Es ist Mittwoch und ich nehme einen neuen Anlauf, Lothar Rausch vom FC Gütersloh zu verpflichten. Dieser Jugendspieler hat so viel Potential – ich muss ihn haben!
Damit er mir nicht wieder vor der Nase verschwinden kann, habe ich Erkundigungen eingeholt und seine Trainingszeiten in Erfahrung gebracht. Ich lauere ihm auf dem Trainingsplatz auf. Seine Eltern habe ich vor von Igor und Juri abholen lassen. Ich weiß, dass sie bei dieser Eskorte keine Mätzchen machen werden. Den Platzwart habe ich außerdem mit einem Hunderter und einer Flasche Jägermeister geschmiert, damit er uns Zugang zum Vereinsheim verschafft. Er erhält außerdem 1 % der Vertragssumme, wenn er Lothar Rausch zu mir lockt.
Da sitze ich nun und warte, als plötzlich die Tür aufgeht und der Platzwart Rausch in s Zimmer schubst. Er steckt noch kurz den Kopf durch die Tür, zwinkert linkisch und streckt den Daumen in die Höhe, dann kracht die Tür ins Schloß.
Rausch zuckt bei dem Knall zusammen und fährt herum. Ich erhebe mich langsam. Der junge Spieler wirft wieder den Kopf herum, eher einem gejagten und in die Enge getriebenen Tier gleich.
„Wer… wer bist Du?“ stottert er und blickt mich angsterfüllt an.
Ich hebe die rechte Hand, um Rausch zu begrüßen, aber der scheint das mißzuverstehen. Er wirbelt herum und reißt schützend die Arme vor das Gesicht.
„Neiiiiinn“, kreischt er, „ich habe die Äpfel wirklich nicht gestohlen, ich waaaaaaar’s nicht!!!“
Ich bin kurz versucht, in Gelächter auszubrechen, aber das könnte dieses scheue Rehchen wohl ebenfalls mißverstehen. Stattdessen bemühe ich mich um einer väterliche, großväterliche Stimme fast.
„Lothar. Ich tue Dir nichts. Ich bin Dein Freund.“
„Neiiiiin!!“
„Ich will Dir Gutes tun.“
„Geh weeeeeeg!“
„Habe keine Angst. Fürchte Dich nicht.“
„Dooooooooch.“
Mir wird’s zu bunt. Langsam. Meine Stimme wird fordernder.
„Lothar. Keine Panik.“
„Ich habe doch nichts gemacht, der Häns war das.“
„Häns interessiert mich nicht. Du interessierst mich.“
Lothar kreischt noch lauter. Ich sehe ein, dass das kein kluger Satz war. Aber meine Geduld ist beinahe am Ende.
„Lothar. Ist gut jetzt!“
„Ich will nach hauuuuuse!“
Und da reißt der Faden. Ich baue mich vor dem Jungen auf und donnere mit gandalfesquer Stimme in den Raum.
„Lothar Rausch! Du wirst auf der Stelle Deinen Arsch auf diesen Stuhl pflanzen, die Schnauze halten und mir zuhören, was ich zu sagen habe – JETZT!“
Rausch nimmt langsam die Arme vom Kopf und blickt mich furchtvoll an. Seine Unterlippe zittert. Ich zeige zackig mit dem Finger auf den Stuhl. Rausch folgt mit seinem Blick und bewegt sich langsam, sehr langsam, auf den Stuhl zu. Er behält mich dabei immer in den Augen, scheinbar in der Erwartung, ich könnte mich spontan entschließen, ihm den Kopf abzubeißen. Dann endlich, nach langen Sekunden der Bewegung, sitzt er. Ich nehme ebenfalls Platz. Ich entscheide mich, dass es wieder Zeit für die Vaterstimme ist.
„Lothar Rausch. Mir ist völlig egal, was Du hier in Deiner Freizeit machst oder nicht machst. Mein Name ist Henning Way und ich komme vom FC Remscheid. Hast Du von mir oder diesem Verein schon einmal gehört?“
Rausch nickt langsam. Er scheint sich ein wenig zu entspannen.
„Gut. Vielleicht hast Du auch davon gehört, dass ich sehr begeistert davon bin, wie gut Du Fußball spielen kannst?“
Wieder ein leichtes Nicken.
„Was machst Du denn so am liebsten, Lothar? Von allen Dingen, die Du Dir aussuchen kannst?“ frage ich so sanft wie möglich. Lothars Mine erhellt sich merklich.
