Kapitel 7: Kalaschnikow und DynamitIn der Nacht plagten mich schwere Alpträume. Einer dieser Alpträume enthielt den lettischen Vorstandspräsidenten, der mit einer AK-47 ("Kalaschnikow") vor mir stand:
Sie sind nicht Europameister geworden! Dafür erschieße ich Sie! Klar, jetzt stieg der Druck auf unsere Mannschaft. Da wir nun auch das zweite Qualifikationsspiel gewonnen hatten, wurden wir selbst von der letzten Dorfzeitung hoch gelobt. Niemand hatte mehr Zweifel, dass Lettland Europameister werden würde. Außer ich selbst natürlich. Denn wer hoch stapelte, konnte auch tief fallen. Also wollte ich nicht überheblich oder gar arrogant sein und blieb bei der felsenfesten Meinung, wir würden als Gruppenletzter die Qualifikation nicht schaffen. Aber um die Moral meiner Spieler zu bewahren, behielt ich meine Meinung für mich.
Allerdings sorgte nicht nur das Europameisterschaftsproblem für eine schlaflose Nacht. Ich war sehr aufgeregt, weil ich endlich wissen wollte, wie Jessica wohl reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass sie zum Talentsichtungstag eingeladen würde. Jedes Mal versuchte ich mir vorzustellen, dass sie sich total freuen würde und sich ihre Depression legen würde. Aber dann verwandelte sich der Traum in einen Alptraum und die Sache nahm ein schlechtes Ende.
17. Oktober 2030Als ich hundemüde am nächsten Morgen aufwachte und auf den Wecker schaute, war es in meinen Augen schon viel zu spät. Schnell zog ich mich an, schlüpfte in meine Hausschuhe und rannte die Treppe hinunter ins Esszimmer. Aber das Zimmer war leer und es lag kein Geschirr auf dem Tisch oder in der Spüle. Dann wollte ich wieder kehrtmachen und die Treppe hoch zu Jessis Zimmer laufen, in der Annahme sie hätte auch verschlafen. Doch noch bevor ich die Treppe erreichte, kam mir Emilia entgegen.
Wo ist Jessica? fragte sie.
Dasselbe wollte ich dich gerade fragen. Hast du schon in ihrem Zimmer nachgesehen?Ja, das Bett ist leer und im Badezimmer ist sie auch nicht. Oh-Oh, das ist nicht gut.Was ist denn?Erzähl ich dir beim Fahren, wir müssen schnell zu unserem Auto!Emilia fragte nicht nach, weil sie vermutlich die Panik in meinen Augen sah. Wir rannten aus der Ferienwohnung raus, stiegen in das auf der Einfahrt geparkte Auto und fuhren los.
Ich bin mir sicher, dass sie sich umbringen will.Warum glaubst du das!? fragte sie entsetzt.
Sie hat einen geeigneten Moment abgewartet. Ich glaube sie ist noch nicht lange weg. Wann hast du geduscht?Vor ungefähr 10 Minuten.Na dann hoffen wir, dass sie keinen guten Orientierungssinn hat. Dann können wir sie vielleicht noch einholen. Sie hat gewartet, bis du unter der Dusche bist. Die Dusche und der Durchlauferhitzer machen viel Lärm. Nachts wollte sie nicht abhauen, dann wäre sicher einer von uns beiden wach geworden. Außerdem habe ich wahrscheinlich geschnarcht was möglichen Lärm ihrerseits übertönt hat.Na gut, aber woher weißt du, wo genau sie hinläuft?Es gibt zwei Arten von Selbstmördern: die einen machen es laut und aufsehenerregend, also zum Beispiel ein Geisterfahrer auf der Autobahn. Die anderen machen es unauffällig und wenn sie alleine sind. Da Jessi gewartet hat, bis sie heimlich aus dem Haus verschwinden kann, gehe ich davon aus, dass sie es unauffällig machen will. Also Bahnhöfe oder viel befahrene Straßen fallen weg. Aber was bleibt übrig? Vor einen Laster rennen? Zu riskant, er könnte es noch schaffen, auszuweichen. Von der Brücke springen ist die sichere Alternative. Die Stadt liegt in einem engen Tal aber trotzdem ist die nächste Brücke über den Fluss sehr weit weg. Aber ganz in der Nähe gibt es eine Brücke, die über die Eisenbahngleise führt. Dort ist wenig Autoverkehr und vielleicht hat sie ein Zeitfenster von 2 bis 3 Minuten, in denen sie unbeobachtet ist. Da fahr ich jetzt hin.Ich folgte den Wegweisern zum Bahnhof, bis ich an einer Straße angelangt war, die parallel zu den Gleisen verlief. Sie war schmal und eigentlich waren nur 30 erlaubt, aber ich musste es riskieren und das Tempolimit überschreiten. Plötzlich kam von links ein PKW aus einer Einfahrt herausgerollt. Wir mussten nach rechts durch eine Parklücke auf den Bürgersteig ausweichen. Der Bürgersteig war zwar breit aber vor uns tauchte eine Frau mit Kinderwagen auf, also wechselte ich sicherheitshalber bei der nächsten Parklücke wieder auf die Straße. Mit quietschenden Reifen bog ich am Ende der Straße nach rechts auf die schmale Brücke ab.
