edit: x-post mit Octavianus. Als ich angefangen hatte zu schreiben, war noch keiner von seinen Beiträgen da. Les ich mir erstmal jetzt alles durch in Ruhe... Also zunächst mal Danke für den Leserpreis. Ich nehme die Auszeichnung demütig an, und verzichte auf eine Ansprache.
Und ich gebe meine Meinung hier mal auch ab. Ich muss Rejsinho zustimmen, die Geschichten lagen alle sehr dicht beieinander, und für mich hatte jede Geschichte einen starken Punkt, aufgrund dessen ich sie hätte zum Sieger wählen können, allerdings hatten auch alle irgend ein Detail, das ich verbesserungswürdig fand, sodass ich mir wirklich schwer getan habe, wem ich meine Stimme geben soll. Ich gehe einfach mal in der Reihenfolge durch, in der die Geschichten vorgestellt wurden.
Der SammlerHier hat mir insgesamt der Plot am besten gefallen, es war die meiste Entwicklung drin, es hatte einen Touch Abenteuer, der mich sehr schnell ins Setting reingezogen hat. Auch das Ende und die unterschwellige Botschaft fand ich gelungen, das war insgesamt ein sehr schönes Rundum-Paket, und es hat bewiesen, dass man in 1500 Wörter (gut, plus 75 in dem Fall) eine ganze Menge an Bewegung, Aktion, Hintergrund packen kann.
Was mich etwas gestört hat, war zum einen der Aufbau. Man ist zwar direkt drin in der Story, aber dann passiert erst einmal drei Absätze gar nichts, obwohl das Setting eigentlich relativ schnell klar ist: Abenteurer sucht Ruinenstadt. Er kämpft sich durch den Dschungel, dann kommt Rückblende und ausführliches Hintergrund-Erklär-Stück, dann kommt wieder Kampf durch den Dschungel. Vielleicht wäre es zum Beispiel eine gute Idee gewesen, direkt mit dem Hinterhalt der Stadtbewohner zu beginnen. Oder zumindest insgesamt den Hintergrund etwas weiter nach hinten zu schieben oder stärker über die Geschichte zu verteilen. Hintergrund ist immer ein sehr zweischneidiges Schwert: Einerseits ist es wichtig, weil man den Lesern dieses und das erklären will, andererseits lähmt es die Geschichte und bringt eine Geschichte in die Geschichte. Ich würde sagen, Hintergrund so gekonnt in eine Story (gerade eine Kurzgeschichte!) einzuweben, dass er ausreichend erklärt UND gleichzeitig nicht aufhält, ist eine der großen, schwierigen Herausforderungen für jeden.
Das zweite waren die Dialoge: Der Dialog des Armbrustschützen zum Beispiel wirkte auf mich etwas arg nach Hollywood. Ich glaube, realistisch gesehen, hätten die Häscher wohl gar nicht viel gesagt. Die Situation ist klar: Sie haben die Waffen, und sie haben die Oberhand. Ein Nicken mit dem Kinn, ein knappes "Vorwärts" hätte denselben Effekt gehabt. Würden solche Leute dem Überrumpelten erzählen, dass ihn jemand befragen will? Ich bezweifle das zumindest. Und - ging es überhaupt darum? Will der alte Mann ihn überhaupt befragen? Mir scheint, er will ihm eher eine Lektion erteilen, zumal er nicht der einzige ist, der hier auftaucht. Beim Dialog mit dem Alten störte mich dann das Geplänkel um den jeweiligen Namen. Spielen die Namen eine Rolle, für den einen oder den anderen? Warum halten sich die beiden mehrere Zeilen damit auf, nach ihren Namen zu fragen? Ich würde mal sagen, dem Alten würde es völlig reichen, den Neuankömmling mit "Junge" anzureden, oder mit "du". Warum wird er an den Stuhl gefesselt, wenn sie ihn mit Armbrüsten bedrohen, was vorher funktioniert hat, und anschließend auch alles keine Rolle mehr spielt (zumal er so die Schallplatte gar nicht aufheben kann). Wie gesagt: Das sind Details. Wir reden hier wirklich von Details, aber es sind, gerade bei einer sehr kurzen Geschichte, Details, die mich als Leser aus dem Lesefluss werfen. In dem Fall waren es Details, die verhindert haben, die Geschichte auf Platz 1 zu setzen.
Auch hier wieder denke ich allerdings, dass gute, griffige, realistische Dialoge eine der großen Herausforderungen für Geschichten (und speziell Kurzgeschichten) sind.
