Leserkommentar unter einem Zeit-Artikel:
Wir Demokraten begehen bei der Analyse der AfD-Politik immer wieder den gleichen Fehler: wir versuchen die Politik rational zu verstehen. Die AfD ist aber eine im Kern irrationale Polit-Sekte, die ihre Anhänger emotionalisiert und damit blind macht für die Realität, für Fakten und logische Sachzusammenhänge. Nur so kann sie ihre menschenfeindliche Politik überhaupt in den Köpfen der Menschen verankern.
In der AfD reagieren hauptsächlich die beiden Emotionen Wut und Angst. Zuversicht, Rationalität, Zuneigung oder Wohlwollen finden wir in dieser Partei nicht. Durch die ständige Emotionalisierung werden die Anhänger, wie in jeder anderen Sekte auch, in eine Abhängigkeit von der Organisation getrieben. Es wird die Dichotomie der verkommenen, negativen Außenwelt und der heilenden, nährenden Partei aufgebaut.
Diese Dichotomie ist nötig, um Irrationalitäten akzeptabel zu machen: wenn feststeht, dass der Klimawandel eine Lüge der gierigen Eliten ist, um das Volk zu unterjochen, steht auch fest, dass jede klimapolitische Maßnahme generell abzulehnen ist, egal ob sie wissenschaftlich oder sogar ökonomisch sinnvoll ist. Wenn feststeht, dass alle Parteien außer die AfD selbst zum Feind gehören, kann es überhaupt kein Ereignis geben, dass die Anhänger der AfD von deren Wahl abhält, denn die anderen sind ja immer viel schlimmer. Deshalb werden die aktuellen Demonstrationen gegen Rechts auch keinen einzigen Wähler der AfD zurück holen.
Die AfD ist eine Sekte, und so muss man sie behandeln.
In der Wirtschaftspolitik ist das genau das gleiche. Bernd Baumann, der Generalsekretär der AfD-Bundestagsfraktion, war neulich im Interview zu den Bauernprotesten beim Deutschlandfunk. Er wurde vom Moderator auf den Widerspruch zwischen dem Parteiprogramm der AfD (Streichung aller Agrarsubventionen) und der Haltung der Partei bei den Protesten (alle Subventionskürzungen sofort zurücknehmen) angesprochen. Anstatt einzugestehen, dass es da einen eklatanten Widerspruch gibt, hat Baumann vom Thema abgelenkt, wurde wütend und hat auf die "linksgrünen Eliten" und "drogengebrauchende Grüne" gewettert, bis der Moderator das Interview abbrechen musste. Wie genau jetzt die Wut auf Linke und Grüne die Einkommen der Bauern sichern, bleibt Baumann weiterhin schuldig.
Das gleiche Spiel sehen wir beim Mindestlohn: die AfD halt den Mindestlohn für Teufelszeug, obwohl zu ihrer Klientel überproportional viele Geringverdiener gehören, die vom Mindestlohn profitieren. Auch diese Diskrepanz zwischen geforderter Politik und eigenen Vorteil wird nur ermöglicht, indem die AfD-Klientel emotionalisiert wird und Feindbilder aufgebaut werden: wenn angeblich "die Ausländer" Schuld sind am niedrigen Lohn, ist die Lösung auf einmal nicht mehr rational (=Erhöhung des Mindestlohns), sondern irrational (=sog. "Remigration").
Dass da Irrationales dabei ist, sieht man an den Reaktionen. Wie es die Partei schafft, Leute auf eine Art hinter sich zu bringen, auf die Fußballclubs mit ihren Ultra-Kurven neidisch wären. Ich meine: Die checken schon, dass es hier um Politiker auf Wahlkampftour geht? Schöne Versprechungen seit jeher und so? Das ist auch der Widerspruch: sich als besonders kritische Geister geben. Als solche, die es "verstanden" haben, dass hier eine Partei Des Guten gegen das Böse Politkartell samt Gleichgeschalter Medien kämpft. Aber dann sich trotzdem den nächsten Politikern dermaßen unterwerfen, dass es mitunter an Selbstaufgabe grenzt.