FORTSETZUNG
"Taman, jetzt hör' doch mal auf mit Rasenmähen! Ich kann doch gar nicht verstehen, was Saut den Jungs für Trainingsanweisungen gibt, wenn du so um uns herumknatterst!"
Taman brüllt durch den Lärm zurück: "Enno sowieso nix verstehen. Erst lernen Sprache. Dann machen Spruch. Dann Rasenmäher aus. Vielleicht."
Da hat er natürlich recht… "Taman, wie wär's mit einem kleinen Nebenjob? Du übersetzt für mich und bringst mir so gut es geht eure Sprache bei – Deal?" Ich setze mein gewinnendstes Lächeln auf und sehe ihn gespannt an.
Taman macht in Zeitlupe den Rasenmäher aus, stützt sich langsam und gewichtig mit seinen ganzen 65 kg darauf und sagt dann ganz lässig mit schelmischem Gesichtsausdruck: "Nix Deal. Taman Sprachlehrer - du Rasenmäher. Dann Deal."
Ich Rasenmäher? Na von mir aus, schließlich mochte ich Grün schon immer gern. Steht mir übrigens auch ausgezeichnet. "Okay, wie oft muss ich denn den Rasen mähen?"
"Wenn Taman sagt. Wo Taman will. Wie lange Taman meint."
Mir schwant nichts Gutes, aber so schlimm wie die Schwebebalkenprüfung in der 10. Klasse wird's schon nicht sein. "Einverstanden, Taman!"
"Deal!" sagt er, strahlt wie immer über das ganze Gesicht und geht Mittagspause machen. Den Rasenmäher lässt er natürlich mitten auf dem Platz stehen.
Nach dem Training habe ich mit dem ollen Rasenmäher ganz schön zu kämpfen, aber gemeinsam knattern wir unsere Runden, der eine rostiger als der andere, und irgendwann sieht das Grün tatsächlich einigermaßen passabel aus. Akkurat geföhnter Bürstenschnitt auf 3 mm mit exakt rasierten Kanten. Wenn schon, denn schon. Zufrieden mit meinem Werk gehe ich hinunter zum Strand, setze mich auf einen Baumstamm und versuche mit einem verträumten Blick aufs Meer, aus den frischen Eindrücken der Trainingseinheit eine halbwegs umsetzbare Taktik zu formen. Folgende Gedanken kritzele ich auf meinen Zettel, während ich mir eine Betelnuss nach der anderen in den Mund schiebe:
Rollenspiel auf Indonesisch
Bei den Wahnsinns-Attributswerten meiner Spieler kann ich eigentlich auch die Augen zumachen und mir einfach irgendetwas möglichst Simples ausdenken – und das mache ich jetzt auch einfach mal. Es sei denn, einer der Jungs sticht tatsächlich mit ein paar wirklichen Talenten aus der Menge heraus. Also los, ich bin schließlich in der sonnigen Südsee, hier ticken die Uhren eh anders und mutig war ich schon immer. Oder bin ich jetzt einfach nur verzweifelt genug, um so etwas zu tun? Kann nicht sein, zumindest wenn ich mir meinen besten Spieler auf dem Platz anschaue, den Verteidiger Yohanis Gebze mit 5-Sterne-Bewertung:
Das lässt doch hoffen – so sieht ein Star aus! In Indonesien jedenfalls.
Also lege ich los und mache einen Schlachtplan, der es für indonesische Verhältnisse in sich hat:
(*kritzelkritzelkritzel* *kritzel* *Kritzelkritzel* *durchstreichundindieLuftguck* *kritzel*…)
So, das wär's. Mal sehen, was die Jungs daraus machen. Ich bin wirklich gespannt, ob ich denen das morgen alles mit Hilfe von Taman in der ersten Teambesprechung verklickern kann...
Teambesprechung
"Selamat pagi und moin moin, Jungs!"
Ich stehe mit Taman und Saut vor meiner Mannschaft, die mucksmäuschenstill ist und mich erwartungsvoll anguckt. Taman ist bereit zum Übersetzen; ich hatte gleich nach Sonnenaufgang noch fix den Kräutergarten seiner Ururoma gemäht, die mit Knochen im Haar in einem riesigen Kochtopf rührte und mich dabei ziemlich interessiert anlächelte. Nicht darüber nachdenken … Konzentration, schließlich ist das jetzt wichtig hier:
"Ich weiß, wir kennen uns noch nicht so gut, aber lasst euch gesagt sein: Wenn wir zusammenhalten und jeder sich mächtig ins Zeug legt, ist die Lage nicht so aussichtslos, wie sie scheint. Damit wir den Klassenerhalt in der Nusantara wie vorgegeben schaffen, habe ich mir für jeden von euch eine Spielerrolle einfallen lassen, die es auf der jeweiligen Position auszufüllen gilt. Gebt nicht gleich auf, wenn es vielleicht nicht von Anfang an rund läuft. Wir werden sehen, was geht und was nicht. An so einer Taktik muss manchmal lange gefeilt werden, bis alles stimmt."
