Ohne konkrete inhaltliche Auseinandersetzung mit den von mir zitierten Passagen - oder nachvollziehbar ausformulierter Kritik an der Auswahl meiner Zitate - fällt es mir schwer, den Vorwurf nachzuvollziehen oder gar darüber zu reflektieren.
Ich versuche aber gerne nochmal, meine Gedankengänge darzulegen: Natürlich habe ich nur Ausschnitte zitiert und zum Urteil gehört (weit) mehr, als nur das von mir Zitierte. Das hätte hier aber deutlich den Rahmen gesprengt. Also habe ich die Ausschnitte zitiert, die aus meiner Sicht relativ eindeutig klar machen, dass Deutschland den Klimaschutz verfassungsrechtlich nicht auf die lange Bank schieben kann (wir hatten auch über konkrete Maßnahmen diskutiert, dazu unten nochmal kurz etwas). Auch deshalb, weil aus dem Urteil hervorgeht, dass in der Abwägung des Bundesverfassungsgerichts auch die Grundrechte künftiger Generationen zu berücksichtigen sind, sprich die Last der notwendigen Emissionsminderungsmaßnahmen nicht zu weit in die Zukunft verschoben werden darf, weil diese Emissionsminderungen dann mit hoher Wahrscheinlichkeit drastische Schritte erfordern würden, welche die Freiheit der dann lebenden Menschen gefährden würden. Das BVerfG verweist hier auf "belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen" - die es meiner Meinung nach durch die Klimaforschung in ausreichendem Maße gibt.
Nun ist es grundsätzlich richtig, was du vor einigen Posts geschrieben hast:
Im Gesetz wird die Reduktion der Treibhausgasemissionen nach 2030 nicht mehr beziffert, das hat das BVerfG gerügt, nicht mehr und nicht weniger. Auf Deutsch: man muss einfach nur einigermaßen nachvollziehbare Zahlen ins Gesetz reinschreiben, dann ist dem Urteil genüge getan.
Vor dem Hintergrund der Leitsätze und der Urteilsbegründung sehe ich den Korridor dieser "einigermaßen nachvollziehbaren Zahlen" aber durchaus als begrenzt an und schätze den Erfolg einer Klage gegen bspw. eine potenziell im KSG festgeschriebene Klimaneutralität im Jahr 2065 hoch ein. Das kannst du natürlich anders sehen. Das BVerfG macht übrigens in seinen Leitsätzen auch deutlich, dass sich die Gewichtung in der Güterabwägung mit fortschreitendem Klimawandel verschieben wird, d. h. werden keine gesetzlichen Regelungen getroffen, die die o. g. gravierenden oder irreversiblen Beeinträchtigungen in ausreichendem Maße berücksichtigen, werden zukünftige Gerichtsentscheidungen den Klimaschutz stärker berücksichtigen (müssen):
2 a.) Art. 20a GG genießt keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen. Dabei nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu.
Das zahlt dann auch auf diese Aussage von dir ein:
Wenn das BVerfG seinen Auftrag ernst nimmt, dann muss es die Grundrechte der JETZT lebenden Menschen auch schützen, schützen gegen einen übergriffigen Staat, der meint, er könne im Namen des Klimaschutzes mit den Bürgern tun und lassen was er will.
Das BVerfG nimmt genau diese Abwägung ja vor, ebenso wie die Abwägung zwischen den Einschnitten in die Grundrechte heute lebender Menschen und den Grundrechtsbeschränkungen zukünftiger Generationen. Du magst der Einschätzung des BVerfG nicht folgen und dafür Gründe haben, es ändert aber nichts an der Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts. Damit sind die verfassungsmäßigen Pflichten Deutschlands in Sachen Klimaschutz abgesteckt und daran muss sich eine jede Bunderegierung messen lassen, ganz gleich, von welchen Parteien sie gestellt wird. Und es ist nunmal nicht wegzudiskutieren, dass das BVerfG in seiner Urteilsbegründung auf die verfassungsrechtliche Notwendigkeit hingewiesen hat, dass die Bundesrepublik "eigene Maßnahmen zum Klimaschutz tatsächlich zu ergreifen" hat. Ja, das ist nur ein winziger Ausschnitt aus der gesamten Urteilsbegründung, aber es ist nicht meine Interpretation und es ist auch nicht die Interpretation eines Autors, sondern es steht da
expressis verbis so drin. Den entsprechenden Part habe ich zitiert.
Was mir bislang gar nicht klar war und ich durch die Diskussion und Auseinandersetzung mit dem Klimaschutzbeschluss gelernt habe: Das BVerfG weist explizit auf die internationale Dimension des Klimaschutzes hin, macht aber deutlich, dass der Verweis auf andere Staaten nicht ausreiche, um den eigenen Klimaschutz zu vernachlässigen. D. h. selbst das sachlich richtige Argument des relativ geringen Einflusses Deutschlands auf die Gesamtemissionen der Welt entbindet die Bundesrepublik aufgrund ihrer Verfassung nicht von den eigenen Verpflichtungen in Sachen Klimaschutz. Ich finde das durchaus wegweisend.