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Autor Thema: "Das Spiel"  (Gelesen 2443 mal)

melahide

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"Das Spiel"
« am: 08.Dezember 2014, 14:23:35 »

„Das Spiel“
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Prolog

Fußball – Das Spiel. Ich war dem Spiel schon in jungen Jahren verfallen, als die halbe Nachbarschaft in unserem Gärten dem runden Leder nachlief. Als wir alle davon träumten, eine große Karriere als Profi zu machen. Was ja heute schon wahnwitzig klingt, wenn der Heimatverein in der Bezirksliga angesiedelt ist und dort seit 20 Jahren nicht vom Fleck kommt. Was soll ich sagen? Die Jungs, die Jahre lang die Hinterhöfe unseres Dorfes unsicher machten und zahlreiche Fensterscheiben zertrümmerten, konnten an diesem Umstand nichts ändern.

Mit 26, mit einer Halbsaison als Ergänzungsspieler in der Oberliga in den Beinen, merkt man bald, dass es für die große Bühne niemals reichen wird. Die meisten Menschen schieben immer wieder Umständen  die Schuld zu. Verletzungen etwa. Ja. Das stimmt schon. Das hatte ich auch. Zwei Jahre lang zwickte mich die linke Achillesseene die nach jedem Spiel dermaßen angeschwollen war, dass ich zwei Tage lang nicht laufen konnte. Das war in diesem Moment natürlich eine gute Ausrede, um den Fußball sein zu lassen. Denn selbst heute mit 35 Jahren habe ich immer noch Schmerzen, wenn ich das linke Bein zu sehr belaste. Aber wenn man es ehrlich betrachtet, muss man klar erkennen. Das Verlangen nach Ruhm und Ehre wurde mir eingepflanzt. Aber die Begabung vorenthalten.

Aber das Leben spielt oft auf wundersamen Wegen sein Spiel. Gut ein halbes Jahr nach meinem Fußball aus – ich hatte mir wirklich eingebildet auf die Universität zu müssen um Soziologie zu studieren – rief mich mein ehemaliger Trainer an. „Ich arbeite in einer Fußball Akademie in Gambia. Möchtest Du mich in den Ferien besuchen und ein bisschen mithelfen?“. Das tat ich. Aus den zwei Monaten wurden 7 Jahre, die ich als Trainer in Gambia verbringen durfte.


Zurück in Europa

1 Jahr war seit meiner Rückkehr vergangen. Dreimal hatte mich der Verband aus Gambia bereits gefragt, ob ich in einer neuen Rolle wieder eine Rückkehr in Erwägung zöge. Als Teamchef der U21 Nationalmannschaft zum Beispiel. Als Teamchef des Damen Teams. Aber ich war stur. Ich wollte unbedingt in Europa als Trainer arbeiten, hatte aber zur Überbrückung wieder begonnen, in der Jugend zu arbeiten und Seminare zu veranstalten. Bei einem Symposium in Wien war ich als Gastredner eingeladen. Mein Thema? „Optimale Begleitformen der Jugendspieler bis hin zur Eingliederung in den professionellen Fußball“. Ich redete. Ich knüpfte Kontakte. Ich war gut drauf. Zwei Monate nach meinem Auftritt, dann plötzlich ein Telefonanruf. „Könnten Sie sich vorstellen, auch in Österreich zu arbeiten?“. Mein erster Gedanke war. „Dort spielt man Fußball? Die können doch nur Skifahren“. Aber ich signalisierte trotzdem mein Interesse.

Ich fuhr mit dem Auto nach Wr. Neustadt. Sprach mit dem dortigen Sportdirektor Günther Kreisel. Spielformen, Philosophie, Konzepte. Einen Tag später, beim nächsten Gespräch, war der Vereinspräsident bereits dabei. Am nächsten Tag, stießen noch zwei weitere Herren hinzu, die sich  als Vizepräsidenten entpuppten. „Wir sind ein kleiner Verein“ sagte der Präsident schließlich. „Wir haben kaum Geld. Wir müssen auf Spieler setzen, die es wo anders nicht schaffen. Wir können die Spieler nicht lange binden. Wir müssen junge Spieler in den Kader bringen. Und wir können weder den Spielern noch dem Trainer viel bezahlen“. Aber das Konzept schien einfach. Jüngere Spieler aus unteren Ligen, vordringlich einheimische, zu verpflichten, zu entwickeln und bis zur letzten Runde um das Überleben zu kämpfen. „Das klingt interessant“ dachte ich mir. Ich erbat mir Bedenkzeit. Doch ich merkte bald, dass dies genau die Herausforderung war, die ich suchte. Wir trafen uns einen Tag später. Per Handschlag wurde ein Vertrag vereinbart. Für 1 Jahr. In Österreich. Und plötzlich war in Trainer. Beim SC Wiener Neustadt


Background zum Verein

Der SC Wr. Neustadt war ein junger Verein. Er wurde im Jahr 2008 vom österreichischen Fußballmäzen Frank Stronach gegründet, indem er einen bereits vorhandenen Verein der zweithöchsten Spielklasse kaufte und ihn nach Wr. Neustadt umsiedelte. Er pulverte sehr viel Geld in den Kader und schaffte im 1. Vereinsjahr den Aufstieg in die Bundesliga. Nach zwei, drei Jahren verlor er aber sein Interesse und stieg aus dem Verein aus. Seitdem versuchte der Verein sich alleine über Wasser zu halten und mit einem Mini-Budget zu operieren.