Die BienenköniginIch hatte glaube ich als Kurzbeschreibung "Stillleben" geschrieben, und das ist nach wie vor das für mich treffendste Wort: Eine Geschichte wie ein Gemälde. Mit sehr viel Liebe zum Detail wird quasi eine einzige Szene ausgearbeitet, inklusive Hintergrund, Moral und allem Drumherum. Das ist sehr gut gelungen, und ich finde es prinzipiell überhaupt nicht schlimm, dass ein Plot fehlt, denn eine Geschichte in 1500 Zeichen darf natürlich auch mal ein paar Regeln brechen und ganz anders daher kommen.
Die Details, die mich irritiert haben, waren zum einen die Adjektive. Ich bin persönlich überhaupt kein großer Freund von Adjektiven wie "zauberhaft", "melodiös" oder auch "zufrieden". Ganz generell sind mir bereits schon in den ersten Zeilen zu viele interpretative Adjektive. Aus meiner Sicht sollten Adjektive möglichst präzise sein. "Schön" ist für jeden Menschen etwas anderes. Warum nicht einfach: "Als ich auf die Veranda trat, begrüßte mich der Frühlingsmorgen"? Knallt genauso rein, ist genauso eindringlich, aus meiner Sicht sogar noch stärker, weil die Betonung auf den Wörtern liegt, auf die es ankommt, nämlich Frühling und Morgen. Ich hab da als Leser schon ein ganzes Sammelsurium an Gefühlen. "Zauberhaft, schön" verstärkt da nichts, sondern verschnörkelt eher sinnlos. Anstatt "melodiösem Gesang" würde ich eher versuchen, den Vogelgesang zu beschrieben (piepen? trillern? wild durcheinander singen, so dass am Ende wieder eine Harmonie entsteht? Oder einfach nur: Die Vögel sangen? Auch hier glaube ich, dass manchmal bei Adjektiven weniger = mehr ist).
Ansonsten kam mir der Imker noch etwas zu spät. Ich hatte zwar Spaß, mich quasi als Leser in der Schilderung zu suhlen und das Stillleben zu betrachten, aber ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte erst in der Mitte ihren Sinn ergibt. Eventuell hätte man den Imker schon etwas weiter vorne platzieren, und gleich von Beginn an etwas stärker aus der Sicht eines Imkers erzählen können. Das hätte für mich die Geschichte "runder" und in sich geschlossener gemacht. Ebenso wie beim Sammler habe ich aber auch hier lange gegrübelt, ob ich sie auf Platz 1 wählen soll.
Das Licht des LebensAn dieser Story gefielen mir gleich mehrere Dinge: Der Stil ist sehr sauber und flüssig. Lange Sätze wechseln mit kurzen, man kommt gut rein ins Lesen, die Handlung wechselt sich gut mit dem Hintergrund ab. Das ist alles sehr durchdacht. Um genau zu sein ist es vom Aufbau her von allen vier Geschichten die durchdachteste. Da hat jemand sehr, sehr sorgfältig geplant beim Konstruieren und beim Schreiben, und das zahlt sich dann auch voll aus. Dazu kommt dann natürlich die doppelte Ebene, die biblischen Anspielungen, die hintergründigen Spiegelungen der Namen, von Adam, dem ersten Menschen über den dem Feuer geopferten Isaak, und so weiter. Das macht natürlich Spaß, wenn man da noch eine doppelte Ebene dahinter hat.
Was mich dann allerdings hat zögern lassen: Mir war es etwas zu verkünstelt, etwas zu konstruiert. Oder vielleicht: Zu deutlich. So als ob man beim Betrachten einer bemalten Leinwand noch hinten die Leiter herausragen sieht, und die Stäbe, und daneben steht der Topf mit den Farben. Ich weiß nicht, ob es Absicht war, aber vor allem auch die Sprache wirkte mir zu steif. Das waren klassische, gestelzte Sätze, als ob tatsächlich Adam und der Teufel miteinander philosophieren - aber nicht Menschen im 22. Jahrhundert nach der Apokalypse. Das hätte für mich aber zum Setting dazu gehört und wohl auch gerade den Reiz ausgemacht. Auch die konsequente Wiederholung von "Oh nein, Herr Belial" war vermutlich Absicht - ich fand sie aber auf Dauer eher penetrant. Wie gesagt: Möglicherweise war das alles sehr bewusst geplant, der Effekt war aber, dass am Ende eine Geschichte herauskam, die mich weniger unterhalten hat, und mehr wirkte wie eine Knobelaufgabe.
Ich hab ihr trotzdem am Ende meine Stimme gegeben, weil sie von allen wie gesagt insgesamt von Stil, Konstruktion, Plot und Hintergrund das beste Gesamtpaket hatte. Aber ich habe wirklich lange gegrübelt, ob ich nicht lieber dem unterhaltsameren Plot (Sammler) oder dem unkonventionellen Ein-Akter (Bienenkönigin) meine Stimme gebe.