Ich räuspere mich und versuche, die korrekten Namen aus meinem Gedächtnis abzurufen, während ich hoffentlich auch immer den richtigen Spieler dabei anschaue.
"Angga, du stehst im Tor und hältst uns den Kasten sauber. Kein Rauslaufen über den Strafraum hinaus, kein verträumter Blick auf irgendwelche Spielerfrauen – pure Konzentration auf dein Reich: das Tor. Du bist der Wärter des Tores, an dir kommt niemand vorbei – du bist unser
Torwart!“
Angga, ein wahrer Hüne von Indonesier mit seinen 1,88m und 91kg, guckt mich an und sagt: "Begitu saja? Oke, Orang Jerman Enno!"
Taman nickt mir zu, offensichtlich war die Aufgabe nicht zu schwierig für Angga. Sehr schön.
"Yohanis und Pieter, ihr helft Angga als Innenverteidiger, indem ihr versucht, den Ball aus unserem Sechzehner zu klären und die gegnerischen Stürmer auszuschalten – ihr verteidigt unser Tor wie das Leben Eurer Großmütter. Alles klar?“
Innenverteidiger (V)„Außerdem steht euch noch Semi als
Tiefer Sechser zur Seite.“
Ich nicke ihm zu, aber Semi schaut betreten zu Boden und wird ganz rot. Ich glaube, er hält „Tiefer Sechser“ für irgendetwas zumindest Unanständiges, wenn nicht noch schlimmer.
„Semi, als Tiefer Sechser musst du dich einfach nur fallen lassen“ versuche ich, ihm Mut zu machen. „Du kümmerst dich nur darum, Yohanis und Pieter zu helfen, unser Tor zu verteidigen, okay?“
Simpel halten, ganz simpel, das wird schon … Die drei haben's jetzt kapiert, glaube ich. Jedenfalls lächelt Semi mich schüchtern an und die anderen beiden nicken eifrig. Das mit den Großmüttern war aber auch genial von mir.
„Das Flügelspiel nach vorn unterstützen Sonny und Ricky. Sie werden je nach Bedarf entweder verteidigen, unterstützen oder im Angriff mit dabei sein. Jungs, ich vertraue darauf, dass ihr zur richtigen Zeit wisst, was zu tun ist.“
Außenverteidiger (Au)Mir wird ganz flau im Magen bei meinen eigenen Worten, schließlich sind die zwei absolut untauglich für den Job, aber sie sehen nach meinen Worten dermaßen stolz und glücklich aus, dass ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen.
„Isak, David und Gusti, ihr seid die Goldjungs im Mittelfeld. Isak und Gusti werden für die Verbindung zwischen Abwehr und Angriff sorgen. David, du siehst zu, dass du den Gegner im Mittelfeld ausschaltest und in jedem Fall den Ball zurückeroberst, koste es, was es wolle – aber keine roten Karten wie Pilze im Urwald sammeln – gib einfach alles, was du hast!“
MZ (Au), BeM (U), MZ (A)Die drei lehnen lässig am Tor und sehen für meinen Geschmack etwas zu selbstzufrieden aus. Das muss ich mal weiter beobachten... vielleicht haben sie aber auch nur gerade gut gegessen.
„Und zum Schluss, aber dafür ganz vorn an der Spitze, stehen Yakub und David. David verbindet Mittelfeld und Angriff und lässt sich dazu öfter mal zurückfallen. Yakub, du ballerst dem Gegner die Dinger dann einfach rein.“
Hängende Spitze (U), Kompletter Stürmer (A)Sie lächeln etwas unsicher, aber immerhin scheinen sie ihre Aufgabe verstanden zu haben. Mit Abschlusswerten von 5 und 9 haben sie gute indonesische Voraussetzungen, finde ich.
„Wir rocken die 3. indonesische Liga – Nusantara, wir kommmmmeeeeeeeen!!!“
Okay, das war vielleicht etwas überambitioniert von mir, aber nun ja, immer positiv und so… Als Antwort bekomme ich ein halblautes, fremdklingendes Gemurmel zu hören, welches mir von Taman verdächtigerweise nicht übersetzt wird. Klang wie „Uihuihuihuih“?! Aber sie wirken insgesamt ganz fröhlich, das reicht ja erstmal.