Dies gelang vor allem dadurch, dass man junge Spieler oder kostengünstige Spieler aus unteren Spielklassen holte und ihnen die Möglichkeit bot, sich hier für höhere Aufgaben zu empfehlen.
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Volko83

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Re: "Das Spiel"
« Antwort #1 am: 08.Dezember 2014, 14:28:44 »

Ich finde Wiener Neustadt sehr sympathisch und bin hier dabei! Ist Stefan Maierhofer schon bei dir? Auf jeden Fall viel Glück in Niederösterreich und ich hoffe dass du den Nicht-Abstieg oder vielleicht sogar etwas mehr schaffst!
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melahide

  • Kreisklassenkönig
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Re: "Das Spiel"
« Antwort #2 am: 08.Dezember 2014, 21:04:47 »

Hallo - danke für die Antwort :). Freue mich.

1. Teil: Auftakt

In Gambia predigt man eine ganz andere Philosophie als in Europa. Wenn man einmal mit einer U15 Mannschaft gearbeitet hat, merkt man das am deutlichsten. 22 Spieler stehen auf dem Platz. Alle 22 möchten als Stürmer spielen. Man muss den Spielern sanft erklären, dass es auch Mittelfeld- und Abwehrspieler benötigt, um das Spiel richtig umsetzen zu können. Ein Drama wird es aber erst, wenn es um die Position des Torhüters geht. Anfänglich ist man naiv und fragt vielleicht „Wer möchte im Tor stehen?“. Man starrt in 22 Gesichter, die von Unverständnis geprägt sind. Es dauert oft lange. Es wird diskutiert, Tränen werden vergossen. Oft kommt es sogar zu Raufereien. „Natürlich wissen wir, dass es einen Tormann benötigt. Aber ich mache das nicht“. Punkt. Und das hört man 22 Mal. „Ich möchte lieber Stürmer spielen“.

Und findet man schließlich einen – und da gibt es viele Möglichkeiten, dass einer von ihnen doch ins Tor muss – ist dieser meistens verwirrt. „Wie? Die Hände benutzen? Man darf den Ball nicht mit der Hand spielen. Das Spiel heißt Fußball. Darf ich nicht lieber Stürmer spielen Trainer?“

Gott. Man kommt nach Österreich und von vorne herein steht fest – es gibt einen Kader. Drei Spieler möchten ins Tor. Ich war vollends verwirrt, dass wir nach einer kurzen Vorstellung und einer Partie 5 gegen 2 gleich anfangen konnten zu arbeiten.

Auch die Spielphilosophie ist eine andere. In Gambia muss man in jedem zweiten Satz erwähnen. „Die Defensive nicht vergessen“. Denn wenn man nicht aufpasst, steht der Torhüter auch im gegnerischen Strafraum. Wie gesagt. Jeder will ein Stürmer sein. Ich habe noch nie so lange und ausführlich über Defensive gepredigt, darüber sinniert, dazu ermutigt, daran gearbeitet wie in den letzten Jahren in Gambia. Dribbeln, schnell sein, schießen, technische Spielereien. Das kann jedes Kind in Gambia. Aber der Hinweis, dass eine 4er Kette auf gleicher Höhe zu sein hat. Nein. „Auf einer Linie stehen? Mit den anderen? Aber da schieße ich doch nie ein Tor“.

Man gewöhnt sich mit der Zeit dran.

In Wr. Neustadt war es anders. Die Rollen im Kader sind klar. Das Trainingszentrum haben wir nur für uns. Wir müssen es uns nicht mit Hühnern oder Rindern teilen. Der Rasen ist grün und vor allem  - vorhanden. Und man arbeitet klar, strukturiert und professionell. Meistens zumindest. Denn Verwirrung kommt auch hier auf.

Meine erste Amtshandlung im 1. Training war es, Gruppen zu bilden. „Wir bilden vier Gruppen. Für jeden Mannschaftsteil eine. Jeder Spieler geht zu der Gruppe, zu der er sich zugehörig fühlt“. Das mache ich seit Jahren so. Immer, wenn ich eine neue Mannschaft übernehme. In Gambia ist das immer lustig, wenn plötzlich der gesamte Kader in das Angriffsdrittel läuft und 22 Spieler sich als Stürmer zugehörig fühlen. Wie ein Wettlauf. „Ich bin erster, ich bin erster“. In Österreich?

