Ich versuche mal mit meinem juristischen Halbwissen, meinem Bankfachwissen und einem einigermaßen emotionslosen Herangehen an die Sache eine neutrale Betrachtungsweise ohne Verschwörungstheorien und greife dabei ein paar der genannten Punkte auf:
1.) Die Selbstanzeige und deren Wirksamkeit
Nach meiner Kenntnis ist eine Selbstanzeige umfassend und vollständig auch mit der Höhe der Steuerschuld abzugeben. So wie ich es verstanden habe, hat Hoeneß seine Gewinne aus den entsprechenden Jahren vollständig und korrekt angegeben, jedoch keine Angaben zur Höhe der Steuerschuld gemacht. Offensichtlich war Hoeneß unter Zeitdruck, da die Ermittlungen unmittelbar bevor standen und hat es schlicht nicht hinbekommen, seine ca. 50.000 Transaktionen und die daraus folgende Steuerlast sauber auszurechnen. Dazu unter b) und c) mehr. Nehmen wir an, dass die Selbstanzeige jedoch die korrekten Einnahmen bzw. Gewinne enthalten hat. Das lässt sich relativ banal an den Geldflüssen auf den entsprechenden Konten nachrechnen und dürfte auch unter Zeitdruck ziemlich genau zu machen sein.
Jetzt stellt sich die Frage: Ist die Selbstanzeige daher wirkungslos, weil sie die Höhe der Steuerschuld (noch) offen lässt? Wenn man der Meinung ist: "Ja!" bedeutet dies, dass eine Einstellung des Verfahrens nicht möglich ist. Die Anschlussfrage muss dann lauten: Handelt es sich nur um einen "Formfehler" bzw. welchen Einfluss soll diese Unvollständigkeit auf das Strafmaß haben.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass aktuell weder die Seite Hoeneß, noch die Finanzämter, noch die Staatsanwaltschaft genau weiß, wie hoch die Steuerschuld tatsächlich ist. Dazu unter c) mehr.
2.) Die Erstellung von Daten im Zeitalter der Digitalisierung (für den Zeitraum 2003-2011)
Aus eigener Erfahrung (auch mit Schweizer Banken) weiß ich, dass es keineswegs einfach und schnell machbar ist, Transaktionsdaten (inkl. den dazugehörigen steuerrelevanten Daten) für einen Zeitraum, der so lange zurück liegt, aufzubereiten. Die Abrechnungen sind in der Regel bei vielen Banken erst seit einigen Jahren auch auf Dokumentenservern abgelegt. Einige Banken haben diese bis heute nicht. Ich gehe davon aus, dass eine schweizer Bank kein gesteigertes Interesse an einer lückenlosen rückwirkenden Dokumentation der einzelnen Kundentransaktionen für länger zurück liegende Jahre hat und sich Investitionen in diesem Bereich eher gespart hat. In keinem Fall wird eine schweizer Bank diese Daten nach deutschem Steuerrecht (also z.B. Berücksichtigung der FiFo-Methode, Berücksichtigung von Spekulationsfristen oder z.B. Berücksichtigungen von steuerrechtlichen Spezialitäten bei Dividenden, Kapitalmaßnahmen etc.) aufbereitet vorliegen haben - nicht einmal die Daten aus dem laufenden Jahr.
Deutsche Banken unterliegen auch hier stärkeren (bzw. häufigeren) regulatorischen Anforderungen, die es nötig machen, solche Daten (auch von vor Einführung Abgeltungsteuer 01.01.2009) vorzulegen. Deutsche Banken werden daher eher in die entsprechende Infrastruktur investiert haben, da es irgendwann einen Business Case ergibt, wenn die Alternative ist, dass ein oder mehrere Mitarbeiter wochenlang in Archiven und Mikrofilmen abtauchen und (halb-)manuell Zweitschriften erstellen.
Das heißt: Die Schweizer Bank wird mit recht hohem (Zeit-)Aufwand maximal Zweitschriften der einzelnen Transaktionsabrechnungen und Kontoauszüge zur Verfügung stellen können. Anhand derer ist der Steuerschuldner aber kein Stück schlauer, was die tatsächliche Steuerschuld betrifft.
Ich halte es daher für plausibel, dass es a) lange gedauert hat, bis die Daten aus der Schweiz vorlagen und b) dass es danach nochmal sehr lange dauert (und möglicherweise auch noch gar nicht abgeschlossen ist), bis man daraus die echte Steuerschuld errechnen kann. Gerade wenn viele Jahre und enorm viele Transaktionen betroffen sind und alle Abrechnungen in einem System erfolgten, dem das deutsche Steuerrecht ja gerade total egal war.
