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Autor Thema: Viel Tamtam in Tomsk  (Gelesen 1960 mal)

DeadCrow

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Viel Tamtam in Tomsk
« am: 27.November 2014, 19:42:15 »

Kapitel 1 - Das Ende vom Anfang, oder: Bier für die Seele



12. Mai 2012, 19.51 Uhr, Abend des DFB Pokalfinales zwischen Borussia Dortmund und Bayern München

Zwei Freunde sitzen in einem gebrauchten Volkswagen. Das Auto steht vor einem tristen Mietshaus in Essen-Altenessen. Beide wirken entnervt, nicht zuletzt bedingt durch den Fakt, dass ihr Wagen von einem knallgelben Renault Clio zugeparkt wurde, welcher wahrscheinlich deutlich besser in die Parklücke gepasst hätte. So schaukelt sich ihr Gespräch langsam hoch, und beide werden lauter:

„Ey, Macke, mach ma hin da, sonns komma zu spät zum Didi! Du weiss' doch datt der immer nur die Hälfte vom Stauder kalt stellt. Willse etwa son pisswarmet Bier süppeln?“

„Nenn mich nich Macke, sons' fängse gleich eine. Und ich mach ja schon, kann ich doch nix für, datt die Olle hier geparkt hat, als wärse mitm Blindenhund auffe Welt gekommen!“

„Datt is aber auch ne Schrulle, weiss nich wie du hier wohnen kanns... da würd ich lieber in Sibirien bei die Russen wohnen anstatt unner der Schröder.“

„Is halt datt Beste, wasse kriegen kanns mit den Kröten die ich noch hab. Würd ja auch lieber wieder in Bredeney wohnen, aber dat iss nich mehr. Futsch is die Kohle...“

„Ja, kenn wa schon. Fahr gez endlich, sons' macht der Dicke sich wieder inne Ecke breit, und ich muss wieder auffe Kante hocken, mitm brühwarmen Bier. Nich mit mir!“

Philipp „Macke“ Mikolajczak macht sich infolge dieser anspornenden Worte auf, seinen 2009er VW Passat aus der eigentlich viel zu engen Parklücke zu befreien. Dass ihn seine Vermieterin, Elisabeth Schröder, absichtlich in diese missliche Lage versetzt hat, steht für Mikolajczak nicht zur Debatte. Die nachbarschaftliche Beziehung lässt sich, euphorisch gesagt, als unterkühlt bezeichnen. Und „Macke“, wie Mikolajczak von jeder Mann genannt wird, hatte auch keine Lust, dies zu ändern. Nein, dieser Tage war er selten guter Laune, und noch seltener gut zu sprechen.



April 2010

„Lauf schon, Macke, du hängst deiner Sollzeit um 2 Sekunden hinterher! Wenn du nicht ein bisschen mehr inverstierst, dann rückst du doch wieder auf die Bank!“ „Trainer, warum laufen wir überhaupt hier Runden? Können wa nich lieber Passzirkel machen? Oder Abwehrtraining?“ „Mensch, Macke,“, haut ihn Slawo Freier von links an, „jetzt mach keine Aufstand. Is ja nich so als ob das hier der Weltuntergang für dich is. Haste doch drauf!“

Bochum, VfL, mitten im Abstiegskampf. Heiko Herrlich spornt seine Jungs nochmal an, alles aus sich rauszuholen. Das wichtige Spiel in Köln steht an, irgendwas muss passieren. Auch die Kölner sind unten drin, ein Sieg wäre immens wichtig, und könnte Herrlich zudem den Job retten. Mikolajczak war die meiste Zeit der Saison eher Backup für Christoph Dabrowski gewesen, doch dieser hatte sich im Hamburg-Spiel verletzt, und nun war Mackes große Stunde gekommen. Schon zuvor waren seine Leistungen in Ordnung gewesen, doch gegen Urgestein Dabrowski konnte er nichts ausrichten, weshalb er eher positionsfremd zum Einsatz gekommen war. Doch dieses Wochenende würde er die eine Chance bekommen, es allen nochmal zu zeigen, und mit immerhin schon 25 Jahren den absoluten Durchbruch doch noch zu schaffen.

