Wenn es hier jetzt um den Sinn von Strafe geht, muss ich aus philosophischer Sicht einmal einhaken. Es mag sein, dass Hobbes Leviathan gerne herangezogen wird. Das Problem bei ihm ist, dass Strafe letztlich einen rein präventiven Charakter hat. Polemisch formuliert folgt daraus jedoch, dass Straftaten eben nur dann geschehen, wenn die Strafe zu niedrig ausfällt. Es ist somit Schuld des Staates, nicht des Straftäters, wenn er die Tat doch begeht. Das ist vielleicht im Alltag uninteressant, weil dort meist nur über die Zuschreibung der Tat geredet wird. Unter dem Aspekt der Zurechnung sieht das jedoch höchst problematisch aus - und damit über Umwegen dann auch für die rechtliche Frage. Das Gegenteil der Hobbeschen Position findet man z. B. bei Leibniz, wo Strafe eben rein reaktiv ist und somit per definitionem aber das Problem aufweist, dass sie nicht wirklich hilfreich ist, weil ihr inhärent ist, eine notwendige und kausale Folge auf eine Tat zu sein. Hier fällt der präventive Charakter weg (wieso das bei Leibniz genau so ist und nicht den präventiven Teil mit einschließt, lasse ich hier einmal weg, das führt zu weit in Vorstellungen über Kausalität und in die Monadenlehre). Das Ziel einer Strafe darf es nie sein, nur eines dieser beiden Muster zu bedienen: Bei Hobbes ist der Straftäter letztlich nicht Schuld, es fehlt die Zurechnung, bei Leibniz ist der Straftäter zwar Schuld, er konnte aber letztlich auch nicht abgehalten davon werden, weil es eine notwendige (und dennoch freie) Handlung war - es ist somit letztlich in unserem Sinne auch keine Strafe, sondern ein kausales Ereignis.
Eine Lösung bietet z. B. Kant an. Dort ist Strafe grundsätzlich beides. Sie enthält einen präventiven und einen reaktiven Charakter. Damit kann die Zurechnung und gleichzeitig die Freiheit des Protagonisten bewahrt werden. Wieso ich das hier ausführe ist einfach der folgende Grund: Bei einer Strafe darf es nie darum gehen, jemanden nur abzuschrecken. Das führt nämlich zu ganz absurden Begründungen und vor allem geht es am Gleichheitsgedanken (den man natürlich aus anderen Gründen gerne diskutieren darf) vorbei.
Arrr, bei solchen Beiträgen kriege ich Lust auf ein Glas Wein und einer ordentlichen Diskussion bei Kaminfeuer, herrlich!
Grundsätzlich möchte ich dir was die Unterschiede der rechtsphilosophischen Betrachtung der einzelnen Vertreter angeht, auf keinen Fall widersprechen. Zu Hobbes ist es mir persönlich aber noch wichtig zu sagen, dass ich ihn (und besonders den Leviathan) nie als Law&Order- Vertreter begriffen habe. Ich hatte da letztes Jahr eine wunderbare Diskussion mit meinen Studenten, da ging es um das Verhältnis Staat-Individuum und dort hatte auch jemand den Leviathan als Beispiel dafür gewählt, dass der Staat als relativ erbarmungsloser Herrscher dem Bürger gegenübertritt, der wiederum all seine Freiheit als Teil des Gesellschaftsvertrages aufgibt mit dem Interesse, dass der Staat dafür das friedliche Zusammenleben untereinander garantieren möge.