3.) Verrechnung von Gewinnen und Verlusten (und ob der "Ort" der Erzielung dabei eine Rolle spielt) - und damit auch Ermittlung der tatsächlichen Steuerschuld
Der Steuerschuldner Uli Hoeneß kann bzw. muss sogar natürlich (wenn man seine echte Steuerschuld berechnen will) sämtliche Gewinne und Verluste - und zwar völlig unabhängig davon, ob er diese in Deutschland, in der Schweiz oder auf Barbados erzielt hat - "zusammenwerfen", um seine echte Steuerschuld zu berechnen. Das heißt mal in einem sehr einfachen Beispiel:
Hoeneß macht in 2009 in Deutschland Verluste aus Aktiengeschäften iHv 1.000.000 Mio EUR und Gewinne mit Termingeschäften iHv 2.000.000 EUR. Dann zahlt er nur darauf erstmal Steuern (da in 2009, 25% KESt + Soli) auf eine Summe von 2 Mio EUR, da er seine Aktienverluste nicht mit Sonstigen Gewinnen verrechnen darf.
In der Schweiz hat er nun im gleichen Zeitraum 1.500.000 EUR Gewinne mit Aktiengeschäften und ebenfalls 2.000.000 EUR EUR Gewinn mit Termingeschäften gemacht.
Jetzt müsste man in der Gesamtschau hingehen und sagen: Aktiengewinne +500.000 EUR ; Sonstige Gewinne: 4.000.000 EUR; Bemessungsgrundlage für seine Steuerschuld also 4,5 Mio (obwohl zu seiner Bemessungsgrundlage in Deutschland von 2 Mio EUR nun 3,5 Mio EUR Gewinne hinzukamen,steigt die Bemessungsgrundlage gesamt "nur" um 2,5 Mio EUR).
Das ist sehr, sehr vereinfacht dargestellt, da anhand der Unterlagen aus der Schweiz ja gar nicht ad hoc ersichtlich wird: Wie sind die (steuerlichen) Gewinne/Verluste der einzelnen Transaktionen.
Hinzu kommen erschwerend folgende Fakten:
a) Für die Jahre bis inkl. 2008 gilt der persönliche Steuersatz von Hoeneß, danach 25% KESt (Einführung Abgeltungsteuer)
b) Mit Einführung der Abgeltungsteuer haben sich neben dem Steuersatz (mit teilweise abstrusen zeitlichen und inhaltlichen Fristen) die Spekulationsfristen und Verrechnungsmöglichkeiten von Gewinn- und Verlustarten verändert
c) Die Verrechnung von Quellensteuern (die in der Schweiz bei relevanten Erträgen sehr wahrscheinlich eine Rolle gespielt haben), muss ebenfalls berücksichtigt werden
d) Die Berechnung der "deutschen" Steuerabrechnung muss nicht nur um die "Schweizer Erträge" ergänzt werden, sondern auch die Verlustvor- (und ggf. früher noch möglichen) Verlustrück-träge müssen nach Saldierung aller Erträge korrigiert werden.
In diesem Zusammenhang ist es zumindest für mich nachvollziehbar, warum man zwischen 18,5 Mio und 27,2 Mio EUR schwanken kann (bei überschlägigen Rechnungen). Wie die Staatsanwaltschaft zunächst auf 3,5 Mio EUR kam ist für mich allerdings weiter rätselhaft (bzw. die Summen der einzelnen Jahre, die die Staatsanwaltschaft ja explizit in der Anklageschrift genannt hat).
Fazit und eigene Einschätzung:
Die Selbstanzeige war wohl nicht vollständig und kann daher nicht strafbefreiend wirken. Da dennoch die Unschuldsvermutung gilt, muss man zur Bemessung des Strafrahmens folgende Frage beantworten:
Liegen Fakten vor, die belegen, dass Uli Hoeneß trotz des offensichtlichen formellen Mangels (fehlende Höhe der Steuerschuld) die Tat nicht vollständig aufklären will und wollte?
a) Die möglicherweise Verschleppung (Stichwort Erstellungsdatum der PDFs) konnte nicht bewiesen werden (Zeuge von heute).
b) Es gibt keinen Beweis oder Anhaltspunkt, dass Hoeneß nicht sämtliche Daten vorgelegt hat.
c) Hoeneß hat am ersten Verhandlungstag die ihm vorgeworfene Steuerschuld - aus eigenem Antrieb, ohne dass diese Summe angeklagt gewesen wäre - quasi verfünffacht. Aus meiner Sicht ist dies eher ein Indiz dafür, dass seine Einlassung, er wolle "reinen Tisch" machen, glaubwürdig erscheint. Es gibt aus meiner Sicht jedenfalls keine Fakten, die dagegen sprechen.
Am Ende muss das Gericht dann bewerten, ob die unfassbare Höhe der Steuerschuld schwerwiegender ist, als die vorgenannten Punkte und deshalb die formell unvollständige Selbstanzeige also nicht nur nicht strafbefreiend, sondern sogar auch nicht "haftbefreiend" wirken kann.