Die potentere Variante ist zunächst die, die dem Impfstoff und auch dem Immunsystem am ehesten entkommt. Das Grippevirus ist da ein Meisterbeispiel, deshalb wird die Impfung jedes Jahr aufs Neue notwendig. Selbsiges erwarte ich übrigens auch für SARS-CoV2, vermutlich irgendwann in einer Kombiimpfung Grippe/Corona.
Doch, Tim, das ist ein Problem. Der Selektionsdruck durch die Impfung wirkt unmittelbar auf das Virus ein, weil es das Virus direkt angreift. Abstandsregeln greifen das Virus nicht an, sondern verringern dessen Populationsfähigkeit. Die Viren, die unterwegs sind, bleiben aber bestehen. Natürlich gibt es auch durch Abstände einen Selektionsdruck, wenn es leichter infektiöse Varianten gibt. genau das ist ja momentan zu beobachten mit B1.1.7. Der Selektionsdruck durch das Impfen ist aber für das Virus ungleich härter, denn es fördert gezielt die Mutationen, die das Virus stärker gegenüber dem Immunsystem machen. Durch Impfkampagnen fördert man daher Varianten, die schwieriger zu bekämpfen sind.
Deine Folgefrage ist ein schönes Beispiel. Welche Alternative gibt es? DAS darf man Ärzte erstmal nicht fragen, weil es nicht ihre Aufgabe ist, eine Schlussfolgerung für die Gesellschaft zu ziehen. Es ist Aufgabe der Ärzte, auf das Problem hinzuweisen. Soziologen müssen aber die Frage nach den Schlüssen für die Gesellschaft beantworten. Gleiches gilt für Pädagogen oder Kinderpsychologen. Es ist ihre Aufgabe aufzuzeigen, welche Nachteile gesellschaftliche Vorgehensweisen für ihr Klientel haben. Sie sind nicht dazu da, einen Könisweg aufzubauen. Und gerade weil in dieser Pandemie so unüberschaubar viele Interessen aufeinander prallen, möchte ich nicht in der Haut der Bundesregierung stecken: Irgendwen wird man immer verprellen, irgendwem wird man immer schaden. Auch deshalb finde ich einfache Antworten, wie sie gerne von bestimmten Bevölkerungsgruppen gewünscht und geliefert werden, nicht tragfähig.
Ich möchte mich aber nicht simpel Deiner Frage entziehen: was ist die Alternative? Natürlich gibt es die so nicht. Die Impfstrategie für sich ist alternativlos. Aber es muss eine gute Überwachung stattfinden. Mutanten müssen schnell erkannt und sequenziert werden. Impfstoffe müssen angepasst werden, was glücklicherweise mit dem vorhandenen Material leicht möglich ist. Die Bevölkerung muss darüber aufgeklärt werden, welche Maßnahmen ergriffen werden könnten, um einen lokalen Ausbruch einer potenten Mutante einzudämmen. Das kann zum Beispiel ein lokaler Lockdown mit gleichzeitiger Auffrischungsimpfung sein. Hier wird es aber das Problem geben, dass Einwohner aus einem Hotspot dann in das Umland fahren, um dem Lockdown zu entgehen; ebenso wird abzuwarten sein, wie hoch die Impfbereitschaft hinsichtlich einer Auffrischungsimpfung sein wird und wer eine solche überhaupt benötigt.