„Fußball spielen!“
Ich muss lächeln. „Ja, das ist das größte, oder?“
Lothar nickt und lächelt jetzt auch.
„Und jetzt stelle Dir vor, Du kannst Fußball spielen, wann immer Du möchtest!“
„Das wäre toll!“
„Immer.“
„Jaa!“
„Und Geld bekommst Du auch noch dafür, ein wirklich gutes Taschengeld.“
„Ich will aber lieber Fußball spielen. Geld ist mir nicht wichtig, weißt Du.“
Ich lächele jetzt ebenfalls. „Ach, ja, da hast Du wirklich Recht. Aber ein kleines bißchen muss ich Dir schon geben.“
„Ja, aber können Sie das nicht Mama und Papa geben?“
Ich nicke.
„Natürlich, Lothar. Mama und Papa bekommen das Geld, was sie haben wollen. Und Du kannst Fußball spielen, wann immer Du willst.“
„Das ist ja toll!“
Das Handy piept. Juri hat eine SMS geschrieben, dass die Eltern jetzt da sind. Ich lächle Lothar wieder zu und beuge mich zum Dokumentenkoffer herunter, um einen Vertrag herauszuholen und einen Prospekt unseres Vereinsgeländes.
„Schau mal, Lothar, das hier sind unsere Fußballplätze. Rasen, Kunstrasen und eine Halle. Und da kannst rein, wann immer Du willst.“
Lother greift nach dem Prospekt und blickt rein. Seine Mine erhellt sich. Mir ist auf der Fahrt hierher aufgefallen, dass die Zustände des FC Gütersloh nicht die besten sind.
„Mensch – da sind ja gar keine Maulwurfshügel drauf!“ entfährt es dem Jungen. Er zeigt begeistert auf ein Foto, allerdings auf ein Foto des Kunstrasenplatzes. Ich nicke allerdings zustimmend.
„Ja, da geben wir Acht. Da kann sich sehr weh tun.“
„Ja, das ist meinem Freund Johannes passiert. Der hat sich den Fuß gebrochen!“
Ich blicke erschrocken. „Was?“
„Ja, der Johannes hat sehr geschrien. Ich glaube, das hat ihm sehr weh getan.“
„Ja“, mache ich mit besorgter Stimme. „Das kann ich mir vorstellen. Deshalb achten wir darauf, dass sowas bei uns nicht passiert. Geht es dem Johannes denn wieder gut?“
„Ja, er kann wieder laufen.“ Freut sich Lothar. Ich freue mich scheinbar mit. Was interessiert mich ein Kind namens Johannes. Der Furz hier soll endlich zur Sache kommen.
„Gut, Lothar. Ich habe hier einen Vertrag. Den müssen Deine Eltern unterzeichnen, weil Du das noch nicht darfst. Und Deine Eltern dürfen sich dann auch das Geld aussuchen, was sie von mir bekommen. Ist das was, was meinst Du?“
„Ich glaube, die wären total glücklich darüber“, strahlt Lothar.
„Und Du? Hast Du Lust, nach Remscheid zu kommen, um da zu spielen?“
„Ja, schon. Wie weit ist das denn von zuhause weg?“
Oh je. Schnell schüttle ich den Kopf.
„Ach, gar nicht weit. Du kannst ganz schnell hierher kommen, wenn Du Deine Freunde besuchen willst.“
„Ehrlich? Ich möchte nämlich meine Freunde nicht verlassen.“
„Ja, ehrlich. Hast Du ein Lieblingsauto, Lothar?“
Lothar überlegt kurz, dann strahlt er über das ganze Gesicht.
„Ja, das habe ich!“
„So? Welches ist das denn?“
„Der Vater vom Häns hat so einen, aber meine Eltern können sich den nicht leisten. Weißt Du, Häns' Papa hat eine eigene Firma und da kann er sowas kaufen.“
„Wow, toll.“ Langweilig. „Was ist das denn für ein Auto?“
„Ein VW Golf!“
Ich starre Lothar an. „Ein Golf?“
„Ja. Ein Golf GTI!“
„Toll“, sage ich langgezogen. „Und das ist Dein Lieblingsauto?“
„Ja!“
Was für ein banales Kind.
„Und was hältst Du davon, Lothar, wenn ich einfach Deinen Eltern so ein Auto kaufe? Ich schenke es ihnen!“
Lothar öffnet den Mund, sagt aber nichts. Dann blinzelt er.
