Ich greife den Thread mal auf, da meine neue Stelle mein Privatleben derzeit massiv beeinflusst -- ich arbeitete vorher allerdings im öffentlichen Dienst, wo auf Regeln und Gesetze natürlich im Vergleich zur Privatwirtschaft hohen Wert gelegt wird. Überstunden gerade bei Veranstaltungen, Projektwochen etc. durchaus, aber: auf Gesetze und Vorschriften wurde penibel geachtet. Zudem kamen gleitende Arbeitszeiten. Im Vergleich natürlich paradiesische Zustände, die ich so nicht mehr erleben werde, das ist mir auch klar. Allerdings hatte ich vorher auch den Vergleich durch diverse Praktika oder während der Studienzeit Aushilfs-, Vertretungs- und Ferienarbeitsstellen in der freien Wirtschaft, und hatte nirgends ähnliche Arbeitszeiten erlebt, die mich derart einschränkten.
Es betrifft das Arbeitszeitgesetz und, soweit ich das sehe, Verstöße dagegen. Ich bin nicht so naiv, zu glauben, dass es in Deutschland keine Betriebe und Branchen gibt, in denen die Vorschriften eher als unverbindliche Preisempfehlungen verstanden werden. Der Arbeitsmarkt ist klar ein Arbeitgebermarkt. Und alleine schon der Konkurrenzdruck, die Angst um Stellen sowie die Natur mancher Tätigkeiten macht einiges möglich. Regelrechte Horrormeldungen gibt es ja immer wieder insbesondere aus dem Dienstgewerbe und Niedriglohnsektor.
Jedenfalls: 56-Stunden-Wochen von Montag bis Samstag sind hier die Regelarbeitszeit. Das habe ich inzwischen auch in diversen Interviews mit länger Beschäftigen herausgefunden. Zitate: "In den 18 Monaten, die ich hier bin, gab es vielleicht zwei davon, in denen weniger gearbeiter wurde." "Seit ich hier bin, hatte ich vielleicht zwei Wochen, in denen nur etwa 40 Stunden gearbeitet wurden." "Bis Ende August kannst Du Dich darauf einstellen, dass das auch so bleibt." "Wenn Du hier arbeitest, kannst Du Dich von Deinem Privatleben verabschieden." Zudem kennen ich jemanden, der knapp zehn Jahre im Unternehmen arbeitete. Der konnte all das (und mehr) zwar bestätigen. Allerdings nahm er die Überstunden und Mehrarbeit im Gegensatz zu seiner Lebensgefährtin gerne mit, sie wurde ihm ja vergütet.
Weiterhin: Von den vielen Polen im Betrieb, arbeiteten ein halbes Dutzend Ende letzten Jahres 12 Stunden täglich, während der Inventur am Jahresanfang gab es 12-Stunden-Schichten für alle, während denen "die Leute am Ende nur noch Fehler machten". Am Samstag wird als "Ausgleich" für den Karfreitag eine Bereitschaft zu einer 12-Stunden-Schicht erwartet (wobei am heutigen Karfreitag freiwillig gearbeitet werden kann -- die Polen, die hier im Vergleich zur Heimat natürlich paradiesisch verdienen, keine Familie und Freunde vor Ort haben und nur wegen der Arbeit überhaupt in Deutschland sind, interessieren solche Angebote natürlich ganz besonders). Begründet wird all das mit hohem Auftragsaufkommen und zu wenigen Mitarbeitern. In Schichten wird dabei nicht gearbeitet, auch wenn es wirklich oft rund um die Uhr was zu tun gäbe: Alle rücken frühmorgens an und spät am Nachmittag ab. Dazwischen liegt einen halbstündige Mittagspause, plus dreimal fünf Minuten für die Raucher, was laut Gesetzestext wohl ebenfalls etwas grenzwürdig ist. Die Personalfluktuation scheint dementsprechend.
Es geht hier nicht um einen Dienst mit Bereitschaft, sondern in der Logistik -- die Ausnahmen laut Arbeitszeitgesetz greifen hier also wahrscheinlich eher nicht. Auch schwer vorstellbar ist eine vertraglich geregelte Abweichung, das Gesetz sagt schließlich, dass über einen Zeitraum von 6 Monaten die durchschnittliche Arbeitszeit nicht mehr als 48 Stunden pro Woche betragen darf. Und das ist hier nicht der Fall, Hinweise auf dieses Gesetz wurden bereits von diversen Mitarbeitern mit Kommentaren wie: "Wer achtet denn in Deutschland auf dieses Gesetz?" abgewiegelt. Auch auf die "Gefahr" hin, hier von manchem Selbstständigen als wenig belastbarer Jammerlappen durchzugehen: Auch, weil meine aktuelle Tätigkeit trotz anders lautender Stellenbeschreibung bisher eher wenig mit meiner kaufmännischen Laufbahn zu tun hat (einen kaufmännische Ausbildung war sogar klar erwünscht), bin ich derzeit nicht gewillt, das kommentar- und tatenlos so hinzunehmen.