Kapitel 47: Psychologische KriegsführungDie tasmanische Gitarrenpflanze heißt so, weil sie wie eine Gitarre aussieht. Verrückt!Warum schreiben Sie eigentlich ihr Tagebuch nicht mehr weiter Herr Lagwitz?Weil... weil ich...Weil Sie keine Zeit haben? Es gibt soviele Leute die ein Tagebuch schreiben und die Meisten sind auch berufstätig. Sie arbeiten nur einmal pro Woche!Da sieht man wieder, dass Sie keine Ahnung vom Fußball haben! Ich stehe fast jeden Tag auf dem Platz. Außerdem ist mein Kopf vollgestopft mit Gedanken, dass wenn ich Zeit zum Schreiben habe, alle meine Erinnerungen wie weggewischt sind.AHA! Also glauben Sie immer noch, dass jemand versucht Sie umzubringen! Na dann kann ich mich schon mal darauf vorbereiten, die nächsten Sitzungen zu beantragen!Entnervt sprang mein Psychologe aus seinem bequemen Sessel auf und stürzte sich auf mich. Mein Stuhl kippte nach hinten und ich schlug mit dem Hinterkopf auf den harten Boden. Im Kopf drehte sich alles und die Stimme des Psychologen dröhnte wie ein Vorschlaghammer in meinem Kopf.
Sie sind so paranoid, dass es mich wundert, warum Sie nicht unter Verfolgungswahn leiden! Immerhin sind sechs Vereine hinter Ihnen in der Tabelle und verfolgen Sie! Ich will, dass Sie endlich Ihr Tagebuch an einen Verlag geben und dann werden Sie mir alle Einkünfte aus dem Buchverkauf geben. Denn ich habe Sie auf die Idee gebracht. Das Geld steht mir zu! NUR MIR! Können Sie leiser schreien? Ich fühl mich als ob mir beim Sturz der Schädel gespalten wurde!Wenn Sie Ihr Buch nicht veröffentlichen, dann muss ich Sie umbringen! Das Buch eines Toten verkauft sich sowieso besser.Der Psychologe zog aus seiner Hosentasche eine Walther PPK/S Kaliber 22, entsicherte sie und schoss mir damit in den Kopf, noch bevor ich reagieren konnte.
PENG!
Als ich im nächsten Moment meine Augen öffnete, starrte ich in die eisblaue Iris von Anita. Ich spürte immer noch einen höllischen Schmerz im Schädel und versuchte mich zur Seite zu drehen.
Was-? Wo bin ich? Bin ich tot? War ich die ganze Zeit tot? Ich meine, du bist tot also bin ich jetzt auch tot oder? Schatz, du hattest einen Alptraum und bist aus dem Bett gefallen! Du lebst noch.Aber da war dieser Knall - wie von einem Schuss.Da war kein Knall. Das hast du nur geträumt.Nein, das war nachdem ich aus dem Bett gefallen bin. Mein Ps... Ich traute mich nicht, zuzugeben, dass ich von meinem Psychologen geträumt hatte.
Ich lag auf dem Boden und jemand stand über mir und hat mich erschossen.Außer mir ist hier niemand. Alles ist gut. Vergiss deinen Traum ganz schnell wieder und schlafe weiter.Ich muss mir erst ein Kühlpack holen. Wenn ich solche Schmerzen habe, kann ich nicht einschlafen.Vorsichtig stand ich auf und tastete mich durchs dunkel zum Schlafzimmerlichtschalter. Als ich das Licht anmachte, ging ich langsam weiter zur Küche wo unser Notfallkasten war. Bei jedem Schritt vibrierte mein Schädel und ich versuchte mich beim Gehen irgendwo festzuhalten.
