Ich möchte an der Stelle mal ein wenig Kontext liefern, was denn genau der Klimawandel eigentlich bedeutet. Das 1,5-Grad-Ziel halte ich für utopisch, deswegen berücksichtige ich es hier nicht. Zur Einordnung: Wenn alle aktuellen Klimaschutzzusagen umgesetzt werden, steuern wir auf 2,5-3 Grad Erderwärmung zu. Das heißt, selbst die Ziele, die sich die Staaten aktuell gesetzt haben, reichen nicht, um das zwei Grad-Ziel zu halten.
2-Grad-Erwärmung bedeuten...
- Klimakippunkte: Ein Großteil der Korallenriffe wäre gefährdet (je nach Quelle sogar alle), Permafrostböden würden tauen (und große Mengen Methan freisetzen), das Eis in der Arktis wird weiter schmelzen (Anstieg des Meeresspiegels) und das Meer weniger CO₂ aufnehmen.
- Die meisten Landgebiete erwärmen sich um 3-4 Grad. Extrem heiße Tage werden um bis zu 4 Grad wärmer.
- Deutliche Zunahme an Extremwettereignissen (und deren Folgen): 28 % der Weltbevölkerung (2 Milliarden Menschen) werden extremen Hitzewellen mindestens einmal alle 20 Jahre ausgesetzt sein; das Hochwasserrisiko steigt um 170%; 410 Millionen Menschen (im urbanen Raum) werden von Dürren und Wasserknappheit betroffen sein.
- Von der Gletschermasse von 2025 schmelzen 60%, die Arktis wird im Sommer alle 10 Jahre eisfrei sein.
- Meeresspiegel: steigt um ca. 40-90 Zentimeter, davon wären rund 10 Millionen Menschen mehr betroffen, als beim prognostizierten Anstieg bei 1,5 Grad Erwärmung. Nachlaufend kann damit ein weiterer Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter einhergehen, da eine wärmere Welt zu einem weiteren Abschmelzen der Eisschilder führt.
- Vom Artensterben betroffen: 18% der Insekten, 16% der Pflanzen, 8% der Wirbeltiere
- Das alles hat Folgen für: Die Nahrungsmittelversorgung, die Gesundheit, die Ausbreitung von (tropischen) Krankheiten und auch die Energieerzeugung (z. B. fehlendes Kühlwasser für Atomkraftwerke).
- Wirtschaftliche Schäden von 20 Billionen US-Dollar.
2 bis 4 Grad Erwärmung bedeuten...
- Weitere Kipppunkte sind bedroht: Wichtige Meeresströmungen, Wettermuster und Waldökosysteme könnten sich massiv verändern. Passiert dies, könnten über Rückkopplungseffekte weitere Systeme kippen und damit den Klimawandel weiter befeuern. Dies wäre durch den Menschen nicht mehr zu kontrollieren oder gar aufzuhalten.
- Kurz gesagt: Mehr von allem. Mehr Dürren, mehr Starkregen mit Überflutungen, mehr Hitzewellen, mehr Wirbelstürme, mehr Waldsterben.
- Erwärmung an Land um etwa 6 Grad Celsius (regional stark unterschiedlich) mit entsprechenden Auswirkungen auf die Wirtschaft (Arbeiten im Freien im Sommer wird damit z. B. zur echten Herausforderung), aber auch die Tiere und Pflanzen. Heiße Tage werden etwa 6 Grad heißer als heute.
- Der Meeresspiegel steigt um 1-1,5 Meter, nachlaufend (s.o.) sind 2-5 Meter nicht ausgeschlossen.
- Wirtschaftliche Schäden von 15-25% des Pro-Kopf-Bruttoweltprodukts
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zwei-Grad-Ziel#Folgen_einer_globalen_Erw%C3%A4rmung_um_zwei_Grad_oder_mehr
https://helmholtz-klima.de/aktuelles/welche-teile-des-klimasystems-drohen-bei-ueber-2-grad-zu-kippen
https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index.php/2-Grad-Ziel#Welche_Klimaverh%C3%A4ltnisse_sind_zu_erwarten?
