammt“ fluchte ich. Emsig kramte ich in meiner Lade nach einem neuen Filter und versuchte ihn einzusetzen.
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Alex sich umsah. „Da sind heute aber sehr viele Leute“ meinte sie etwas besorgt. „Jochen, wo ist ihre Aushilfe?“ fragte sie. „Nicht da“ kam es etwas schroff von mir. Ich wollte eigentlich nicht schroff sein, aber es rutschte mir so heraus. „Wie nicht da? Sie schaffen das doch niemals alleine den ganzen Tag. Jochen warum haben sie keine Aushilfe?“
Ich schmiss beinahe die Nerven mit dem Filter. „Weil“ kam es schroff von mir, ich versuchte aber, meinen Tonfall zu mäßigen, „Weil ich hier nicht so viel Umsatz mache und ich mir in der Woche nur für 15 Stunden eine Aushilfe leisten kann. 8 Stunden waren gestern und die restlichen Stunden brauche ich unter der Woche von 17 bis 19 Uhr“ meinte ich, bereute aber sofort meine Ehrlichkeit.
Alex setzte eine besorgten Blick auf. „Jochen“ sagte sie. „Jochen“ kam es von ihr noch einmal etwas leiser, sanfter. „Warten Sie. Sie haben gestern die Aushilfe gebraucht, weil Sie die Auswärtsfahrt mitgemacht haben? Und unter der Woche brauchen Sie eine Aushilfe, während des Traiings?“ Ich sagte nichts. „Und deshalb haben sie heute niemanden?“.
Ich wollte ihr das gar nicht sagen. Ich wollte ihr kein schlechtes Gefühl geben. Es war mir fast unabsichtlich herausgerutscht. Und während sie mir antwortete, konnte ich sie nicht ansehen. Ich konzentrierte mich komplett auf die Kaffeemaschine und den Filter. Ich riss daran, ich zog, ich schob. Schweißperlen bildeten sich schon auf meiner Stirn. Endlich hatte ich den Filter eingebaut und ließ den nächsten Kaffee hinunter. Ich fühlte mich so erleichtert.
„Ok, Jochen, ich sage Ihnen wie wir das machen. Sie machen die Bar, ich bediene“ sagte Alex plötzlich. Ich schaute sie nur entgeistert an und musste lachen. „Was?“ „Ich bediene, geben Sie mir das Tablett mit den Kaffee´s“. ich sah, wie sie sich bei diesen Worten die Schuhe, die einen Absatz hatten, auszog, und sich Sandalen ohne Absatz überstreifte, die sie in ihrer Tasche mittrug.
„Ich mach das schon selber, danke“ murrte ich zurück. „Jochen, jetzt seien sie nicht so stur. Lassen sie mich helfen. Los, Tablett mit den Kaffee´s her“ sagte sie nun schon bestimmender und zeigte mit dem Finger auf das Tablett.
„Das ist doch keine Arbeit für Sie Alex“ lächelte ich. „Jetzt hören Sie aber auf Jochen“ sagte sie fast schon beleidigt. „Ja, ich habe Sportwissenschaften studiert. Aber wissen Sie, wie ich mir das Studium finanziert habe? Als Kellnerin, fünf Jahre lang. Vom Studentenclub bis zur Skihütte. Ich kann das schon. Kaffee her“ sagte sie streng. Ich starrte sie an. Nach einigen Augenblicken übergab ich ihr das Tablett.
Alex steckte sich einen Block der auf dem Thresen lag in die Brusttasche, einen Bleistift hinter das Ohr. nahm das Tablett mit den Kaffees, grinste mich unschuldig an, und ging ein paar Schritte. Nur um danach wieder umzukehen. „Geben Sie mir die Geldtasche rüber, ich kann auch gleich kassieren“ grinste sie. Ich reichte ihr diese.
Ich war wirklich überrascht. Alex machte die Arbeit wirklich gut. Ich kannte sie ja hauptsächlich nur als Trainerin. Als Kellnerin lernte ich eine völlig neue Seite an ihr kennen. Die langen Wartezeiten der Gäste konnte sie mit Witz und Charme fast schon ins Lächerliche ziehen, Bestellungen nahm sie professionell auf. Sie riss mich an diesem Tag wirklich heraus. Es machte mit ihr sogar richtigen spaß.
Am folgenden Wochenende kam es für uns zum Saisonhöhepunkt. Der Greifswalder FC war bei uns zu Gast. Unser Erzrivale. Ein Derby. Das gesamte Dorf bereitete sich bereits die gesamte Woche darauf vor. Man hatte sich entschlossen, das Spiel mit dem Sommerabschiedsfest zu kombinieren. Ab 10 Uhr Vormittags gab es eine geöffnete Grillstation mit Bratwürsten, Bockwürsten, Ketwurst, Grillhuhn, Eintöpfen aber auch jede Menge Bier. Dazu spielte die vom Bürgermeister höchstpersönlich ausgesuchte Volksmusikgruppe „Hilde & die Ostseemädchen“ auf.
Vor allem die Wirtschaftstreibenden in Neufeld freuten sich über dieses Fest. Der Bäcker lieferte die Brötchen, der Metzger die Fleischwaren, der Kaufmann die Getränke, Salate und Saucen, während die Frau Gastwirt die Grillstation übernahm und sich für das Catering verantwortlich zeigte. Zwar monierte der Bürgermeister öfter, welche Kosten wegen der Musik und dem Aufstellen der mobilen Toilettenhäuschen entstanden. Aber die Tatsache, dass er sich während des Festes öfters die Hände rieb, ließen erahnen, dass doch einiges erwirtschaftet wurde und schloss sich der allgemeinen feucht-fröhlichen Stimmung an. Dass das Spiel um 15 Uhr begann, wurde schließlich nur noch zur Randnotiz.