Da sah ich Jessica, wie sie gerade über das Brückengeländer kletterte. Ich beschleunigte und der Wagen rumpelte über die Bordsteinkante, wo ich mit einer Vollbremsung den Wagen auf dem Bürgersteig anhielt. Schnell sprang ich heraus.
Du wurdest zum Talentsichtungstag eingeladen Jessica, spring nicht! rief ich ihr zu.
Sie drehte sich um und sah mich näher kommen. Mit beiden Beinen war sie schon auf der anderen Seite des Geländers.
Das sagst du doch nur so! rief sie mir unter Tränen zu.
Der Sichtungstag ist am 20. Oktober 2030 im Staatlichen Deutschen Gymnasium in Riga. Glaubst du mir jetzt?Scheinbar war sie davon überzeugt, denn sie hob ihr rechtes Bein wieder über das Geländer. Doch dann rutschte sie mit dem linken Bein auf dem nassen Geländer aus und fiel.
NEIN! Versuch irgendwas zu greifen, wir retten dich!Ich rannte bis vor an das Geländer und schaute hinab. Sie hatte noch in letzter Sekunde die Ecke eines Protestbanners für den Ausbau der Monorail-Strecke Zürich - Wien gepackt.
Hilfe! Ich kann mich nicht mehr länger halten!Aber dann begann das Protestbanner zu reißen. Sie pendelte nach links und hing jetzt nur noch wenige Meter über der Oberleitung. Wenn sie die Oberleitung berührte, würde sie einen Stromschlag mit 15,000 Volt abbekommen. Doch die Lage wurde noch schlimmer, weil sich auf dem Gleis, über dem sie jetzt hing, ein silber-grüner Triebzug der Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (kurz BLS) näherte. Glücklicherweise hielt das Banner und der Zug fuhr unter ihr hindurch.
Plötzlich riss das Banner in der Mitte einmal quer durch.
Spring ab! schrie ich.
Jessica nutzte die Pendelbewegung und ließ das Banner los um etwas nach links abzuspringen. Um Millimeter verfehlte sie die Oberleitung aber sie knallte auf das Dach des Zuges und prallte wie ein Flummi davon ab. Mit dem Gesicht voran landete sie im Gleisschotter des direkt daneben liegenden Gleises.
Oh mein Gott!In der Aufregung hatte ich gar nicht bemerkt, dass bereits ein paar Schaulustige dazu gekommen waren, die den Sturz miterlebt hatten. Einige riefen entsetzt, dass sie tot sei, aber ich war fest entschlossen, sie von den Gleisen zu holen. Ich rannte zu einer nicht weit entfernten Stelle, wo eine Treppe abwärts führte. Das Tor am Ende der Treppe, das direkt zu den Gleisen führte, war verschlossen aber direkt daneben war der Zaun relativ niedrig. Schnell sprang ich über den Zaun.
Hey, sie dürfen nicht auf die Gleise! rief mir ein Bauarbeiter zu.
Der Pendolino aus Mailand kommt gleich! (Anm. des Autors: Der Pendolino aus Mailand würde normalerweise nicht über St. Gallen fahren aber wegen einer Baustelle wurde er umgeleitet)
Na dann stehen Sie nicht dumm herum und helfen mir!Ich lief über die Gleise zu Jessica, die immer noch regungslos da lag.