„Is ja gut, Slawo. Ich mach datt schon. Und morgen sens' ich den Poldi um, und dann drehen wa datt Ding! Bochum gibbet auch nächstet Jahr inner Ersten!“ „Das will ich höre.“ Die Bochumer Legende, der immer noch die polnische Herkunft anzuhören ist, grinst und hängt Macke ab. Der geht nochmal raus auf die Laufbahn des Trainigsplatzes, wo heute Peter Greiber Zeiten nimmt, da die Keeper sich untereinander dehnen und warmschießen und Greiber gerade nicht gebraucht wird. „Los, Macke, zeig mal was!“ „Jo, Peter, passt schon!“ Auf Ertönen des Pfiffs zischt Macke los. „Alle nennen se mich immer Macke. Sonne Grütze, ich muss denen datt ma verklickern, datt ich den Namen echt bis zum Hals stehen hab. Naja, mach ich, nachdem wa die Klasse gehaaal-“ Der laute Aufschrei ist im ganzen Rund zu hören. Sofort laufen Physios und Trainer zusammen. Gedanken verloren war Macke auf ein einsames, unachtsam stehengelassenes Hütchen getreten. Wahrscheinlich noch von der Jugendmannschaft, die den Platz vorher hatte belegen dürfen. Eigentlich ein Job für den Zeugwart, oder irgendwen. Wer nutzte heutzutage überhaupt noch Hütchen? Da gabs doch diese Plastikkappen für. Alles Gedanken, die Macke gerade durch den Kopf schossen. An eines wollte er definitiv nicht denken: was sich da gerade in seinem Fuß getan hatte. Doch die Blicke der Mitspieler sagten alles, da konnte er den Blick auch schweifen lassen.

Hätte er es mal gelassen.

Der Fuß stand in einem Winkel, der nur als unnatürlich bezeichnet werden konnte. Dann kamen die Schmerzen. Höllische Schmerzen. Und an viel mehr erinnert sich Mikolajczak heute auch nicht mehr. Der Abstieg blieb dem VfL nicht erspart, schon vorher ereilte Heiko Herrlich die metaphorische Axt. Und Macke? Der hatte mit aktivem Fußball nichts mehr am Hut. Nun, zumindest nicht als Spieler. Aber wer mal übergangsweise Jugendtrainer beim SC Katernberg war, der musste doch auch in der Welt der professionellen Trainer eine Chance haben. Oder?


Nächstes Mal: Eiskalt erwischt, oder: Viele Reisen, kein Ziel


*Ich habe "Macke" Mikolajczak einfach mal ins VfL-Team von 2010 verfrachtet. Ein paar Dinge sind vielleicht komisch, aber es ist halt Ruhrpott, da ist alles anders  ;D
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DeadCrow

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Re: Viel Tamtam in Tomsk
« Antwort #1 am: 28.November 2014, 13:32:35 »

Kapitel 2 -Eiskalt erwischt, oder: Viele Reisen, kein Ziel



„Toll, gez simma zu spät. In fünfzehn Minuten iss Anpfiff, und ich sach dir, da iss wieder kein Platz frei. Wat mussteste auch da anner Gladbecker so trödeln? Kannse nich ma auffe Tube drücken?“

„Wenn du dat Ticket bezahlst, klar! Ich hab da keene Kohle für. Und außerdem hat sich der Didi dochn neuet Sofa angeschafft, da is bestimmt noch irnwo ne Ecke frei.“

„Mach hinne, ich will wenigstens noch den Einlauf vonne Spieler sehn. Haste den Schal mit?“

„Ey, wat denkste denn wohl? Meinste ich fahr ohne dat Ding los? Für wat fürn Fan hälste mich denn?“


Macke öffnet die linke Hintertür, und wühlt in einem epischen Chaos aus Fastfoodverpackungen, Sportsocken, Papierkram und weiteren Kleinigkeiten herum. Es dauert fast eine halbe Minute, bis er triumphierend einen rot-weiß-blauen Fanschal hervorzieht.

„Da isser ja! So, los geht’s!“



Dezember 2011

„Hiermit überreiche ich Ihnen nun ihre offiziellen B-Lizenzen als Fußballtrainer. Kommen Sie bitte in nach vorne, wenn ich sie in alphabetischer Reihenfolge aufrufe. Beermann, Dietrich.....“

Als Mikolajczak seine Lizenz in Empfang nimmt, schaut ihn der DFB-Funktionär etwas verdrießlich an.

„Ah, sie habens auch geschafft. Glückwunsch!“

Das leichte Schmunzeln der anderen Absolventen des Lehrgangs entgeht Macke natürlich nicht.

„Jaja, du kanns mich mal küssen wo die Sonne nich scheint, du Flachkopp. Wat hasste eigentlich sonns so zu tun, außer hier nen paar mittelalten Kerlen sonn Wisch inne Hand zu drücken?“

„Vielen Dank!“, verkündet Mikolajczak fröhlich, „Es ist mir eine Ehre!“

Im zweiten Anlauf hatte er nun also bestanden. Wurde ja auch Zeit. Er konnte ohnehin nicht verstehen, wieso der erste schiefgegangen war. Ja, gut, da war die Sache mit dem zerstörten Flipchart. Und der brennenden Zigarette im Lagerraum. Aber er war sich sicher, dass es einen anderen Grund gab.

