Ich finde die Ausführungen von kertoson und Tomminator sehr interessant. In einem Punkt möchte ich aber zumindest teilweise widersprechen: Ich denke nicht, dass der Glaube nur aus dem Bedürfnis heraus entstanden ist, sich Dinge erklären zu können. Ich denke, im Menschen existiert auch einfach das Bedürfnis, eine Beziehung zu einem höheren Wesen aufzubauen - auch um sich selbst besser in den Kosmos einordnen zu können (hier findet meines Erachtens, zusätzlich zum Erklärungsaspekt, die Naturwissenschaft und auch die Philosophie ihren Platz). Das sind zwei sehr unterschiedliche Aspekte.
Bei den Ausführungen von kertonson, Tomminator und Fuchs möchte ich kurz nochmal in das Thema einhaken (da sie meiner ehemaligen Sichtweise sehr ähnlich sind). Eure Erklärung, wie der Glaube entstanden sein soll, weist zwei Probleme auf:
1.) Die Argumentation lässt sich umdrehen: "Da die Atheisten sich absolut nicht vorstellen konnten, wie so etwas unerklärliches wie Glaube entstehen konnte, entwickelten sie die Erklärung, dass der Glaube entstanden sei, um Unerklärliches zu erklären." Sprich: das Argument ist ein "Lückenbüßer-Argument" - genau wie der "Gott", der dafür herangezogen wird, um Blitze, das Universum oder eine Sonnenfinsternis erklären zu können. Beides ist reine, nicht logisch beweisbare, Konstruktionen, die nur so lange aufrecht erhalten werden können wie es keinen schlüssigen Beweis gibt. (Naturgötter mögen in diese Kategorie fallen.)
2.) Auch wenn Fuchs die Erklärung ausweitet, bleibt sie dennoch "irdisch" - die Unerklärlichkeit der Dinge wird um ein Bedürfnis des Menschen nach Transzendenz ergänzt. Ich würde da einen Schritt weiter gehen, nämlich vom Bedürfnis zur
Erfahrung: Gerade das Christentum als Offenbarungsreligion stützt sich elementar auf die reale, erfahrene und erfahrbare Beziehung zu Gott. Um den Punkt kommt man nicht herum, wenn man das Wesen d(ies)er Religion erklären will. Das setzt natürlich voraus, dass man einen personalen Gott nicht von vornherein aus der Gleichung ausschließt. (Und da seine Nicht-Existenz, genau wie seine Existenz, nicht schlüssig zu beweisen ist, wäre es unwissenschaftlich, nicht beide Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.)
Das löst auch die Kausalkette Jesus-Paulus-Philosophie-Weltreligion auf bzw. fügt ihr eine neue Dimension hinzu: Die Ausführung ist völlig richtig - aber WIE etwas passiert ist, erklärt nicht WARUM etwas passiert ist. Deshalb ist auch der vielbeschworene Widerspruch zwischen (christlicher) Religion und Wissenschaft nicht vorhanden: Beide beschäftigen sich mit völlig anderen Sphären; die Wissenschaft mit dem Wie der Dinge und die Religion mit dem Warum/Wozu. (Natürlich bestand der Widerspruch trotzdem; allerdings rein politisch.)