Endlich in der Küche angekommen, beugte ich mich hinab und öffnete die kleine weiße Schranktür und zog den Kasten heraus. Dann fiel mir ein, dass das Kühlpack erst einige Zeit in das Gefrierfach musste, um kalt zu sein. Also legte ich es schnell wieder zurück und schaute in unser großes Gefrierfach, wo Tiefkühl-Gemüse, Hühnerbeine und die Reste des Truthahns von Weihnachten lagerten. Ich griff mir die kleinste Tüte Gemüse heraus und legte sie auf meinen Hinterkopf.
Als ich aus der leicht gebeugten Haltung wieder hoch kam, schaute ich für einen kurzen Moment aus dem Küchenfenster. Draußen auf der Straße stand im schwachen Licht einer Laterne eine dunkle Gestalt mit Kapuze. Ich erschrak mich so sehr, dass ich zurückwich und prompt mit dem Hinterkopf gegen den Rahmen der Küchentür knallte und auf den kalten Fließen zusammensackte.
Später wachte ich wieder auf. Die aufgehende Morgensonne wagte sich über den fernen Horizont und strahlte durch unser Küchenfenster. Ich kämpfte mich hoch und zog mich an einem unserer Küchenschränke hoch, um stehen zu können und aus dem Fenster zu schauen. Die mysteriöse Person war längst verschwunden und ich fragte mich, wie lange ich wohl bewusstlos in der Küche gelegen hatte. Anita war eingeschlafen ohne zu merken, dass ich nicht mehr wieder gekommen war.
Während ich mich auf den Rückweg ins Schlafzimmer machte, stellte ich fest, dass meine Benommenheit stärker geworden war. Ich wusste nicht, ob der zweite Schlag auf den Hinterkopf mein Denkvermögen erhöht hatte, aber er hatte meinen dröhnenden Schmerz intensiviert.
Im Schlafzimmer angekommen schaute ich auf unser gemeinsames Doppelbett. Es war leer und die Bettdecke lag ordentlich und sauber da. Für den ersten Moment machte ich mir darüber keine Gedanken und zog mich an. Obwohl ich keine Ahnung hatte, wie spät es war, ging ich danach wieder zurück in die Küche und bediente mich erstmal an meinem kleinen Vorrat Bierflaschen. Eine Flasche des dänischen Carlsberg-Bieres sollte vorerst reichen, um meinen Schmerz zu lindern, also schüttete ich soviel in mich rein, wie ich in einem Atemzug trinken konnte.
Aus dem Flur hörte ich ein gruseliges Rascheln, dass mich sofort aufhorchen ließ. Auf Zehenspitzen ging ich zum Flur und in Richtung Haustür. Direkt vor unserer Tür lag die Tageszeitung. Das war eine Erleichterung. Kein Geist hatte das Rascheln verursacht, sondern der Zeitungsausträger hatte bloß die Zeitung durch den Briefschlitz in der Tür geschoben. Mit der Zeitung bewaffnet torkelte ich ins Wohnzimmer. Einen positiven Nebeneffekt hatten meine nächtlichen Alkoholexzesse der Vergangenheit gehabt: Ich wusste bereits, wie es einem gelingen konnte, schwankend durch unseren Flur zu laufen. Nur diesmal wusste ich nicht, ob das Schwanken durch die Kopfverletzung oder das Bier entstanden war.
Möglichst leise schob ich einen Stuhl vom Wohnzimmertisch zurück, um Mia nicht zu wecken. Dann setzte ich mich auf den Stuhl und verzichtete darauf, den Stuhl wieder an den Tisch zu ziehen. Die große schottische Tageszeitung breitete ich sanft auf dem Tisch aus und las die Titelseite:
Lagwitz packt aus! Lesen Sie heute, warum Forfar Athletic so gut ist und was er vom deutschen Fußball hält. - Seite 5/6.Ich blätterte durch den Politikteil der ersten vier Seiten und schlug dann die folgenden Doppelseite auf. Auf der linken Seite war ein Bild von mir, wie ich vor einer Trainerbank stand und mit ausgestrecktem Finger auf irgendetwas zeigte, was sich hinter dem Fotografen befand. Die rechte Seite war komplett ausgefüllt mit weißer Schrift auf einem dunklen Bildhintergrund:
Glasgow - Heute Mittag wird auf einer Pressekonferenz von Bloomsbury Publishing die Autobiografie von Michael Lagwitz vorgestellt. Bloomsbury hatte sich bereits frühzeitig die Rechte an der Verlegung des Buches ergattern können und hat bereits über 3 Millionen Vorbestellungen für das neue Buch verzeichnen können.
