Ein mMn sehr schön geschriebener Blog, gefunden auf SPOX:
'Schlag den Roman
The teams you love to hate
Ein nicht ganz ernstes Plädoyer für Investoren im Fußball
Wir lieben Fußball. Er ist längst ein Geschäft. Wir aber halten fest an der romantischen Vorstellung von elf Freunden. Und immer wieder fühlen wir uns bestätigt. Wenn Manchester City Gruppenletzter ist. Wenn Dortmund Real Madrid vorführt und "Echte Liebe" "Klotzen statt Kleckern" besiegt, ja demütigt. Wenn Chelsea das Europa League Finale spielen muss. Aber das sind Momentaufnahmen. Irgendein kleiner, fieser Mann in unserem Ohr flüstert. Er sagt: Geld schießt doch Tore. Er sagt: am Ende stehen die himmelblauen Ölbohrer, die dunkelblauen Oligarchieopfer, die Geldwäscher aus dem Fürstentum und die WM-2022-Werbeträger aus der Stadt der (unechten Fußball)Liebe im CL-Halbfinale. Machen aus unserem geliebten Sport ein Ölkartell. Aus UEFA wird OPEC. Aus dem größten Pokal der Vereinsfußballwelt eine Penisverlängerung für irgendeinen klimatisierten Palazzo protzi in irgendeinem Nobelviertel von Abu Dhabi, Quatar City oder wie die Hauptstadt da heißt oder London. Am Ende gewinnen Scheine gegen Beine. Siegt ruchloser Investitions(un)geist gegen team spirit. Der kleine Mann kratzt mit seinen Worten am Gaumen. Er löst Brechreiz aus (
http://www.spox.com/myspox/blogdetail/Warum-mich-Monaco-ank---t,196311.html sehr lesenswert). Verständlich. Und doch nur die halbe Wahrheit.
Zunächst mal: am Ende von was? Alles hat ein Ende. Eine Wurst hat zwei. Der Fußball hat gar kein Ende. Überhaupt keins. Die Bierduschen sind noch nicht abgewaschen. Die Pokale noch auf keinem Bus, Balkon oder sonst einer geeigneten Vorrichtung präsentiert. Da reden alle von der nächsten Saison, vom nächsten Spiel, vom nächsten Finale. London calling war gestern. Seit zwei Wochen heißt es bem-vindo a Lissabon. Oliver Kahn würde sagen: weiter, immer weiter. Jeder Pokal im Fußball ist ein Wanderpokal. Und nicht nur, weil keiner das Original behalten darf. Er geht reihum. Jedes Jahr von neuem. Mit allem Geld der Welt kauft man keinen Schlusspunkt im Spiel mit dem runden Leder. Chelsea kann das Finale dahoam klauen. Zu Weihnachten, als die Europa League lockte, war das eine Erinnerung aus blauer Vorzeit.
Fußball ist ein Spiel, das nie zu Ende gespielt ist. Es gibt immer neue Folgen. Ein happy end kann man nicht kaufen. Es gibt keines. Was man sich kaufen kann, sind glückliche Momente. Aber mit Oligarchen will sie niemand teilen. Wer hat sich über Bayerns Finalniederlage 2012 gefreut? Ein paar ganz harte Bayern-Hasser in Deutschland, klar. Die Chelsea-Fans natürlich. Die britischen tabloids vielleicht. Aber wer war begeistert, als Roman Abramowitsch den Henkelpott stemmte? Denkt drüber nach.
Umgekehrt: auf Sicht wird das Geld den Willen schlagen. Werden teure Transfers Jugendarbeit ausstechen. Wirklich? Auf welche Sicht? Zehn Jahre? Wird der AS Monaco in zehn Jahren das Team sein, das es zu schlagen gilt? Wohl eher nicht. Warum nicht?