Hey Schatz, hörst du mich? Wach auf!Plötzlich bewegte sie sich und hob ihren Kopf. Mit trüben Augen schaute sie mich an.
Schnell, sie lebt noch! Jetzt helfen Sie mir doch! schrie ich zum Bauarbeiter.
Der Bauarbeiter schien einen inneren Kampf auszufechten, ob er sein Leben riskieren sollte oder nicht.
Ach scheiß drauf! Soll mich doch der Teufel holen. sagte er zu sich selbst.
Dann sprang er ebenfalls über den Zaun und rannte zu mir. Ich hob ihren Kopf und der Bauarbeiter die Beine. Die Gleise vibrierten schon und als ich nach rechts sah, erblickte den heranrasenden Neigeschnellzug aus Mailand. Wir trugen Jessica so schnell wir konnten und dann hörten wir, wie der Schnellzug hinter uns vorbeiraste. Obwohl er bei Annäherung des Bahnhofes von St. Gallen nicht so schnell fahren durfte, wurden wir trotzdem von der Wucht des Fahrtwindes umgestoßen.
Als wir uns wieder aufgerappelt hatten, trugen wir Jessica weiter bis an den Rand der Gleise, wo eine kleine Lücke zwischen Gleis und Zaun war, in der wir ungefährdet auf den Rettungsdienst warten konnten. Schnell alarmierten wir den Rettungsdienst. Aufgrund der ungünstigen Lage der Verletzten musste ein Rettungshubschrauber aus Zürich angefordert werden. Mit der Seilwinde hoben sie schließlich die Verletzte in den Hubschrauber hoch und flogen sie in eine Spezialklinik.
Noch am selben Abend fuhr ich mit Emilia ins Krankenhaus. Meinen Co-Trainer Aleksandrs Bespalovs informierte ich über den Unfall und sagte ihm, der Reisebus solle nicht auf uns warten weil wir länger hier bleiben müssten. Als wir in ihrem Zimmer ankamen und neben ihr Bett traten, waren wir geschockt. Sie war wirklich schlimm zugerichtet. Ich ging erstmal aufs Schwesternzimmer um mich zu beruhigen und fragte nach, ob ein Arzt kommen könnte, um uns zu erklären, wie es ihr ging. Eine Stunde später traf dann der Arzt ein, der gerade aus der Notaufnahme kam und für uns nur wenig Zeit hatte.
Sie hat schwere Gesichtsverletzungen, zwei gebrochene Beine und innere Blutungen. Aber trotzdem hat sie sehr viel Glück gehabt. Sie ist nicht querschnittsgelähmt, weil sie wahrscheinlich nicht dem Rücken zuerst auf dem Zugdach gelandet ist. sagte der Arzt.
Soweit ich mich erinnern kann, war sie nur mit den Beinen auf den Zug geknallt. - Wird sie wieder laufen können?Das hängt ganz von ihr selbst ab. Sie wird eine Reha brauchen um voll genesen zu können.Wie lange wird sie im Krankenhaus bleiben?Das kann ich jetzt noch nicht abschätzen, aber sicher wird sie nicht mehr im Oktober rauskommen. Die Reha selbst geht maximal fünf Wochen und kann entweder anschließend oder ein paar Wochen nach der Entlassung gestartet werden. Dies ist ihre Entscheidung aber jeder gute Arzt wird ihnen empfehlen, es sofort im Anschluss zu machen. So, es tut mir leid, aber ich muss mich jetzt um die anderen Patienten kümmern. Wenn es etwas gibt, können Sie sich an die Schwestern wenden.Vielen Dank sagten ich und Emilia gleichzeitig.
Der Arzt verließ das Zimmer und nun waren wir alleine mit Jessica im Zimmer. Sie hatte noch einen Zimmernachbarn, der aber hinter einem Vorhang versteckt war.
Was soll ich denn jetzt tun Toni? Ich muss nächste Woche wieder zur Arbeit!Ich werde solange bei ihr bleiben. Die Ferienwohnung werde ich einfach etwas länger buchen.Und was sagt der Fußballverband dazu?Entweder er sagt ja oder ich kündige.20. Oktober 2030Als ich nicht zusammen mit dem Team zurück nach Riga kam, rief mich der Verband auf dem Handy an. Ich schilderte kurz was passiert war.
