Was ich noch nicht verstanden habe, ist diese Prädikat "Traditionsverein" und warum das so toll ist? Geht es nicht viel mehr darum, möglichst viele Menschen für den Fußball zu begeistern, also ist dann nicht die Anzahl der festen Mitglieder besonders entscheidend dafür, ob ein Verein groß werden sollte oder nicht? Die Anzahl der Vereinsmitglieder ist eine Größe, die Rückschlüsse auf viele wesentliche Vereinsmerkmale zulässt:
1. Reichweite des Marketings
2. Einnahmen in Form von verkauftem Merchandising, Ticketverkäufen, Fernseheinnahmen aufgrund von Zuschauerzahlen
3. Stimmung im Stadion (es ist nicht zwangsläufig so, dass der Verein mit den meisten Mitgliedern die beste Stimmung macht, aber in einer 60.000 menschenfassenden Arena ist erfahrungsgemäß mehr los, als in einem 20.000er Stadion)
4. Rekrutierung der Jugend in die Nachwuchskader
Außerdem muss jeder, der Retortenvereine kritisiert, bedenken, dass auch heutige Traditionsvereine mal Retortenvereine waren. Dortmund beispielsweise hatte auch mal einen Mäzen. Der hieß Heinz Schwaben, war Direktor der Unions-Brauerei und war ab 1923 der "Sugar-Daddy" des Vereins in ganz ähnlicher Manier wie Dietmar Hopp es heute bei Hoffenheim ist. In München war es Kurt Landauer, der den Verein finanziell unterstützte und zu seiner ersten Meisterschaft 1932 verhalf.
Dazu kommt, dass sowohl den Bayern, als auch den Dortmundern ein fertiges, riesiges Stadion zur Verfügung gestellt wurde, das sie selbst überhaupt nicht bezahlen mussten. Dortmund spielte im Jahr 1974 meines Wissens nach ein paar Jahre zweitklassig und hatte 1973 nach stetig sinkenden Zahlen noch einen Zuschauerschnitt von nichtmal 9000 Menschen. Dann durften sie nach der WM in Deutschland auf einmal das Westfalenstadion benutzen, was ihren Zuschauerschnitt auf 25.000 Zuschauer katapultierte.
Bei Bayern sieht es ähnlich aus. Dort führte der Stadionumzug zwar nicht zu einer Explosion der Zuschauerzahlen trotz Zweitklassigkeit (und damit erheblich höheren finanziellen Mitteln, denn Anfang der 70er waren Zuschauereinnahmen noch die Haupteinnahmequelle der Vereine), allerdings konnten die Eintrittspreise angehoben werden und das Stadion hatte immerhin das Potenzial bis 2005 einem gereiften Weltklub eine Spielstätte zu bieten, für die die Bayern auch lediglich die Miete tragen mussten.
Im Prinzip hat jeder Verein, der heute hier ganz romantisch das Qualitäts-Prädikat "Traditionsverein" übergeholfen bekommt, von der finanziellen Unterstützung einer Gruppe oder von einzelnen Personen profitiert. Hopp hat jetzt offenbar lediglich das Pech, 60 Jahre zu spät geboren worden zu sein und die etablierten Mannschaften und ihre Fanbasen regen sich darüber auf, wie heute soetwas möglich ist. Das Prinzip verstehe ich nicht so ganz. Natürlich möchte ich auch nicht, dass sich hier Scheich X und Firma Y einen Verein aufkauft und als persönliches Spielzeug oder Werbeinstrument benutzt, allerdings ist die traditionalistische Argumentation oftmals nicht besonders wasserdicht. Vereine wie Hoffenheim, wo Hopp sich ja nun wirklich an das ungeschriebene (deutsche) Gesetz hält, den Verein nicht mit Geld zu überfluten, um damit einfach Weltklassespieler zu kaufen, muss die deutsche Fußballlandschaft aushalten, einfach aus dem Grund, weil sie es schon immer ausgehalten hat und weil es auch ein Zeichen von Fairness ist. Dortmund, München, Hertha BSC usw wurden durch von der Stadt oder vom Land gebauten Tempeln übermäßig bevorteilt oder hatten ihre ganz persönlichen Mäzene, die mittlerweile einfach nur jeder wieder vergessen hat. Wenn diese Vereine oder ihre Fans jetzt Hopp kritisieren, dann ist das in meinen Augen unfair und heuchlerisch.