Für die visuell fokussierten Spieler zeige ich zum Schluss der Besprechung noch einmal an der Taktiktafel, wie das Ganze dann aussieht und verabschiede mich, um mit Taman, Co-Trainer Saut und dem Präsidenten Yesaya im Anschluss die Betriebsinterna zu besprechen. Das wird ein kurzer Termin, denn viel „Betrieb“ oder "Interna" gibt es bei PERSEWAR WAROPEN leider nicht...
Lagebesprechung
Ich sitze zwischen Taman und Saut draußen in der Erfrischungslounge in einem äußerst bequemen Korbsessel. Uns gegenüber hat Präsident Yesaya Platz genommen. Alle sind mit frisch gepressten Fruchtcocktails versorgt und ich warte etwas nervös darauf, dass Yesaya den Anfang macht. Tut er aber nicht. Stattdessen zieht er wie immer an seiner Zigarre und trommelt mit den Fingerspitzen unablässig auf den Tisch. Bevor ich noch nervöser werden kann, lege ich einfach los.
"Also Yesaya, schön habt ihr es hier, wirklich! Um gleich zum Punkt zu kommen, es gibt aber auch Sachen, die ich nicht ganz so schön finde. Soll ich mal aufzählen? Ich zähl mal auf: Da wäre zum einen, dass ich kein Transferbudget bekommen habe. Aber wenigstens sind noch 1,84k Gehaltsbudget übrig, so dass ich zumindest ablösefreie Spieler verpflichten könnte. Bei einem Gehaltsdurchschnitt von 34 EUR/Woche sollte das kein Problem sein. Aber unser Scout muss dann auch mal Ergebnisse aus Indonesien einfahren, auf die man sich verlassen kann; das hellste Licht ist er ja nicht gerade. Und weitere Bewerber auf diesen Posten gibt es erstaunlicherweise nicht. Nicht einen einzigen. Zum anderen ist die Qualität des Trainings äußerst bescheiden, ich schlage deshalb vor, noch einen Trainer einzustellen, damit wir wenigstens fast überall auf einen ganzen Stern kommen. Ist zwar nicht so, dass uns passende Leute die Bude einrennen, aber einen möglichen Kandidaten mit ähm aussagekräftigen Werten hätte ich vielleicht schon gefunden. Ach und: Könnten wir vielleicht das Trainingsgelände ausbauen? Es ist nach den bombastischen Regenfällen immer so matschig überall…"
Leider habe ich während meiner Kurzzusammenfassung der Lage übersehen, dass sich die buschigen Augenbrauen des Präsidenten immer mehr zusammenziehen, so dass sich inzwischen ein ziemlich ungemütlicher Gesichtsausdruck hinter seinem langen schwarzen Vollbart unter misslaunig funkelnden Augen versteckt. Ich versuche, das Gespräch aufzulockern:
"Na jedenfalls, den Klassenerhalt werden wir schon irgendwie schaffen!"
Zumindest beim letzten Satz mache ich ein extrem fröhlich-positiv gestimmtes, dynamisch-energiegeladenes Gesicht und halte jetzt erstmal die Klappe. Aber dann muss ich doch noch schnell einen letzten Versuch starten:
"Vielleicht kriegen wir sogar den Aloysius Yap aus Singapur, der kann zwar nur MZ, aber mein alter Kumpel aus Bayern meint…"
Da tritt mir Taman unter dem Tisch auf den Fuß und flüstert: "Nix Ausländer in Nusantara!"
Autsch, das wusste ich nicht. Vor Schmerz schießen mir Tränen in die Augen und ich plinkere mit den Wimpern wie eine osmanische Haremsdame, damit der Präsident nichts merkt. Yesaya sagt immer noch nichts, schaut mir aber fest in die Augen. Seine Mimik inklusive der inzwischen fast senkrecht stehenden, buschig-schwarzen Augenbrauen ist bedrohlich und ganz unmissverständlich: Das einzige, worum ich mich zu kümmern habe, ist:
K L A S S E N E R H A L T !!!
Vorerst brauche ich mich wohl gar nicht mehr zu Wort zu melden. Taman sieht das offensichtlich genauso und bedeutet mir, den Rückzug anzutreten. So schleiche ich mittelmäßig geknickt nach einer höflichen Verbeugung von dannen, um wenigstens endlich ein paar Freundschaftsspiele mit möglichst unterklassigen Vereinen zu arrangieren. Vielleicht ist dann wenigstens die Teammoral überdurchschnittlich – jedenfalls, wenn wir diese Spiele gewinnen können…
Fortsetzung folgt …