Wir durften bereits einen exklusiven Blick in das Buch werfen. Eine Sache wurde dabei schnell offensichtlich. Herr Lagwitz hat reinen Tisch mit der Fußballwelt gemacht und es gibt kaum eine prominente Person, die ungeschoren davon kommt. Besonders scharf kritisiert Herr Lagwitz den aktuellen FIFA-Präsidenten und enthüllt dabei einen Skandal ungeahnten Ausmaßes. Noch ist nicht bekannt, wie viel Wahrheit hinter den Worten des Trainers steckt, aber wenn es stimmt, was Herr Lagwitz schreibt, wird der Weltfußballverband reagieren müssen - wenn er nicht den Hass der Fußballgemeinschaft auf sich ziehen will.
Doch nicht nur das Oberhaus des Fußballs wird tabulos an den Pranger gestellt. Auch der deutsche Fußball, die Heimat des Herrn Lagwitz, bekommt den Unmut zu spüren. Ein spezielles Augenmerk wirft der Autor hierbei auf das (Zitat:) "beschissene Relegationssystem, dass der allerletzte Dreck ist." Dem RB Leipzig widmet der gebürtige Berliner sogar zwei eigene Kapitel. (Zitat:) "Die spritzen da Milliarden in den Verein und kaufen sich lauter Spieler, die gestern noch in den Kindergarten gegangen sind! Und dann, wenn Sie vor dem König (Anm. d. Red.: Bayern München) stehen, bringen sie ihr Bauernopfer."
Jetzt ist noch nicht abzusehen, welche Auswirkungen diese Bloßstellungen auf die Fußballwelt haben werden. Aber eines ist gewiss: Keiner wird diese Entwicklungen ignorieren können. Das Buch wird ein Pulverfass anzünden und keiner ist da, um die Lunte zu löschen.Ich hatte absolut keine Ahnung, wie der Verlag an mein Tagebuch gekommen war, aber das war gar nicht der entscheidende Punkt. Viel mehr interessierte mich, wieso jemand meine Notizen so brutal verfälscht hatte. Ich dachte fast, es wäre ein Aprilscherz, aber als ich auf unseren Wandkalender schaute, war heute der erste März 2015. Für einen Aprilscherz war es zu früh.
01.03.2015Um die "Ente" so schnell wie möglich wieder aus meinem vor Schmerz brummenden Gehirn zu verbannen, blätterte ich weiter bis zum echten Sportteil. Fisayo Adarabioyo, unser englisches Überraschungsei war zum Talent des Monats Februar gekürt worden. Seine herausragenden Leistungen und die 4 Tore in 4 Spielen hatten ihn verdient die Auszeichnung gewinnen lassen.
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Es war halb 10 und ich war immer noch alleine im Wohnzimmer. Das war ungewöhnlich und als ich gerade aufstehen wollte, um nachzusehen, wo Mia blieb, hörte ich Schritte aus dem Flur kommen. Als ich meinen Kopf nach rechts drehte, um das Gespenst zu sehen, das ganz in weiß gekleidet das Zimmer betrat, tat mir mein Nacken weh. Das musste wohl eine Nachwirkung meines Sturzes in der Küche sein. Nachdem sich meine Augen auf das Gespenst fokussierten, wurde mir klar, dass es bloß Mia war, die im Schlafanzug vor mir stand.
Hab ich dich erschrocken?Nein. log ich.
