Ich stelle einfach nur die Prämisse infrage, dass eine Klimaneutralität bis 2045-50 gleichzeitig den Ruin der deutschen Wirtschaft bedeuten muss.
So wie das wirtschaftspolitisch läuft, sehe ich da eigentlich keine Chance. Die Wirtschaft, besonders die Industrie, braucht günstigen Strom, günstige Rohstoffe und Arbeitnehmer mit hoher Produktivität, um die hohen Arbeitskosten aufzufangen. Und man braucht möglichst wenig Bürokratie, wenn man sich da das Lieferkettengesetz ansieht, stehen einem die Haare zu Berge.
Zum Wasserstoff: ich bin schon lange dafür, dass man mit dem Strom, den man ans Ausland abgibt und noch Geld on top legt, Wasserstoff macht. Man hört dann aber immer, das würde sich nicht lohnen, weil die Menge zu gering wäre. Außerdem müssen mW. die Wasserstoffhersteller den Marktpreis für den Strom bezahlen (ja, den gleichen Strom, den man ins Ausland verschenkt und denen man sogar noch Geld dafür gibt), selbst wenn der Wasserstoffhersteller gleichzeitig auch der EE-Stromproduzent ist. In Schilda wären sie stolz.
Eine Defossilisierung der deutschen Industrie bedeutet nicht die Deindustrialisierung des Landes, sondern kann auch aufgrund einer autarken (oder autarkeren) Energieversorgung geostrategische Unabhängigkeit bedeuten.
Ein Unternehmen ist kein Selbstzweck, das Unternehmen muss profitabel sein, sonst wird es aufgegeben. Man kann steigende Kosten auch nur zu einem Teil auf den Preis umlegen, besonders wenn es diese Kosten in weiten Teilen der Welt nicht gibt. Entweder hat man also eine ultraproduktive Fertigung oder man hat ein nahezu konkurrenzloses Produkt, beides wird immer seltener, die Konkurrenz schläft nicht. Und ist beides nicht gegeben, hat man es im globalen Wettbewerb sehr, sehr schwer. Früher hatte "Made in Germany" einen Donnerhall, heute guckt man eher auf "german free", besonders bei Waffen.
Die deutsche Industrie hat auch immer noch nicht so einen Niedergang hingelegt, wie in anderen Ländern (ganz krass UK, aber auch in den USA).
Die Betonung liegt auf noch, man darf auch nicht zu sehr darauf vertrauen, dass die deutsche Wirtschaft robust ist und das alles schon irgendwie überstehen wird. Die beiden abschreckendsten Beispiele hast du genannt, diese beiden Staaten waren der Meinung, dass eigene Industrieproduktion und verarbeitendes Gewerbe nicht mehr so wichtig sind, dass der tertiäre Sektor das schon ausgleichen würde. Ein schwerer Fehler, den wir nicht wiederholen sollten.
Besonders die USA versuchen gerade mit richtig viel Geld die Produktion aus China und aus Europa in die USA zurückzuholen, weil sie es auf "the hard way" gelernt haben. Und dabei haben die noch die globale Dominanz in Sachen IT und eine riesige Waffenindustrie, Deutschland steht auch da nur im dünnen Hemdchen, bis auf SAP ist mal gar nix los, Rheinmetall, Thyssen-Krupp und KMW sind im Vergleich zu den US-Waffenschmieden winzig.
GB hat sich auf den Finanzsektor spezialisiert und durch den Brexit (ebenso hausgemacht) auch riesige Probleme. Das sollte Deutschland eine Warnung sein, ist die Industrie erstmal weg, wird es extrem schwierig, sie wieder zurückzuholen. In Deutschland gibt es nämlich noch etwas, was es in den angelsächsischen Ländern deutlich weniger gibt: "Hass" auf Unternehmer (plus Häme für Leute die es wagen und scheitern) und auf Investoren, dazu wenig Risikokapital, das ist auch ein Problem.
Die gut bezahlte Industriearbeit ist die Basis unseres Wohlstandes und unseres Sozialstaates und wir legen momentan ganz massiv die Axt daran. Ohne Sinn und Verstand und ohne irgendeinen positiven Effekt auf den Klimawandel. Sollte da nicht sehr bald Vernunft Einzug halten, wird das verheerend, für und, aber noch mehr für unsere Nachkommen.
Auch im Vergleich steht die Wertschöpfung der deutschen Industrie mit ~22% gut da (Frankreich geht Richtung 10%).
Hast du dazu eine aktuelle Quelle?