Die KurzgeschichteDie Stärke: Ein eigentlich sehr unterhaltsamer Plot, ein spannendes Setting und eine richtig herausfordernde Aufgabe: Ein Kurzkrimi in 1500 Zeichen. Von der grundlegenden Idee her gäbe es von mir volle Punktzahl. Octavianus hat ja noch die Anklänge an Asimov erwähnt, was ebenfalls prinzipiell eine nette Idee ist.
Ich schließe mich hier aber Rejsinho an: Der Text ist schwierig zu lesen, und so etwas versaut mir persönlich dann auch direkt den Lesespaß. Die Kommasetzung ist wirr, die Rechtschreibung zum Teil auch ("fluch"), teilweise gehen auch die Zeiten wild durcheinander ("So hatte dieser die Chance zur Flucht genutzt und in diesem Bunkersystem gibt es nur eine Fluchtmöglichkeit..."). Im letzten Absatz springt der komplette Text mitten im Satz ins Präsens und bleibt dort. Ich bin wirklich nicht jemand, der sagt "Ih! Ein Text mit schlechter Rechtschreibung muss ja schlecht sein!". Der Punkt ist eben nur leider: Ein Text, der wirr geschrieben ist, schlechte Zeichensetzung und Rechtschreibung hat, beraubt sich selbst einfach des Potentials und des Lesegenusses, weil man beim Lesen ständig wieder vor- und zurückspringen muss, um zu kapieren, was der Text sagen will. Letztlich ist mir dann auch die Plot-Entwicklung etwas zu banal, ich hatte etwas das Gefühl, dass beim Schreiben plötzlich gemerkt wurde, dass die Wortgrenze erreicht ist, und der Fall schnell abgeschlossen werden musste. Was am Ende einzelne Teile, die vorher erwähnt wurden, wirklich mit der Geschichte zu tun haben, bleibt etwas im Dunkeln (warum genau spielt es eine Rolle, dass es vorher einen zweiten Mord gab? Warum eigentlich spielen die drei Verdächtigen eine Rolle, wenn sofort klar ist, dass diejenige, die geflohen ist, die Täterin ist? Warum endet die Geschichte mit der feindlichen oder nicht feindlichen Außenwelt?)
Um mal konstruktiv anzusetzen: Wenn ich einen Kurz-Krimi hätte schreiben wollen, hätte ich versucht, in 1500 Zeichen allen drei Verdächtigen unterschiedliche Motive zu geben. Möglichst knapp. Den Ermittler hätte ich so knapp wie möglich beschrieben, um mehr Raum für die Verdächtigen zu haben. In etwa. "Den letzten Fall hatte er vermasselt. Deswegen war er hierhin versetzt worden. Ihm war klar: Er durfte sich diesmal keinen Fehler erlauben." Was genau der letzte Fall war und warum und wieso spielt für die aktuelle Geschichte eigentlich keine Rolle (es sei denn, es gibt ungeahnte Verknüpfungen, und der Täter ist plötzlich genau derselbe). Das Herausfordernde bei einer Kurzgeschichte ist sicherlich, sich auf das Wesentliche zu beschränken: Was soll die Geschichte sagen? Von was handelt sie? Was genau brauche ich dafür? Was brauche ich alles
nicht dafür? Abgesehen davon: Ein Kriminalfall, der damit endet, dass der Täter sein Geständnis einfach so in die Welt schreit und sich anschließend ermordet, lässt den Leser immer irgendwie unbefriedigt zurück. Wozu dann das Ganze?
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So.
Ihr wolltet Feedback. Ihr habt es.
Alles in allem aber: War super! Hat super Spaß gemacht, und ich würde von jedem von euch gerne nochmal eine Geschichte lesen, vor allem, um zu sehen, ob die zweite Geschichte bei ganz anderem Setting vielleicht auch ganz anders aussieht.
Ein kritisches Wort noch zu den Begriffen, die von der Jury gewählt wurden:
Ich fand sowohl "Mega-Metropole" als auch "Astralkörper" schwierig, weil es beides Worte sind, die keine Alltagssprache, sondern fast schon eine Art Slang sind. Nicht jeder sagt "mega" - ist "Metropole" nicht schon groß genug? "Astralkörper" ist entweder etwas SEHR religiöses (der Astralleib), oder etwas sehr slanghaftes ("super Körper").
"Desozialisierung" ist ebenfalls eine Art Slang, nämlich ein Wissenschaftsslang, ein Begriff, den so nur gebildete, wissenschaftliche Leute verwenden. Zumal noch für ein ziemlich abstarktes Phänomen.
Da sind dann wirklich, so absurd es klingt, Schallplatte und Ritterrüstung, trotz ihrer absoluten Fehlplatzierung im 22. Jahrhundert, viel leichter in eine Geschichte zu bringen. Wie ja die Auswahl der Begriffe dann auch eindrücklich bei allen bewiesen hat.
Habt ihr übrigens alle super gemacht!