https://www.wwf.at/artikel/folgen-der-klimakrise-15-grad-oder-2-grad/
https://www.oekom.de/beitrag/eine-erde-wie-wir-sie-nicht-kennen-wollen-351
https://www.tagesschau.de/wissen/klima/unep-erwaermung-cop-100.html
Das habe ich jetzt mal auf die Schnelle zusammengestellt. Ich bin sicher, mit eingehenderer Recherche kann man das noch wesentlich konkreter machen, aber es macht klar: Beide Szenarien sind nicht wünschenswert, ein Überschreiten der 2-Grad-Marke wäre eine Katastrophe, keine Panikmache. Deshalb verfängt das Argument "Klimaschutz gefährdet unseren Wohlstand" für mich nicht, es ist schlicht zu kurzfristig und kurzsichtig gedacht. Denn der Klimawandel bedroht unseren Wohlstand noch in einem viel erheblicheren Maße. Ich stimme der Einschätzung zu, dass Klimaschutz und Energiewende in Deutschland ineffizient angegangen werden, gemacht werden muss es trotzdem. Und man könnte ja dabei auch die Chancen ergreifen, die sich bieten, und am technologischen Fortschritt profitieren: Nachhaltige Baustoffe, CCS-Verfahren, Power-to-X, neuartige Solarzellen, Festkörper- und/oder lithiumfreie-Batterien, ... In einigen dieser Bereiche hinkt Deutschland vielleicht schon zu weit hinterher, in anderen gibt es echte Chancen, auf wirtschaftlichen Erfolg. Wenn ich daran denke, wie wir in Deutschland die Solar- und Windkraftindustrie abgewürgt haben, da kann man nur verzweifeln. Man muss das Potenzial halt auch nutzen, das da ist. Hinzu kommt die Entwicklung hin zu einer Kreislaufwirtschaft in vielen Bereichen. Auch hier gibt es interessante Entwicklungen in Sachen Verbundstoffe, Baustoffe etc. Wenn Deutschland hier vorankommen und gleichzeitig wirtschaftlich stark bleiben möchte, sollten solche Bestrebungen in meinen Augen viel stärker gefördert werden. Wie gesagt: Nicht der Klimaschutz per se gefährdet unseren Wohlstand, sondern der Klimawandel und unser Umgang damit.
Danke für den Kontext. Es bezweifelt hier niemand, noch leugnet es jemand. Aber ich würde trotzdem darauf beharren, dass Wohlstand immens wichtig ist.
Das Problem ist, dass Politik nur so funktioniert wie Politik funktioniert. Also oft nicht rational, auf das Wesentliche konzentriert und mit der nötigen zeitlichen Perspektive. Wenn der Klimawandel alleine in meinem Wohnzimmer stattfinden würde und ich der Einzige wäre, der davon betroffen wäre und ich der Einzige wäre, der es lösen könnte: Holla die Waldfee, wäre das gerade eine große Sorge für mich. Signor Rossi hat aber grundsätzlich recht, wenn er sagt, dass Deutschland alleine den Klimawandel nicht aufhalten wird. Wir könnten ab Morgen gar kein CO2 mehr ausstoßen und hätten damit quasi keine Auswirkung auf das Klima, so lange nicht ein Großteil anderer Menschen mitzieht.
Das heißt aber nicht, dass nichts zu tun wäre. Ganz im Gegenteil. Deutschland kann meiner Meinung nach nur zwei Dinge erreichen:
Zum einen kann Deutschland 'nur' eine Vorreiterrolle einnehmen und zeigen, dass es möglich wäre. Also, dass sich eine erfolgreiche und starke Industrienation so transformieren kann, dass sie anteilig für sich die Klimaziele erreicht und im besten Fall dabei noch positive Effekte darüber hinaus erziehlt. Ja, irrsinnig, das Klimaschutz alleine nicht ausreichen wird. Aber im Besten Fall schafft ein Land die Transformation zu mehr Klimaschutz so, dass man sich dabei nicht in den Ruin treibt, sondern dass man im besten Fall noch wirtschaftliches Wachstum aufweist, wie es eine ordentliche Volkswirtschaft im Kapitalismus nunmal zu tun hat. Das würde von der Weltgemeinschaft sonst nämlich nicht als "es geht" anerkannt, weil Wohlstand so lange wichtig ist, bis uns das Wasser im warsten Sinne des Wortes zum Halse steht.
Ein halbes Unterziel wäre, mit dem Erfolg andere Länder zu überzeugen, dass es geht und das es sich lohnt. Dafür braucht es das positive Beispiele und nicht den erhobenen Zeigefinger und die Moralkeule, ohne davor im eigenen Hof gekehrt zu haben.
Das ist alles ein bisschen frei nach dem Motto: Irgendwo muss man halt mal anfangen.
Zum anderen kann und muss sich Deutschland vorbereiten und reslienter werden. Die Folgen werden kommen, egal ob 1,2,3 oder mehr Grad. Gerade aussterbende Monokultur-Kiefernwälder mit klimaverträglicherem Mischwald aufforsten. Städte vorbereiten, um mit starken Hitzesommern klar zu kommen. Artenvielfalt und Biodiversität aufbauen und schützen. Flächenversiegelung stoppen. Hochwasserschutz konsequent ausbauen und nicht immer nach 6 Wochen vergessen, dass Hochwasser-Ereignisse existieren. Und vieles vieles mehr. Vieles davon wird vor allem Geld kosten und keine Produktivität bringen. Und daher der Bogen nach oben, wird es Wohlstand brauchen.
Die von dir angesprochenen Technologien können diese positiven Effekte haben und darauf hoffe ich auch. Aber gucken wir uns zum Beispiel das Thema der Wärmepumpen an: Diskutiert wird hier über Wohlstand und nicht über den Effekt der Technologie auf das Klima. Es wird ohne den Blick darauf nicht gehen. Man läuft nicht nur Gefahr als mögliches Vorbild das Gesicht zu verlieren, sondern auch die Akzeptanz in der Bevölkerung.