Nun: in Manchester haben sie 800 Millionen Euro versenkt. In fast sieben Jahren. Für einen Meistertitel und einen Pokalsieg und ein paar schöne Reisen durch Europa. Die sportliche Demütigung auf der großen Bühne gabs gratis. Machatschkala hat in bald drei Jahren Geldverbrennung nichts gewonnen. Nichts. Null. Nada. Nicht mal den ruhmreichen russischen Pokal. Malaga gewann immerhin die Statistenrolle im besten Fußballdrama des Jahres. Und mehr wirds wohl auch nicht geben. Der Geldhahn ist zu.
Und der Godfather des irrationalen Investments in den Fußball? Der ehemalige russische Puppenhändler hat in zehn Jahren 1,5 Milliarden Euro ausgegeben. Für Transfers. Für Provisionen. Für Gehälter. Für Abfindungen. Zum Ausgleich von Defiziten. Für zwei CL-Finals und drei englische Meisterschaften. Ja, in diesen paar Momenten schien es, als habe es sich gelohnt. Anderthalb Milliarden für diese paar Momente, die einem jeder vernünftige Mensch missgönnt. Auf Sicht ist das ein ziemlich kleines return of investment. Finanziell sowieso. Emotional erst recht. Auf Sicht wird Chelsea eine Fußnote bleiben, keine Dynastie. Und an der Fußnote wird ein Preisschild sein. Drauf eine 1. Ein Komma. Eine fünf. Acht Nullen. Ein FC Malaga wird kein FC Barcelona. Irgendein Prinz Abu Soundso wird nie Santiago Bernabeu. Nie. Nicht morgen, nicht in zehn, nicht in fünfzig Jahren. Nicht weil er Araber, Muslim oder reich ist. Weil er kaufen will, was unbezahlbar ist. Tradition, Mythen, Legenden, Identifikation.
Chelsea hielten sie keine Schwarz-weiß-Bilder aus den 60ern oder 70ern vor die Nase. Weil es keine gibt. Ist Triple-Lahm ein größerer Kapitän als Franz Beckenbauer oder Stefan Effenberg? Lampard muss sich solchen Vergleichen gar nicht stellen. Es gibt gar keine Referenz. Chelsea hat keine große Vergangenheit, an der man die aktuelle Generation messen kann. Geschichte kauft man nicht. Man macht sie. Und nur wenn sie nachhaltig ist, wiederholt sie sich irgendwann. Mittel- und langfristig bleibt nur sie hängen. Auch wenn man bis 2001 ein Vierteljahrhundert warten musste. Wenn sich die Kinder von Abramowitsch mit der dritten Frau in dritter Instanz um sein Erbe streiten, irgendwann 2050, wird irgendein Billionär seine vergängliche Liebe irgendjemand anderem geschenkt haben. Vielleicht ZSKA Moskau, vielleicht RB Leipzig (das dann vielleicht schon wieder anders heißt), vielleicht Stoke City, vielleicht irgendeinem Kreisklasseclub aus irgendeinem Dorf, den wir heute alle noch nicht kennen. Für diesen Club wird Chelsea die Blaupause sein. Die Blues selbst werden längst vergessen sein.
Wie viel mehr schwarz-gelben Spaß machen drei Titel und ein CL-Finale, wenn man vor zehn Jahren pleite war? Wenn man Erfolg hat und dabei Schulden abbaut. Erfolg mit Stars, die man gemacht, nicht gekauft hat. Wenn man dabei ManCity zwei Lehrstunden erteilt. Schachtar Donezk ausschaltet. Wenn man dann die emotionale Krönung ausgerechnet gegen den andalusischen Scheichclub erlebt. Als selbst der kleine, fiese Mann aus dem ersten Absatz im Ohr Luftsprünge machte. Weil der Fußballgott ein Herz hatte. Weil er in die Körper des Felipe Santana und des Schiedsrichterassistenten gleichzeitig gefahren war. Weil er Gerechtigkeit walten lässt. Zwei Tore in der Nachspielzeit lassen jedes Stadion beben. Gegen jeden Gegner. Aber mal ehrlich: wenn man drüber nachdenkt, macht es nicht noch mehr Laune gegen ein petrodollargepämpertes Kunstprodukt?
