Was bisher geschah...Im Sommer 2014 saß ein gestandener Meistertrainer auf seinem Balkon im schönen Halle an der Saale und blickte zurück auf seine Karriere. Unzählige Titel schmückten seinen Briefkopf, Meisterschaften in ganz Europa, Champions-League-Siege, auch die Copa Libertadores und die Meisterschaften in Argentinien und Brasilien waren dabei, selbst in Yokohama und Osaka strahlten die Gesichter beim Klang seines Namens. Doch die letzten Jahre in Polen hatten Kraft gekostet und so sehnte sich der Erfolgscoach nach der Sonne und nach der Wärme des lateinamerikanischen Kontinents. Während er so in Gedanken an Mate und Ceviche versunken war, jubelte in Brasilien gerade ein junger Mann namens Joel Campbell mit dem Ballbaby unter dem Trikot. Welche Maschinerie mochte diesen Teufelskerl hervorgebracht haben?
Die Antwort war:
Club Deportivo Saprissa, die costaricanische Legende, mit mehr Europaexporten als manch ein brasilianischer Spitzenverein. Sieht man einen Costaricaner in Europa spielen, steht mit großer Wahrscheinlichkeit Saprissa als Ausbildungsclub im Portfolio. Dort wollte ich sein! Mit ein paar Hemden und einem Kilo Mate im Koffer nahm ich den Flug nach San José (CRC).
In Costa Rica erwartete mich eine sehr ordentliche Mannschaft und die Tatsache, dass Ablösesummen außerhalb der drei großen Ligen Mexikos, der USA und Costa Ricas relativ unwahrscheinlich sind. So wechselten die Nationalstürmer aus El Salvador und Honduras, Rodolfo Zelaya und Anthony Lozano, beide trotz langfristiger Verträge ablösefrei zu mir, zudem stieß Wilman Conde zum Team, den ich zufällig im Flugzeug kennengelernt hatte. Ich hatte es erst für einen Scherz gehalten, dass der etwas stämmige Kolumbianer neben mir Profifußballspieler in den USA gewesen sein soll, aber am Tag des Trainingsbeginns stand er auf einmal strahlend und topfit auf dem Feld und jagte den jungen Stürmern einen Heidenschrecken ein, bevor er sie lachend in den Arm nahm.
Die Saison begann dann auch recht fulminant mit hohen Siegen im Pokal, der am Ende von Kapitän Luis Ernesto Michel in die Höhe gestemmt werden konnte und gleichzeitig mein erster Titel in Mittelamerika war. In der Liga, die in Frühjahrs- und Herbstturnier unterteilt ist, wobei in jedem Turnier alle 12 Teams jeweils Hin- und Rückspiel bestreiten, taten wir uns lange schwer, bis ich beim Public Viewing des Spiels Costa Rica - Italien einen Geistesblitz bekam und nun in einem Flügelsystem mit WBs und OMR/Ls agieren ließ. Sah auf der Taktiktafel aus wie ein X-Wing-Fighter, brachte aber nach einigen Feinjustierungen den gewünschten Erfolg und ließ uns nach einer massiven Siegesserie am Ende des Herbstturniers die Playoffs erreichen, wo wir erst Erzfeind Alajuelense und danach Santos (CRC) besiegten. Letztere hatten uns mit Altstar Kikín Fonseca bisher IMMER geschlagen.
In der Rückrunde stießen ein hochtalentierter Hondurianer und der Jamaikaner Evan Taylor, eine Empfehlung von cubano, zu uns. Während ersterer nach einigen Verletzungspausen gut in die Mannschaft fand, war Taylor immer etwas außen vor und kam nie mit der Spielweise in Costa Rica zurecht. Schade, ich mochte den bulligen Mann mit den kleinen Augen. Was uns aber mehr zusetzte war die Stimmung im Team. Vor allem Anthony Lozano kämpfte mit allen Mitteln um die Anerkennung, die er ob seines riesigen Talents eigentlich hätte erfahren müssen, jedoch traf Rodolfo Zelaya mittlerweile in jedem Spiel und wurde am Ende auch hochverdient Torschützenkönig. Demgegenüber war Lozano seit Monaten torlos, forderte aber einen Stammplatz. Nach einer ruhigen Aussprache, folgte nur einen Monat später der nächste Wutanfall, und er war nicht der einzige, denn auch die Inneverteidiger und die Außenstürmer wollten mehr Einsätze, obwohl ich mich redlich bemühte, zu rotieren.
Es nützte alles nichts und am Ende schafften wir es trotz langer Tabellenführung nur mühsam in die Playoffs, wo wir zwar erneut Alajuelense, diesmal gerade so, ausschalteten, im Finale aber knapp an Pérez Zeledon scheiterten.