Einwurf für Interessierte, dich den Leviathan nicht kennen, aber sich dafür interessieren: Hobbes verfolgt ein durchaus negatives (unsoziales) Menschenbild. Im Leviathan beschreibt er den Naturzustand des Menschen ohne Gesetze und Staat als anarchistisches Chaos, hervorgerufen durch die Abwesenheit von Regeln, was in gegenseitiger Niedertracht mündet. Das Chaos besteht dann im "Krieg aller gegen jeden" (bellum omnium contra omnes) und das Zusammenleben der Menschen charakterisiert er als hinterlistiges Treiben, wobei der "Mensch dem Menschen ein Wolf ist" (homo humini lupus). Der Bürger ist allerdings durchaus ein harmoniebestrebtes Wesen, er möchte diese animalischen Existenz eigentlich nicht, verfällt letztendlich aber doch immer in seinen Naturzustand. Als einzigen Weg, diesen Naturzustand abzuwenden, sieht Hobbes die Einsetzung eines Leviathans, also eines Staates, der durch Gesetze das Zusammenleben der Bürger regeln soll, damit sich diese nicht gegenseitig zerfleischen. Dabei ist aber wichtig zu verstehen, dass rein vernünftige Gesetze nicht ausreichen, da der Mensch im Kern dafür zu niederträchtig ist. Die vernünftigen Gesetze müssen auch noch wirkungsvoll durchgesetzt werden. Dies ist im Rahmen eines Gesellschaftsvertrages zwischen Staat und Bürger die Aufgabe des Staates, der mit furchteinflößenden Strafen den Bürger davon abhalten soll, zu seinem Naturzustand zurückzukehren. Der Bürger ordnet sich dafür bedingungslos dem Staat unter, gibt Freiheiten auf und unterwirft sich dem Leviathan als einzige legitme Rechtsquelle auch seinen Bestrafungen bedinungslos. Dieser bietet dafür Schutz in dem er die Nichteinhaltung der Gesetze unter Strafe stellt. Exzerpt ende.
Das klingt alles radikal, bei näherer Betrachtung spricht sich Hobbes aber nicht für einen tyrannischen Staat mit drakonischen Strafen aus. Letztendlich argumentiert er für das, was wir heute haben (staatliches Gewaltmonopol, Gerichtsbarkeit der Bürger durch Staatsbeamte, Legislative durch Staat etc). Wenn du jetzt also schreibst
"Polemisch formuliert folgt daraus jedoch, dass Straftaten eben nur dann geschehen, wenn die Strafe zu niedrig ausfällt. Es ist somit Schuld des Staates, nicht des Straftäters, wenn er die Tat doch begeht."
stimmt es natürlich unter dem Aspekt der Zurechnung der Tat als Schuld des Staates. Der Mensch kann ja nicht anders, als zu seinem Naturzustand zu streben (Gefangenendilemma), es ist die Aufgabe des Staates, ihn daran zu hindern. Andererseits lese ich persönlich im Leviathan nicht heraus, dass dies deshalb der Fall ist, weil die Strafe zu niedrig ausgefallen wäre. Darüber lässt sich natürlich trefflich streiten. Wir sind uns, denke ich, alle einig, dass es Hobbes darum ging, dass der Bürger schon in ständiger Furcht vor dem Leviathan leben muss. Allerdings glaube ich, dass es ihm hier vor allem darum ging, dass der Bürger mehr die Furcht haben sollte, entdeckt zu werden im sträflichen Handeln, als die bloße Anzahl der Peitschenhiebe zu fürchten. Ich führe das darauf zurück, dass ein tyrannischer Leviathan, der fast schon blutdürstig agiert in der Form seiner Strafenzuteilung, dem Naturzustand des Menschen zu sehr ähneln würde, sogar mit ähnlichen Motiven behaftet ist (Selbstsucht) und nicht daher nicht genug abstrahiert sein würde. Hobbes hat ja gerade auf die Figur des Leviathan zurückgegriffen, weil diese mythische Figur nicht menschlich ist, ansonsten hätte er ja auch den monarchischen Herrscher mit großer Staatsautorität als Ideal darstellen können.
Aber die Wahrheit trifft sich vermutlich in der Mitte. Eine gewisse Härte brauchen die Gesetze ja schon, aber der abschreckende Charakter ist meiner Meinung nach nicht nur auf die Höhe der Strafe zurückzuführen, sondern liegt auch in der Unterwürfigkeit (dem dauerhaften Respekt), die der Bürger dem Leviathan gegenüber haben sollte. Hier könnte jetzt natürlich wieder damit argumentiert werden, dass der Leviathan härtere Strafen verhängen kann, um die Unterwürfigkeit zu festigen, insofern ist sicherlich das eine vom anderen abhängig. Ich bin auch der Meinung, dass im heutigen Rechtssystem Strafe durchaus noch dazu dient, den Bürger dem Staate zu unterwerfen, bzw ihm die Unterwerfung bewusst zu machen. Gerade das Steuerrecht ist dafür ja die ideale Ausprägung!
Auch wenn es mir unter den Fingern brennt, zu Leibniz und Kant würde ich zu gerne auch noch etwas schreiben, aber das ist hier ja nicht der Philosophie-Club, deshalb lasse ich es und nicke einfach nur in Zustimmung zu dem von dir Geschriebenem.