„Das würden Sie tun?“
„Klar.“
„Oh…“
Ich lache und klatsche in die Hände.
„Lothar, ich glaube, mir machen das, oder? Deine Eltern unterschreiben den Vertrag und Du spielst dann für meinen Verein auf dem tollen Platz ohne Maulwürfe.“
„Ja, das will ich.“
Ich freue mich, ich hab’s geschafft.
In diesem Moment öffnet sich die Tür. Ich blicke entspannt hoch, da ich Juri gebeten habe, die Eltern herzubringen.
Durch die Tür kommt ein Mann im Trainingsanzug. Er ist sehr dick und um den roten, verschwitzten Hals baumelt eine Trillerpfeife. ‚Plastiktüten Bochanek‘ prangt auf der Trainingsjacke.
„Ah, Lothar, hier bist Du.“
„Hallo, Herr Trainer!“ freut sich Lothar. Er dreht sich um und zeigt auf mich.
„Das hier ist Herr Way, er möchte…“
„Lothar, erinnerst Du Dich, dass ich Dir versprochen habe, dass wir ins Phantasialand fahren, wenn Du den Jugendvertrag unterschreibst?“
Lothar blickt sich wieder um und schaut den Trainer an.
„Ja, Trainer. Aber der Park hat doch immer zu, wenn ich da hin will.“
„Aber heute hat er offen. Sollen wir hinfahren? Deine Eltern kommen mit. Und Johannes auch.“
„Und der Häns?“
„Und der Häns.“
„Oh jaaa, jaaa!“ Lothar springt auf, nimmt einen Filzstift und malt seinen Namen unter den Jugend-Vertrag, den der Dicke auf den Tisch hat gleiten lassen, gleich neben die Unterschriften seiner Eltern. Dann springt er freudestrahlend aus dem Zimmer. Auf dem Gang kann ich noch seine Freudenrufe hören: „Phantasialand! Phanatsialand!“
Dann ist Stille.
Ich sehe den Trainer entgeistert an, der mich mit einem spöttischen Blick bedenkt. Er nickt kurz und schnauft: „Herr Way. Sie finden alleine raus?“
Dann dreht er sich um und geht.
Einen Tag später bin ich wieder in Remscheid. Es hat einige Anstrengungen gekostet, der Versuchung zu widerstehen, die Eltern einfach zu kidnappen. Schließlich habe ich erfahren, dass Juri und Igor nicht besonders zimperlich waren. Einige tausend Euro haben den Schaden minimiert. Allerdings stelle ich fest, dass sich dieser kleine Scheisser namens Lothar Rausch zu einem Ärgernis entwickelt. Wenn er nur nicht so veranlagt wäre… allerdings weiß ich jetzt auch, dass er auf Freizeitparks steht. Vielleicht sollte ich meine ureigene Idee vom PharmacyFunPark® wieder aufleben lassen?
Es ist wieder etwas Pause und ich spiele ein Friendly. Gegen Eintracht Trier. Eine Woche später spielen die dann im Ligabetrieb gegen uns, das absolute Spitzenspiel.
Interessantes lese ich derweil vom Hannoveraner Norweger Henning Hauger, den ich irgendwann mal gescoutet habe, der aber damals nicht für uns in Frage zu kommen schien:
„Ich will weg aus Hannover. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass der Trainer vom FC Remscheid Henning Way an mir interessiert ist. Er möge sich bitte bei mir melden.“
Dann wollen wir das mal tun.
Das Friendly verläuft ausgeglichen. In der ersten Halbzeit lasse ich eine B-Elf im 3-5-2 antreten, die gut mithält und nach Eckball 1:0 in die Halbzeit geht. Ich stelle auf 4-2-3-1 um und bringe ein paar weitere Spieler, dennoch ist es noch keine A-Elf. Wie üblich in Freundschaftsspielen sieht ein Gegner die Rote Karte nach grobem Foulspiel. Am Ende darf auch Tobias Francisco noch mal ran und hat auch eine Chance. Schließlich endet das Spiel unspektakulär 2:0 für uns.
Trier-Manager Christian Hock erwähnt nach dem Spiel, er könne uns nicht richtig einschätzen, weil wir wohl gut spielen, aber irgendwie auch über das Limit gehen. Ich gebe zurück, dass er auch noch nicht automatisch aufgestiegen ist.