Ich habe jetzt noch zwei Spiele "voraus gespielt", die ich vorher gerne noch schreiben und posten würde, danach verspreche ich euch eine Zusammenfassung des Saisonstarts mit Tabelle usw. In der Zwischenzeit möchte ich euch aber diese kleine Story nicht vorenthalten, die sich neulich nach dem Training zugetragen hat ...
”Los, André, Jordan! Räumt endlich die Bälle auf und dann kommt her!”
Während sich der Rest der Mannschaft bereits an der Seitenlinie versammelt hat, üben sich die beiden Brüder immer noch am Lattenschießen. “Jetzt sofort, oder die ganze Mannschaft macht bis Mitternacht Liegestützen!“ Lässig zirkelt André Ayew noch einen letzten Ball Richtung Tor (der mit einem lauten „Plock“ vom Gebälk zurückprallt) bevor er sich feixend zu seinem Bruder umdreht. Gemächlich trotten die beiden gemeinsam auf den Rest der Mannschaft zu und lassen sich nahe der Seitenlinie ins Gras fallen.
“Schön, Jungs, das waren ein paar gute Einheiten heute, wir sind auf einem richtig guten Weg. Macht jetzt noch ein paar Runden lockeres Auslaufen, sagen wir zehn und dann geht’s ab unter die Duschen. Auf geht’s, zack zack!“
Das Team rappelt sich hoch und beginnt in einem großen Pulk gemächlich um den Platz zu traben. Als ich gerade die herumliegenden Bälle aufsammeln will, bemerke ich aus den Augenwinkeln Patrick Collot, der vom Vereinsgebäude aus auf mich zuläuft.
“Na, Patrick, was gibt’s denn?“
”Monsieur, Jérémy Roland wartet vor Ihrem Büro.”
“Jérémy wer? “
”Roland, Monsieur. Aus der U19.”
“ Aha. Und was will er?“
”Weiß ich nicht. Ich glaube aber, dass er unzufrieden ist über seine Bestrafung nach dem letzten Jugendspiel.”
Soso. Daher weht also der Wind. Wie bei meinen früheren Stationen auch habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, die Spielberichte der zweiten Mannschaft und der U19 durchzuschauen und schlechte Leistungen mit Verwarnung und sogar Geldstrafen zu ahnden. Ich bin der Meinung, dass nur so den jungen Möchtegern-Profis klar gemacht werden kann, dass sie nur harte Arbeit, viel Wille und Zielstrebigkeit zum Erfolg bringen kann. Außerdem kann es nicht schaden, wenn einige von ihnen bereits auch frühzeitig ein bisschen Demut lernen und erst gar nicht so große Starallüren entwickeln können. Bei meinen früheren Stationen war ich damit bestens gefahren.
Nicht so bei OM. Zu meinem größten Frust musste ich leider feststellen, dass die früheren Manager hier nicht mit harter Hand regiert, sondern dem mehr oder minder talentierten Nachwuchs gehörig den Hintern gezuckert hatten. Dementsprechend eitel und gockelhaft kommen einige der U19-Spieler daher und meine Bestrafungsmaßnahmen fruchten bisher kaum, sondern schüren eher Unmut und Frust unter den Jugendspielern. Richtig beschwert hatte sich aber bisher noch keiner, doch es sah so aus als würde sich das heute ändern. Na, das Freundchen würde sich schon wundern.
“Gut. Collot, gehen Sie bitte rüber zu Anigo, er soll mir das hier aufsetzen und unterschreiben.“ Ich schmiere rasch ein paar Zeilen auf meinen Notizblock, reiße das Blatt ab und reiche es meinem Co-Trainer. “Danach legen Sie mir das Ganze zusammen mit 500 Euro auf meinen Schreibtisch und sagen diesem Jimmy …“
”Jérémy, Monsieur.”
“ … sagen diesem Johnny er soll vor meinem Büro warten, ich wäre in zehn Minuten bei ihm.“
Collot schaut etwas skeptisch verwirrt, nickt aber schließlich und geht zurück in Richtung Vereinsgebäude. Ich pfeife die Jungs vom Auslaufen zurück und signalisiere ihnen, sich am Mittelkreis zu versammeln.
“ Ok, Mädels, kleine Programmänderung! Wir haben viel geschuftet die letzten paar Stunden, es ist Zeit für ein bisschen Spaß. Statt dem langweiligen Auslaufen spielen wir lieber zwei Mal 20 Minuten, keine Grätschen, keine Fouls und kein Gespucke. Einfach nur einmal ein bisschen aus Spaß durch die Gegend kicken. Bildet Mannschaften und dann ab dafür!“
Mit Gejohle gehen die Jungs ans Werk, vor allem die Ayew-Brüder entfesseln ihren ganzen Spieltrieb und es entwickelt sich ein lustiges Bolzplatzgekicke. Nach Ablauf der 40 Minuten steht es (dank meiner kräftigen Mithilfe als Schiedsrichter) 5:5, wir spielen zwei Mal fünf Minuten oben drauf und ermitteln den Tagessieger schließlich im Elfmeterschießen. Gut gelaunt macht sich das Team auf den Weg in die Umkleide und auch ich dusche erst mal ausgiebig. Mit etwa eineinhalb Stunden Verspätung treffe ich schließlich vor meinem Büro ein. Auf dem Boden sitzt, den Oberkörper an die Wand gelehnt, ein schmächtiger, leicht verunsichert wirkender Jugendlicher im Trainingsanzug. Als er mich kommen sieht, wird er etwas blass um die Nase, zieht sich seinen Kopfhörer vom Kopf und steht auf.
”Na, mein Junge, wartest du auf wen?”, frage ich ihn unschuldig.
