Kapitel 1 - Das Ende vom Anfang, oder: Bier für die Seele12. Mai 2012, 19.51 Uhr, Abend des DFB Pokalfinales zwischen Borussia Dortmund und Bayern MünchenZwei Freunde sitzen in einem gebrauchten Volkswagen. Das Auto steht vor einem tristen Mietshaus in Essen-Altenessen. Beide wirken entnervt, nicht zuletzt bedingt durch den Fakt, dass ihr Wagen von einem knallgelben Renault Clio zugeparkt wurde, welcher wahrscheinlich deutlich besser in die Parklücke gepasst hätte. So schaukelt sich ihr Gespräch langsam hoch, und beide werden lauter:
„Ey, Macke, mach ma hin da, sonns komma zu spät zum Didi! Du weiss' doch datt der immer nur die Hälfte vom Stauder kalt stellt. Willse etwa son pisswarmet Bier süppeln?“„Nenn mich nich Macke, sons' fängse gleich eine. Und ich mach ja schon, kann ich doch nix für, datt die Olle hier geparkt hat, als wärse mitm Blindenhund auffe Welt gekommen!“„Datt is aber auch ne Schrulle, weiss nich wie du hier wohnen kanns... da würd ich lieber in Sibirien bei die Russen wohnen anstatt unner der Schröder.“„Is halt datt Beste, wasse kriegen kanns mit den Kröten die ich noch hab. Würd ja auch lieber wieder in Bredeney wohnen, aber dat iss nich mehr. Futsch is die Kohle...“„Ja, kenn wa schon. Fahr gez endlich, sons' macht der Dicke sich wieder inne Ecke breit, und ich muss wieder auffe Kante hocken, mitm brühwarmen Bier. Nich mit mir!“Philipp „Macke“ Mikolajczak macht sich infolge dieser anspornenden Worte auf, seinen 2009er VW Passat aus der eigentlich viel zu engen Parklücke zu befreien. Dass ihn seine Vermieterin, Elisabeth Schröder, absichtlich in diese missliche Lage versetzt hat, steht für Mikolajczak nicht zur Debatte. Die nachbarschaftliche Beziehung lässt sich, euphorisch gesagt, als unterkühlt bezeichnen. Und „Macke“, wie Mikolajczak von jeder Mann genannt wird, hatte auch keine Lust, dies zu ändern. Nein, dieser Tage war er selten guter Laune, und noch seltener gut zu sprechen.
April 2010„Lauf schon, Macke, du hängst deiner Sollzeit um 2 Sekunden hinterher! Wenn du nicht ein bisschen mehr inverstierst, dann rückst du doch wieder auf die Bank!“ „Trainer, warum laufen wir überhaupt hier Runden? Können wa nich lieber Passzirkel machen? Oder Abwehrtraining?“ „Mensch, Macke,“, haut ihn Slawo Freier von links an, „jetzt mach keine Aufstand. Is ja nich so als ob das hier der Weltuntergang für dich is. Haste doch drauf!“
Bochum, VfL, mitten im Abstiegskampf. Heiko Herrlich spornt seine Jungs nochmal an, alles aus sich rauszuholen. Das wichtige Spiel in Köln steht an, irgendwas muss passieren. Auch die Kölner sind unten drin, ein Sieg wäre immens wichtig, und könnte Herrlich zudem den Job retten. Mikolajczak war die meiste Zeit der Saison eher Backup für Christoph Dabrowski gewesen, doch dieser hatte sich im Hamburg-Spiel verletzt, und nun war Mackes große Stunde gekommen. Schon zuvor waren seine Leistungen in Ordnung gewesen, doch gegen Urgestein Dabrowski konnte er nichts ausrichten, weshalb er eher positionsfremd zum Einsatz gekommen war. Doch dieses Wochenende würde er die eine Chance bekommen, es allen nochmal zu zeigen, und mit immerhin schon 25 Jahren den absoluten Durchbruch doch noch zu schaffen.
„Is ja gut, Slawo. Ich mach datt schon. Und morgen sens' ich den Poldi um, und dann drehen wa datt Ding! Bochum gibbet auch nächstet Jahr inner Ersten!“ „Das will ich höre.“ Die Bochumer Legende, der immer noch die polnische Herkunft anzuhören ist, grinst und hängt Macke ab. Der geht nochmal raus auf die Laufbahn des Trainigsplatzes, wo heute Peter Greiber Zeiten nimmt, da die Keeper sich untereinander dehnen und warmschießen und Greiber gerade nicht gebraucht wird. „Los, Macke, zeig mal was!“ „Jo, Peter, passt schon!“ Auf Ertönen des Pfiffs zischt Macke los. „Alle nennen se mich immer Macke. Sonne Grütze, ich muss denen datt ma verklickern, datt ich den Namen echt bis zum Hals stehen hab. Naja, mach ich, nachdem wa die Klasse gehaaal-“ Der laute Aufschrei ist im ganzen Rund zu hören. Sofort laufen Physios und Trainer zusammen. Gedanken verloren war Macke auf ein einsames, unachtsam stehengelassenes Hütchen getreten. Wahrscheinlich noch von der Jugendmannschaft, die den Platz vorher hatte belegen dürfen. Eigentlich ein Job für den Zeugwart, oder irgendwen. Wer nutzte heutzutage überhaupt noch Hütchen? Da gabs doch diese Plastikkappen für. Alles Gedanken, die Macke gerade durch den Kopf schossen. An eines wollte er definitiv nicht denken: was sich da gerade in seinem Fuß getan hatte. Doch die Blicke der Mitspieler sagten alles, da konnte er den Blick auch schweifen lassen.
Hätte er es mal gelassen.
Der Fuß stand in einem Winkel, der nur als unnatürlich bezeichnet werden konnte. Dann kamen die Schmerzen. Höllische Schmerzen. Und an viel mehr erinnert sich Mikolajczak heute auch nicht mehr. Der Abstieg blieb dem VfL nicht erspart, schon vorher ereilte Heiko Herrlich die metaphorische Axt. Und Macke? Der hatte mit aktivem Fußball nichts mehr am Hut. Nun, zumindest nicht als Spieler. Aber wer mal übergangsweise Jugendtrainer beim SC Katernberg war, der musste doch auch in der Welt der professionellen Trainer eine Chance haben. Oder?
Nächstes Mal: Eiskalt erwischt, oder: Viele Reisen, kein Ziel
*Ich habe "Macke" Mikolajczak einfach mal ins VfL-Team von 2010 verfrachtet. Ein paar Dinge sind vielleicht komisch, aber es ist halt Ruhrpott, da ist alles anders