Da bildeten sich im Schritttempo bald kleine Menschenansammlungen. 3 Torhüter, 8 Verteidiger, 10 Mittelfeldspieler und irgendwo standen ganz verloren ein paar Menschen an vorderster Front. Ich traute meinen Augen nicht. „Eins, zwei“ zählte ich nach. Ich rieb mir die Augen und blickte noch einmal hin. „Eins, Zwei“.  Ich ging zu meinem Co-Trainer Christian Ilzer, den ich von meinem Vorgänger geerbt hatte. „Christian. Sei so gut und zähle die Stürmer für mich nach“. Er blickte mich fragend an. „Zwei“... noch einmal, blickte ich hin. „Eins, Zwei“.... „Wir haben nur zwei Stürmer im Kader???? fragte ich schockiert. Christian zuckte nur mit den Schultern. „Was soll man machen?“

Man beginnt. Ich wies meinen Co-Trainer Christian Ilzer und den Tormanntrainer Martin Dedek an, aus dem Spielerhaufen zwei Mannschaften zu bilden, nennen wir sie einfach einmal "Team Rot" und "Team Grün", die ungefähr gleich stark waren. Die Spieler sollten sich danach in einem internen Trainingsspiel selber organisieren und eine Position einnehmen, auf der sie sich selber aufstellen würden. Wieder ein großer Schock. 7 Jahre lang war bei dieser Übung jeder ein Stoßstürmer. Jetzt, hier in Österreich, bildeten sich relativ rasch zwei Gruppen, die sich selber mehr oder minder in einem 4-2-3-1 und einem 4-1-4-1 aufstellten. Ich ließ die Buben spielen. Nach einiger Zeit unterbrach ich immer wieder, gab Anweisungen, änderte Positionen, die Teamzusammensetzung, gab Kommandos. Das war meine Art zu arbeiten. Und bald konnte ich mir einen Überblick verschaffen.

Im Tormannbereich waren die Karten vergeben. Thomas Vollnhofer (29) war die klare Nr. 1. Seine beider Herausforderer waren zwei 20jährige. Christopher Stadler und Dominik Schierl. Beide waren im Sommer zur Mannschaft gestoßen und würden sich um die Rolle als Nr. 2 im Tor ein Duell liefern.

Die defensiven Außenposition waren auch schon bald relativ klar. Rechts hatte ich Mario Pollhammer (29) und als seinen Backup Reinhold Ranftl (22). Links gab es den jungen Lukas Denner (23) – er war von Rapid Wien zu uns gekommen – und den 31jährigen Mark Prettenthaler. Prettenthaler war im Sommer aus der Regionalliga zu uns gestoßen und wollte es noch einmal im Profifußball versuchen. Auch hier hatte ich schon eine klare Präverenz.

In der Innenverteidigung kristallisierte sich Dennis Mimm (31) sofort als Abwehrchef heraus. Remo Mally (23) zeigte ebenfalls sein Talent. Daneben gab es noch Matthias Sereinig (29) der aus der Ersten Liga zu uns kam, und Carsten Deutschmann. Der 26jährige war im Sommer aus der Regionalliga zu uns gestoßen. Die Spieleröffnung war für alle 4 Verteidiger ein Fremdwort.

Das defensive Mittelfeld wurde derzeit von Tobias Kainz (22) abgedeckt. Er hatte die letzten beide Jahre bei Sturm Graz die Rolle eines Ergänzungsspielers eingenommen. Zentral vor ihm gab es Matthias Koch (26), Christoph Freitag (24), Daniel Schöpf (24) und unseren einzigen Legionär. Den Amerikaner Conor O`Brian (25)

Die offensiven Flügel
waren rechts mit Osman Ali (28) und Michael Tieber (26) besetzt, links war der Flügel jünger Aufstellt. Mit Kristian Dobras (22) und Mario Ebenhofer (ebenso 22).

Und am Ende hin, blieben noch die Stürmer. Herbert Rauter (32) und Julian Salamon (23), die – zu allem Überfluss – sich beide eher als hängende Spitzen sahen.

13 Spieler waren im Sommer neu zur Mannschaft gestoßen. 15 Spieler hatten den Verein verlassen. Von der „alten Garde“, also Spielern, die bereits länger als 1 Jahr beim Verein waren, gab es nur Vollnhofer, Mimm, Mally, Pollhammer, Koch, Schöpf, Freitag, Dobras und Rauter. Man musste mit dem Aufbau der Mannschaft also wirklich ganz von vorne beginnen
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