Also wenn ich nun sage, die Stimung gleich einem Volksfest, liege ich gar nicht so falsch. Mit der fortschreitenden Konsumation an Bier wurde die Stimmung sogar besser. Ich muss Ihnen sagen, teilweise waren die Spieler sogar etwas traurig, da sie an den Festivitäten nicht teilnehmen durften, aber sie verstanden dann doch, dass sie noch ein Spiel zu absolvieren hatten. Etwas überrascht waren wir, da wir auf der Seite des Gegnern unseren ehemaligen Co-Trainer Horst Dietrich und zwei frühere Spieler erkannten, die offenkundig zur Konkurrenz gewechselt waren
Das Publikum feuerte die Mannschaft von der ersten Sekunde weg fanatisch an, unterstützt von Trommeln und Tröten. Unsere Mannschaft zeigte vollen Einsatz. Der Ball wurde flach und gefährlich nach vorne gespielt. Die Kombinationen funktionierten. „Na, die Spielen aber gut dieses Jahr“ kam es über den Mund eines Zusehers. „Ja, kann man nichts sagen“ meinte ein anderer. „Da werde ich jetzt doch wieder öfter kommen“ erklärte ein dritter. Der Bürgermesiter hatte gehofft, dass dies passierte. Und verkündete „Nach dem Spiel, kann sich jeder eine Dauerkarte lösen, mit 20 % Rabatt“. Gut, über die Frau an der Seitenlinie und die Asylbewerber im Team, wurde schon ein wenig gelästert.
Aber sonst war alles in Ordnung. Einzig... Lukas Völkel machte nicht mit. Unsere Solospitze vergeigte wieder sämtliche Chancen. Aber das Gute daran war – dadurch, dass Lukas immer wieder in Aktion war, und er sich den Ball immer weit in der eignen Hälfte holte, band er damit zwei, drei Gegenspieler auf sich. So passierte es auch nach fünfunddreißig Minuten. Szymanski spielte den Ball auf Völkel, der schaute auf, gab ihn weiter an Richard Ziemer, der Rechtsverteidiger immer wieder mit nach vorne kam. Der ins Loch für Hain Brauer spielte. Der frei stand, da die Abwehr einen Pass auf Lukas Völkel erwaret hätte. Brauer konnte einfach abzieen. Tor. Das Stadion bebte. Mehrere hunderte Kehlen die jubelten und sich mit einem „Yeaaahhhhh“ freuten. Die Menge klatschte. Einige stimmten schließlich sogar schon ein „Immer wieder, Immer wieder, immer wieder SVW“
Im weiteren Verlauf des Spieles wurden schließlich auch sämtliche Aktionen der Spieler von den Zuschauern fachkundig kommentiert. Wir ließen uns von der Stimmung antreiben. Wir spielten Chancen um Chancen heraus. Alleine in der 1. Halbzeit vergab Lukas Völkel 3 100 %te Chancen, was natürlich auch wieder vom Publikum nicht sehr wohlwollend aufgenommen wurde. Aber er hatte Glück. Kurz vor der Pause stürmte er wieder auf das Tor zu, doch anstelle weiterzulaufen, gab er den Ball an den Mitgesprinteten Hain Brauer ab. Der reagierte Eiskalt. Der zog ab, am Torhüter vorbei. Ein 2:0 war die Folge. Das Publikum lag sich in den Armen.
In der zweiten Hälfte, der Ruf nach Bier wurde immer größer, die Schlangen an den mobilen Toilettenhäuschen immer länger, stimmte das Publikum schließlich sogar ein „So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der sollte nie vergehen“ an. Genau dort, wie in einer weiteren Drangperiode Christian Birkenbach in die Mitte zog, vom 16-Meter-Raum abzog und mit einem wuchtigen Schuss das 3:0 erzielte. Von den Stehplätzen der Griefswalder Fans flogen jetzt die Bierbecher, kamen Buh Rufe, die aber bald durch unser Heimpublikum überstimmt wurden.
Nein, es gab nichts zu bekritzeln. Wir gewannen dieses Spiel mit 3:0. Greifswald, unter deren Schatten wir ewig gestanden waren, wurde von uns besiegt.
Meine lieben Leser, Sie hätten das sehen sollen. Als der Platzsprecher nach dem Schlusspfiff verkündete: „Meine lieben Freunde, das Unfassbare ist passiert. Die SV Wacker Neufeld ist seit heute auf Platz 1 der Verbandsliga vorgestoßen. Auf Platz 111111111!!!!!!“ Meine lieben Leser, der gesamte Kader, Trainerin Alex und ich, wir alle bildeten nach dem Schlusspfliff eine Kreis, sprangen vor der Haupttribüne auf und ab, das Publikum vor uns. und riefen „Hey, Hey Spitzenreiter, Spitzenreiter, Hey, Hey, Spitzenreiter, Spitzenreiter“. Selbst der Bürgermeister kam von seinem Ehrenplatz, direkt an der Mittellinie, zu uns herunten und zwängte sich ungefragt hinein. Er verließ uns danach nur kurz, um dem Heimpublikum in Posen zu winken, als hätte er selbst diesen Erfolg initiiert. Viel stolzer war er ohnehin darauf, dass nach dem Spiel 52 Jahreskarten verkauft wurden.