Sie bekommen Sonderurlaub Mister Finch.Aber Sie kündigen mich doch nicht oder?Nein, Sie haben gute Arbeit getan und man würde mich lynchen wenn ich sie entlassen würde. Außerdem haben wir bis Juni 2031 keine Pflichtspiele. Wenn Sie bis zum Freundschaftsspiel gegen Dänemark noch nicht zurück sein sollten, wird Sie Ihr Co-Trainer vertreten. Schicken Sie Ihm aber bitte ein paar Anweisungen, Mister Bespalovs hat noch keine Erfahrung als hauptamtlicher Trainer.Ja das mache ich, vielen Dank!Sie brauchen sich nicht zu bedanken, die ganze Mannschaft steht hinter Ihnen und wir haben alle Verständnis für diese besondere Ausnahmesituation. Wenn wir irgendetwas für Sie tun können, lassen Sie es uns wissen. Richten Sie Ihrer Tochter alles Gute von uns aus!Dann verabschiedeten wir uns und ich wandte mich wieder Jessica zu. Sie öffnete kurz die Augen und sah mich an. In den letzten Tagen war sie immer wieder kurz wach gewesen aber es war so kurz, dass sie dabei nicht viel mitbekam. Gesagt hatte sie bisher auch noch nichts.
Papa? fragte sie.
Ja Schatz, ich bin bei dir.Sie drehte den Kopf nachdenklich zur Seite und dann riss sie plötzlich die Augen ganz weit auf.
Schwach und leise sagte sie
Was ist mit dem Talentsichtungstag? Welcher Tag ist heute?Der Talentsichtungstag ist heute aber - Dann sprang sie auf und setzte sich aufrecht hin. Ich stand von meinem Stuhl auf und drückte sie wieder ins Bett.
- du bist noch zu schwach. beendete ich den Satz.
Das ist im Moment nicht so wichtig. Erstmal wollen wir, dass du wieder gesund wirst. Bin ich sehr doll verletzt?Nein, du hattest großes Glück. Dafür brauchte es schon mehrere Schutzengel aber sie haben ganze Arbeit geleistet. Dein Kiefer, deine Nase und beide Beine sind gebrochen. Aber der Arzt sagt, dass du bald wieder ganz gesund wirst. Du bist nicht querschnittsgelähmt und das ist die Hauptsache.Werde ich auch wieder Fußball spielen können?Wenn du dich bei der Reha anstrengst wirst du auch das wieder tun können.Sie lächelte.
Wo ist Mama?Sie musste wieder nach Hause fahren aber sie ruft jeden Tag an und fragt wie es dir geht. Übrigens wünscht dir auch das lettische Nationalteam alles Gute.16. November 2030Wie zu erwarten war, musste Jessica noch länger im Krankenhaus bleiben. Daher verpasste ich das Länderspiel gegen Dänemark. Anpfiff war um 13:30 Uhr und so entschied ich mich, schon sehr früh bereits nach dem Mittagessen zu Jessica ins Krankenhaus zu fahren. Sie war inzwischen auf die Normalstation verlegt und glücklicherweise konnten wir auf dem Fernseher im Krankenzimmer auch das Bezahlfernsehen empfangen. Nach kurzer Absprache (und dem Bestechungsversuch, dass jeder Patient von mir ein Autogramm bekam) durften wir auf dem Fernseher das Spiel ansehen.
Dänemark - Lettland
TRE-FOR Park, Odense (13,963 Zuschauer)
Quelle: Wikipedia
Mit wachsender Begeisterung sah Jessica im Fernsehen, wie lettische Zuschauer auf der Gästetribüne Spruchbanner mit Genesungswünschen hochhielten. Die lettischen Spieler hatten auf der Vorderseite ihres Trikots ebenfalls in großen Buchstaben einen Genesungswunsch aufgedruckt bekommen. Im ausverkauften Stadion zeigte sich die Kehrseite der Medaille. Lettland spielte längst nicht so gut wie in den vorherigen Spielen. Die herausragendsten Spieler standen vorne aber weil wir hinten den Ball nicht raus bekamen, standen unsere Stürmer tatenlos rum. Aber unser Torwart spielte das Spiel seines Lebens. Er hielt Dinger, die selbst ein Manuel Neuer in seinen besten Jahren nicht gehalten hätte. Ich fragte mich, was wohl bei Citta di Palermo so abging wenn er jedes Mal wie vom Teufel besessen die Bälle hielt. Bei Dänemarks größter Torchance war die Kugel sogar schon an ihm vorbeigerollt aber Deniss Uljanovs drehte sich um und warf sich auf den Ball.