Jeder Film braucht einen Bösewicht. Was wäre der dunkle Ritter ohne den Joker. James Bond ohne Dr. No. Der BVB wäre nur halb so schön, wäre Anschi Machatschkala nicht so hässlich. Den OSC Lille zu schlagen macht Spaß. Aber was ist das gegen ein Weiterkommen gegen PSG? Je mehr Geld die Oligarchien in kurzen Hosen investieren, desto mehr Spaß machen ihre Niederlagen. Feindbilder machen den Fußball aus. Nichts macht mehr Spaß, als Feindbilder zu schlagen, die larger than life sind. Ein Dortmunder mag einen Schalker nicht. Ein Löwe kann mit einer Rothose nichts anfangen. Ob der andere Geld hat oder nicht. Wenn Dortmund gegen Bayern gewinnt, siegen 60 Millionen Personaletat gegen 150 Millionen Personaletat. Macht dem neutralen Fan Spaß. Ist romantisch.
Aber einen Verein zu besiegen, der drei Schalker Jahresbudgets für einen einzigen Transfer ausgibt, ist ein Märchen. Erst dann holt man eine überlebensgroße Hexe von ihrem Besen. Warum guckt man sich im frühen August jedes Jahr die erste Pokalrunde an? Weil der Berliner AK Hoffenheim schlagen kann und schlägt. 4 zu 0! Vier! Zu! Null! Feierabendkicker gegen vermeintliche Euroleague-Aspiranten. Romantischer geht es nicht. Erst wenn die Zerstörer des Fußballs selbst, getarnt als Vereine, kommen, steht David gegen Goliath auf dem Programm. Was wären wir ohne dieses Narrativ?
Den Monacos und Chelseas dieser Welt sagen wir deshalb: verkürzt uns die Sommerpause mit Irrsinnstransfers. Ihr könnt Essien kaufen und Moutinho, Drogba und Falcao, David Luiz und Ricardo Carvalho, Eden Hazard und James Rodriguez, und wenn gar nichts mehr hilft Marco Marin. Diese kleine unebene Stelle im Stadion in Moskau, auf der John Terry ausgerutscht ist, nicht. Den Teamgeist schon gar nicht. Die nachhaltige Nachwuchsarbeit auch nicht.
Kauft soviel ihr wollt. Kauft euch den Rest Seele aus dem Leib. Kauft die portugiesische Liga leer. Pumpt Goliath auf doppelte Größe auf. Die Steinschleuder gibt es nicht zu kaufen. Ist not for sale. Je größer ihr seid, desto heller leuchtet der Kiesel im Gummi. Euer Geld ist unser Antrieb. Verhelft den Hinterbänklern von Real, Barca oder Bayern zu ihrem großen Zahltag. Ihr wollt Titel kaufen, wir erspielen sie. Nicht um sie euch wegzunehmen. Um es euch zu beweisen. Um es uns zu beweisen. Es gewinnt nicht immer der mit dem dicksten Geldbeutel, sondern der mit den dickeren cojones. Die Mannschaft mit dem besseren Geist, nicht die mit den besseren Einzelspielern. Fußball ist kein Geschäft. Nicht für den Moment und nicht auf Dauer. Es ist ein Spiel. Schweig, Mann im Ohr, schweig. Lass meinen Gaumen in Ruhe. Du bist geschlagen.'
http://www.spox.com/myspox/blogdetail/The-teams-you-love-to-hate,196471.htmlIch werde gar keine Kritik dazu äußern, weil er auch mit dem entsprechenden Verständnis zu lesen ist. Eben 'nicht ganz ernst'.