So begannen wir uns auf die neue Saison vorbereiten, verpflichteten unter anderem den Kopenhagen-Legionär Christian Bolanos, als dann auf einmal doch alles anderes kam. Aus dem "Aktuelle Station"-Thread:
Jedenfalls deutete nichts auf größere Veränderungen hin, als eines Abends bei einem eiskalten, aus Paraguay importierten Tereré das Handy klingelte. Eine mexikanische Nummer. Aha, wer mag das sein? Eine Dame namens Angélica Fuentes meldete sich am anderen Ende und fragte, ob sie sich erst vorstellen müsse oder ob ich wisse, wer sie sei. Ich verneinte beinahe schüchtern und so stellte sich heraus, dass Sra. Fuentes die Direktorin der absoluten und einzigartigen Talentschmiede Mittelamerikas war: Club Deportiva Guadalajara, oder auch einfach die Chivas. Man wolle mich mal nach Mexiko einladen, "einfach so". Nun gut, also Urlaub am Golf, statt in San José.
In Guadalajara eingetroffen, wurde ich von Sra. Fuentes sehr freundlich begrüßt und zum Essen eingeladen, bevor die Dame deutlich wurde: Man sei fasziniert von meiner Art mit talentierten, jungen Spielern umzugehen und sogar Titel zu gewinnen. Ob mir die Namen Erick Torres oder Carlos Fierro ein Begriff seien? Natürlich waren sie das, die zwei talentiertesten Mexikaner sind jedem Kenner ein Begriff. Sollte etwa einer als Leihgeschäft zu Saprissa wechseln? Wir waren mit Zelaya und Lozano doch stark besetzt, dazu drängte ein junger Newgen bereits mit 17 nach oben. Wo sollte einer der beiden denn bei uns spielen? Doch Sra. Fuentes klärte mich direkt auf: Niemand sollte zu Saprissa wechseln, im Gegenteil, ICH sollte von Saprissa nach Guadalajara kommen und aus den Hypertalenten endlich eine Meistermannschaft formen. Ich war sprachlos.
Nach dem Essen sah ich mir also das Training der Chivas an, und entdeckte, dass die Akademie nicht nur eine top besetzte A-Mannschaft aufgebaut hatte, sondern auch mit vier (!) weiteren Mannschaften einen genialen Unterbau hatte. Sofort flogen mir Taktikideen durch den Kopf, während ich Torres, Fierro und einem jungen Mann namens Cristian Acosta dabei zusah, wie er es trotz überragender Angriffsfähigkeiten der beiden Talente immer wieder schaffte, ihnen die Bälle ein ums andere Mal abzugrätschen. So sah ich Sra. Fuentes tief in die Augen und flog kurz danach mit einem neuen Job zurück nach San José, voller Optimismus, nach nur einem sehr erfolgreichen Jahr in Costa Rica nun den nächsten Schritt zu wagen.
Und nun......stehe ich an der Laguna de Chapala und grüble. Soeben sind Angebote für zwei meiner Schlüsselspieler ins Haus geflogen. José Enríquez und Kristian Álvarez waren fest im DMZ und in der IV eingeplant, zudem ist das Transferfenster in Mexiko bereits geschlossen, sodass der Ersatz nur aus den unzähligen Nachwuchsmannschaften kommen kann. Allerdings haben wir noch immer 153 Millionen Euro Schulden - ein Umstand, den mir Sra. Fuentes gnädig verschwiegen hatte - und Transfereinnahmen von 11 Millionen Euro wären mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich rief meinen Mittelsmann in Belo Horizonte an, den ich aus meiner Zeit bei Cruzeiro kannte und gab das Okay zum Verkauf. Ein Fehler? Eine Woche nach meiner Ankunft war die Saison in Mexiko gestartet und wir gegen die Tigres böse verhauen worden. Zwischenzeitlich stand es 0:4, allein drei Tore resultierten aus Eckbällen, bei denen vor allem Álvarez nicht gut ausgesehen hatte. Enríquez hatte seinerseits gut geackert, aber nah an der roten Karte gespielt. Doch beide hatten keinen Anteil daran, dass Jésus Sánchez und Omar Esparza noch die zwei Ehrentreffer für uns erzielten, bei denen man allerdings auch erkennen konnte, wieviel Potenzial in der Mannschaft steckt.
Trotzdem, Ersatz muss her und aus dem Ausland wird er nicht kommen, denn, das hatte mir Sra. Fuentes von Anfang an klargemacht: Die Chivas setzen auf Mexikaner, auf Mexikaner aus Guadalajara und dem Umland, notfalls auch aus anderen mexikanischen Regionen. Sie sprach viel von
orgullo und
confianza und davon, dass wir den Jugendlichen ein Vorbild sein wollen, dass wir die Chance sein wollen, die sich nach harter Arbeit bietet, irgendwann mal professionell Fußball zu spielen. "
Somos el futuro del fútbol mexicano." Und ich war nun ein Teil davon.
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Anmerkung:Wie ihr seht, wird es hier etwas textlastig, ich werde aber versuchen, wichtige Aspekte der Station auch optisch darzustellen.