Völlig verzweifelt schossen die Dänen ihr Danish Dynamite aufs Tor, aber die Kugel zappelte nicht im Netz. So war es mehr als verwunderlich, als es nach 90 gespielten Minuten in Odense immer noch 0:0 stand. Der bei den Bundesliga-Absteigern von SC Freiburg spielende Verteidiger Peter Mikkelsen bekam die Auszeichung Mann des Spiels, was umso seltsamer war, weil Dänemarks Verteidigung fast nichts zu tun hatte und wenn dann sahen sie miserabel aus.
Dänemark - Lettland: 0 - 0
Ich blieb noch bis abends im Krankenhaus und prüfte meine Mails auf dem Laptop. Mein Co-Trainer schrieb mir, dass die Weltrangliste heute aktualisiert worden war. Lettland hatte sich um 26 Plätze verbessert und stellte damit einen neuen Lettland-Rekord auf.
Außerdem hatte der Co-Trainer alte Statistiken durchgeblättert und in Erfahrung bringen können, dass der Jahresnotendurchschnitt von Artis Grigorjevs (7.67) ebenfalls ein neuer Landesrekord war. Aber er brachte mir nicht nur gute Nachrichten aus dem eiskalten Lettland. Dmitrijs Sens hatte sich im Training verletzt und musste zwei Monate lang mit einem Zehenbruch ausfallen. Bis zum nächsten Länderspiel war er zwar wieder gesund aber ihm würden wichtige Trainingseinheiten fehlen. Nebenbei war Edgars Osipovs zum SV Sandhausen ausgeliehen worden.
Was mich zum nächsten Thema brachte. Ich drückte auf den Antwort-Button und schrieb dem Co-Trainer meine Wünsche für den Gegner des Freundschaftsspiels im Februar auf.
Sehr geehrter Herr Bespalovs,
wie Sie sicherlich wissen, müssen wir bald unsere Einladung zum Freundschaftsspiel verschicken. Mein Wunschgegner wäre entweder Deutschland oder die Niederlande. Bitte kümmern Sie sich darum. Für den Termin im August werde ich mich selbst kümmern da ich bis dahin wieder in Riga bin.30. November 2030Am Tag der Entlassung wurden wir mit einem Krankentransporter zum Flughafen von Zürich gefahren. Von dort aus flog ich mit Jessica zurück nach Riga. Das Entertainmentsystem im Flugzeug ermöglichte es mir auch, meine Mails zu checken. Ich war sehr erfreut, dass mein Co-Trainer sich erfolgreich um das Freundschaftsspiel gekümmert hatte. Nun stand es fest: Im Februar spielten wir auswärts in Kaiserslautern gegen Deutschland. Witzigerweise war das Fritz-Walter-Stadion sogar mein deutsches Lieblingsstadion.
Nach der Ankunft in Riga begrüßte uns Emilia, die uns vom Flughafen abholte. Mit dem Auto fuhren wir nach Hause und als ich ins Wohnzimmer trat, wartete dort bereits ein Mann, der mir irgendwie bekannt vorkam aber mir fiel nicht ein, woher ich ihn kannte.
Guten Tag begrüßte mich der fremde Mann.
Ich bin der Klassenlehrer von Jessica.Jetzt fiel es mir wieder ein! Es war der Sportlehrer, den ich auf dem Sportplatz neben der Schule gesehen hatte.
Guten Tag. Darf ich fragen, warum Sie hier sind?Es geht um Ihre Tochter Jessica. Sie hat große Schwierigkeiten, sich in der neuen Schule einzugewöhnen. Ihr Lettisch ist nicht so gut und sie wird deshalb oft gehänselt. Es wäre hilfreich, wenn Sie Ihr helfen könnten, die Sprache zu lernen.Das Problem ist: wir können selbst kein Lettisch schaltete sich Emilia ins Gespräch ein.