”Ähm … tja … na also … eigentlich auf Sie, Monsieur Savant.”
”Auf mich? Wer bist du überhaupt?”
”Ähm … Jérémy Roland, Monsieur. Aus der U19. Ja, äh Monsieur Collot hatte mir gesagt, Sie würden gleich kommen und sich die Zeit für ein Gespräch mit mir nehmen.”
“So, hat er das? Naja, dann komm doch erst mal rein, Johnny!“
Freundlich lächelnd halte ich ihm die Tür auf. In seiner Nervosität hat er mich nicht einmal verbessert, schaut jedoch leicht irritiert. Ich bitte ihn, sich zu setzen und lasse mich selbst in meinen großen Chefsessel fallen. Zufrieden stelle ich fest, dass Collot und Anigo alles nach meinen Wünschen arrangiert haben.
“Also gut, Jimmy, was liegt dir auf dem Herzen? Weswegen wolltest du mich sprechen?“
Durch meine Freundlichkeit gewinnt Jérémy etwas an Selbstvertrauen und Zuversicht, jedenfalls richtet er sich in seinem Stuhl auf und beginnt mit selbstsicherer Miene sein Anliegen vorzubringen:
“Es geht um Folgendes, Monsieur Savant: ich finde, dass meine Strafe nach dem letzten Jugendspiel zu hart war. Schauen Sie, Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich unglaublich talentiert bin, einer der besten U19-Spieler, mindestens. Ich mein, im Training schieß ich ja auch ganz viele Tore und so. Aber Sie verstehen sicherlich, dass ich hier Prioritäten setzen muss und dann auch mal ne Pause brauche. Die nehm ich mir eben in den Spielen, weil ehrlich gesagt interessieren mich die U19-Spiele gar nicht. Da hab ich echt keinen Bock drauf! Einer mit meinen Fähigkeiten sollte mindestens für die Reserve auflaufen oder vielleicht auch gleich für die erste Mannschaft. Deswegen streng ich mich ja auch im Training so an, damit Sie mich in die erste Mannschaft holen und dann kann ich ja in den Spielen halt nur etwas weniger laufen und so. Bei den U19-Spielen bin ich doch auch völlig verschwendet. Ich bin mir sicher, Sie können das doch verstehen und damit meine Strafe aufheben, oder?“
Erwartungsvoll blickt er mich an. Ich hatte zwar mit so etwas Ähnlichem gerechnet, aber der Junge hat hier wirklich alle Dimensionen der Selbstüberschätzung gesprengt. Na gut, bevor ich ihn hier richtig zur Sau mache, möchte ich’s doch wenigstens einmal im Guten versuchen. Äußerlich ruhig und beherrscht antworte ich:
“Weißt du, auch die U19-Spiele sind wichtig. Der Weg in die erste Mannschaft führt nur über diese Spiele. Wenn du dort meiner Meinung nach schlecht spielst, dann musst du auch die Konsequenzen tragen. Ich bleibe also bei meiner Entscheidung, die solltest du respektieren, schließlich bin ich hier der Trainer und nicht du.“
“Das ist doch Unsinn!“, platzt es aus ihm heraus. “Sie gehen ja überhaupt nicht auf das ein, was ich Ihnen gesagt habe! Ich hab doch grad erklärt, dass ich schlecht gespielt habe, weil ich im Training so gut war und einfach ne Pause gebraucht hab! Dafür können Sie mich unmöglich bestrafen! Sie übergehen doch einfach meine Argumente, so können Sie mich doch nicht behandeln!!! Ich habe hier das Recht ...“
“Jetzt pass mal auf, Jimbo! Du spielst so schlecht wie der Platzwart mit 3,0 Promille und kommst mir hier mit irgendwelchen lahmen Ausreden! Erwartest du jetzt ernsthaft, dass ich dir noch weiter Zucker in den Arsch blase? Ich glaube, du hältst dich hier wirklich für den nächsten großen Macker, warst wohl zu lang vor der Playstation oder dem Spiegel abgehangen, mehr Realitätsferne geht ja kaum noch! Wenn du also jetzt nicht anfängst, etwas mehr Einsatzfreude und Professionalität zu zeigen, dann … “
“Professionalität? Glauben Sie, es ist professionell, wie Sie mich hier gerade anmachen? Sie sollten Ihr Verhalten mir gegenüber auch mal überdenken, merde! Ich bin der nächste Superstar des Vereins, Sie können mir hier gar nix und Sie sollten sich wirklich überlegen, ob Sie es sich mit mir verscherzen wollen, das können Sie sich nämlich gar nicht leisten und …“
“Ok, jetzt reicht’s. War ja ganz lustig bis hierhin, aber jetzt ist Schluss. Du. Bist. Nicht. Der. Nächste. Superstar. Du bist GAR NICHTS und mit deiner Einstellung wirst du auch nie was werden. Hier!“ Ich klatsche ihm die 500 Euro auf die Hand und schiebe ihm die bereits unterschriebene Auflösungserklärung seines Vertrags zu. “Wenn du also bitte so freundlich wärst … eine Unterschrift hier und eine da. Ich nehme ja an, dass du über die 2. Klasse hinausgekommen bist, also schön in Schreibschrift, genau so, brav hast du das gemacht. Und jetzt raus und keine Angst, Marseille wird auch ohne seinen ‚neuen Superstar‘ zurechtkommen!“
Überrumpelt und fassungslos unterschreibt Jérémy die Erklärung, erhält sein Exemplar in die Hand gedrückt und verlässt völlig perplex den Raum. Ahhhhhh! Das tat gut. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass sich diese kleine Geschichte herumspricht …