„Herzlichen Glückwunsch, Herr Mikolajczak.“

Eine Seminarleiterin, attraktiv, Ende 20, warf ihm im Vorbeigehen ein kurzes Lächeln zu. Ihren Namen hatte er sich nicht gemerkt, aber sie kannte seinen sehr gut, seit er sie in ihrem Kurs zur Trainingsgestaltung gleich in der ersten Sitzung gefragt hatte, warum sie denn gerade Kurse zur B-Lizenz erteilen würde. Sie habe doch mindestens ein solides C.

„Alles bloß Bürokratie. Sonne Spinner hier. Gez muss ich nur noch die A-Lizenz machen, dann iss der Siegellack druff.“

„....und weiterhin viel Erfolg. Wenn sie weitere Fragen haben, wenden sie sich problemlos an Herrn Schäfer, er kann Ihnen bei der Jobfindung helfen und ist auch ansonsten ein kompetenter Ansprechpartner für Neueinsteiger in den Trainerberuf. Er hält auch die Termine für alle weiteren, optionalen Kurse bereit, falls sie sich weiterbilden möchten. Für den Fall, dass sie hospitieren möchten....“

„Der Knallkopp sülzt immer noch? Wahrscheinlich weil sonns keiner mit ihm reden will. Musser halt sich selbst unterhalten.“

„.... die benötigte Praxiserfahrung von einem Jahr für die A-Lizenz ist Ihnen ja allen....“

„WATT?!“


„Ja, Herr Mikolajczak?“

„Wat heißt dat? Ein Jahr? Ich muss ein Jahr irgendson Pampaverein trainieren, biss ich die A-Lizenz machen kann?“


„Ähm, ja. Das wurde jedem Teilnehmer aber zu Beginn des Lehrgangs in der Broschüre offengelegt. Da hätten sie sich etwas mehr informieren sollen“

Das leichte Grinsen auf dem Gesicht des Funktionärs wirkt auf Mikolajczak wie das manische Hohnlachen eines diabolischen Superbösewichts, nachdem er (oder sie) gerade halb New York (oder Gelsenkirchen) in Schutt und Asche gelegt hat.

„Verdammte...dat iss doch...“

Mikolajczak stapft nach draußen, ohne sich weiter umzublicken. Das Feuerzeug zündet einmal zu viel nicht. Ein fataler Fehler, der dem kleinen, unschuldigen Gegenstand das Leben kostet, zertreten unter der unnachgiebigen Sohle eines Ex-Verteidigers, dessen Kindheitsheld Jürgen Kohler hieß.

„Da fahr ich hier durch die halbe Weltgeschichte, und dann sonnen Mist! MIST, MIST, MIST, verdammter! Aber nich mit mir! Ich zeig denen wo der Hammer hängt. Geh ich halt inne Türkei oder nach Usbekistan. Da mach ich dat schon auch als Profi, oder lass mir datt Ding einfach fälschen. Nich mit mir, nich mit Philipp Mikolajczak!“

Unnötig zu erwähnen, dass die Reisen nach Usbekistan oder in die Türkei ausblieben. Allerdings machte Mikolajczak Kilometer durch den häufigen Besuch der Kneipe um die Ecke, zum Ertränken der Sorgen im Kreise seiner Freunde Dieter „Didi“ Fechtner, „dem dicken“ Roman Hauptmann, und seinem besten Kumpel Gernot „Grobi“ Schwarz. Jenem Gernot Schwarz, der mit ihm im Auto saß, an jenem schicksalhaften Maitag 2012, als der Anruf seines Lebens kam...

Beim nächsten Mal: Süßer Wodka, oder: Warum Sibirien nicht im Reisebüro beworben wird (das Ende der Einleitung, danach solls dann in die eigentliche Materie FM gehen ;))
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IchRard

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Re: Viel Tamtam in Tomsk
« Antwort #2 am: 01.Dezember 2014, 20:49:17 »

Ohje DeadCrow,
wenn sich hier nicht mal einer frühzeitig 'ne Favoritenrolle erschrieben hat.
Gefällt mir bisher ausgesprochen gut. :)
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Escher

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Re: Viel Tamtam in Tomsk
« Antwort #3 am: 01.Dezember 2014, 21:23:04 »

Gefällt mir auch sehr gut! Auch unter Konkurrenten kann man das ruhig sagen :)

Cubano

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Re: Viel Tamtam in Tomsk
« Antwort #4 am: 01.Dezember 2014, 22:08:34 »

Guter Einstieg. Bin gespannt, wie es weitergeht.
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