Nun wurde mir klar, warum Jessica so depressiv gewesen war. Die Fußballsache war nur ein kalter Tropfen auf dem heißen Stein. In Wahrheit hatten ihr die Probleme in der Schule zu schaffen gemacht. Dabei hatte ich mir die ganze Zeit Selbstvorwürfe gemacht, dass ich in Jessica falsche Hoffnungen geweckt hatte. Emilia war der selben Meinung und gab mir die Schuld an dem Dilemma.
Als der Lehrer später wieder ging, grübelte ich noch einige Zeit über das Gesagte nach. Nachdem ich die Entscheidung gefällt hatte, ging ich aber sofort zu Jessica, um die Sache nicht wieder hinauszuzögern. Vorsichtig klopfte ich an ihre Zimmertür.
Herein! rief sie.
Ich drückte die Tür auf und ging hinein. Sie lag auf dem Bett, denn die Ärzte hatten ihr gesagt, sie sollte sich so viel wie möglich schonen. Dann kniete ich mich neben sie und sie setzte sich auf den Bettrand.
Mir ist aufgefallen, dass dein Deutsch immer besser wird. Du kannst die Sprache schon ziemlich gut.Naja ich glaube, das habe ich automatisch ein bisschen gelernt weil ich dich ja hin und wieder auf Deutsch sprechen höre.Genau - und das hat mich gerade auf eine Idee gebracht. Es gibt doch da dieses Staatliche Deutsche Gymnasium in Riga. Englisch und Deutsch sind Pflichtfächer. Da du Englisch schon gut kannst und in Deutsch auch schon einen kleinen Vorsprung hast, hättest du dort vielleicht nicht so große Probleme, dich in der Klasse einzuleben. Außerdem kann ich dir dann besser helfen, wenn du in Deutsch mal was nicht so gut hinbekommst.Oh ja, das ist eine tolle Idee! Kannst du mich auf der Schule einschreiben? Bitte, bitte, bitte!Ja das werde ich sofort morgen erledigen.Danke! - Ach was ist eigentlich mit dem Talentsichtungstag?Also vorhin war ja dein Klassenlehrer da und auch über das Thema haben wir uns unterhalten. Dein Talent war ihm auch schon aufgefallen und er hat dann mal direkt bei Riga FS nachgefragt. Der Trainer von Riga FS will bei deiner nächsten Sportstunde vorbeischauen und sehen, wie du spielst. Aber bis dahin müssen wir erstmal dafür sorgen, dass du wieder laufen kannst.Tatsächlich hatte Jessica bereits im Krankenhaus gute Fortschritte gemacht und obwohl sie ihre Beine eigentlich nicht belasten durfte weil die Knochen noch nicht so stabil waren, hatte sie die Beine hin und wieder doch belastet. Dabei war den Ärzten aufgefallen, dass sie überraschend wenig Probleme hatte.
31. Dezember 2030Jessica war während des gesamten Dezembers vom Sporttherapeuten des lettischen Fußballverbands betreut worden. Da ihre Heilung so schnell verlief, durfte sie schon viel früher mit der Belastung anfangen als ursprünglich vorgesehen. Der Therapeut sagte ihr, wenn nach den Weihnachtsferien die Schule wieder anfinge, dürfe sie auch wieder am Sport teilnehmen. Nach dieser Verkündigung konnte Jessica es kaum erwarten, dass die Schule wieder begann. Am Sylvestertag flatterte dann ein Eilbrief ins Haus. Darin wurde die Anmeldung von Jessica Deiweleite beim Deutschen Gymnasium Riga bestätigt. Man teilte uns ihren ersten Schultag und den Unterrichtsbeginn mit. Freudestrahlend übergab ich Jessica den Brief und zum allerersten Mal seit drei Monaten konnte sie endlich wieder richtig Lächeln. Die Freude war ihr anzusehen.
Ebenso eilig schien es der Trainer von Burkina Faso zu haben, der mir drei Minuten vor Mitternacht eine Mail schrieb und meine Anfrage zum Freundschaftsspiel bestätigte. Damit war klar, dass meine Familie den Sommerurlaub 2031 in Ouagadougou genießen würde. Das war der Luxus eines Nationaltrainers: Man konnte sich selbst aussuchen, wo man seinen Urlaub machte. Einfach schnell eine Mail verschickt und schon war das Freundschaftsspiel gesichert.
P.s.: Hoffentlich habe ich Ouagadougou richtig geschrieben.