Wo ist Anita?Wer?Nun ist aber gut mit diesen Späßen. Wo ist deine Mama?Tot. antwortete Mia trocken.
Komm Mia, du veralberst mich! Sag die Wahrheit.Ich mache keine Scherze über den Tod. Das solltest du doch wissen!Irritiert entschied ich mich spontan dazu, das Thema zu wechseln:
Heute ist ein seltsamer Artikel über mich in der Zeitung. Ich stehe sogar auf der Titelseite.Ja natürlich, weil heute doch dein Buch veröffentlicht wird!Warum bin ich der Einzige, der davon nichts weiß? Wer hat dem Verlag das Buch ausgehändigt?Ähem... Papa, geht es dir gut?Ohne zu antworten fasste ich mit der rechten Hand an meinen Hinterkopf. Es fühlte sich so warm an! Als ich auf meine Hand schaute, klebte Blut daran.
Du blutest ja! Was ist passiert?Okay, also ist das jedenfalls kein Traum.Wovon redest du?Ich weiß nicht... Also das ist schon das Jahr 2015 oder?Papa, du stinkst nach Alkohol. Hast du dich wieder voll laufen lassen? Bist du deshalb gestürzt und hast dir den Kopf aufgeschlagen?Nein, ich habe nur EIN Bier getrunken!Ist klar Papa... - ich mache mir mein Frühstück und du legst dich wieder ins Bett.Warum? Ich bin nicht besoffen!Ich zog an meinem Shirt und schnüffelte daran. Es roch nach Alkohol und den Flecken nach zu urteilen hatte jemand eine Flasche Bier über das Shirt gegossen. Das musste irgendein perverser Plan sein, meine Karriere zu ruinieren. Die Veröffentlichung des Buches war der Höhepunkt dieser Verschwörung. Aber das erklärte das mysteriöse Verschwinden von Anita nicht.
Obwohl ich über den restlichen Tag verteilt mehrere Anrufe bekam, ging ich nicht zu der Pressekonferenz und ignorierte das fast pausenlose Klingeln des Telefons. Als ich abends einen Film im Fernsehen schauen wollte, zog ich kurzerhand den Stecker aus dem Telefon und endlich war Ruhe. Vielleicht würden sie mit dem albernen Quatsch aufhören wenn ich sie ignorierte und dann würden sie endlich offenbaren, dass alles nur ein schlechter Scherz war.
07.03.2015Meine totale Ignoranz der Außenwelt und das schweigsame Telefon, das zerstört neben seiner Steckdose lag, führten dazu, dass ich erst am nächsten Spieltag der vierten schottischen Liga die Auswirkungen der Buchveröffentlichung mitbekam. Im Spiel gegen Peterhead fehlte uns jegliche Unterstützung unserer Zuschauer. Trotz eines wackligen Starts machten wir zwar den Ausgleich, aber danach ging es in dem Spiel nur noch um Leben und Tod. Die gegnerische Mannschaft kompensierte ihren Hass auf mich damit, dass sie meine Spieler bei jeder guten Gelegenheit foulten. Die waren aber fitter als unser Gegner erwartet hatte und so kam es, dass meine Mannschaft Rache nahm. Es folgten gelbe Karten für Owens, McMullan und Dods. Der Gegner blieb zwar von Karten verschont, aber drei Spieler von Peterhead mussten das Feldlazarett neben dem Stadion besuchen.
Nach 74 Minuten Kampfsport erhöhte Kapitän Kleczkowski auf das 1:2 und alle waren froh, als irgendwann der Schlusspfiff kam. Jeder Spieler blutete und als ich mich auf dem Weg in die Umkleidekabine traurig umblickte, sah ich, dass sogar der Schiedsrichter ein blaues Auge hatte.
Forfar Athletic - FC Peterhead: 1 - 2
McCluskey (29.) - Emslie (4.), Kleczkowski (74.)