?? ? ?? // Entwicklungshilfe für Indien Indien...dieser asiatische Subkontinent hat mich eigentlich noch nie interessiert. Zu viele Menschen, zu wenig Zivilisation, zu viel Hektik, zu bunt, zu laut, zu quietschig - einfach zu indisch. Und als ich dann auch noch die Erfahrungsberichte meines besten Freundes las, der für 9 Monate in der indischen Provinz weilte, war mein Entschluss klar: Dort will ich
nie-mals hin, nicht mal unfreiwillig.
Tja, und da stehe ich nun im Cooperage Ground, mitten in der Metropole Mumbai. Stehe mitten auf dem Platz und um mich herum ein Haufen undiszipliniert durcheinanderquasselnder Inder. Ich verstehe kein Wort, dabei reden sie nicht mal Indisch, sondern Englisch. Wer einmal einen Inder hat Englisch sprechen hören, kann sich das in etwa vorstellen. Übertönt werden die Worte lediglich durch eine ewige Kakophonie aus Hupen, quietschenden Reifen und Sirenen. Willkommen in der Großstadthölle.
Ich drehe mich langsam im Kreis und versuche mir darüber klar zu werden, wie es dazu kommen konnte. Ich wollte nur vom Alltagsstress abschalten, einfach irgendwo hin fliegen und zwei, drei Wochen relaxen, bevor ich mich wieder um einen neuen Job kümmern würde. Als Entwicklungshelfer hat man es nie so richtig leicht, irgendwo Fuß zu fassen. Und so stand ich am Frankfurter Flughafen, studierte die Last-Minute-Angebote und entschied mich für Australien. Da war ich noch nie, da wollte ich schon immer mal hin und der Preis lag locker in meinem Budget. Zwischenstopps in Doha und Mumbai, aber was nimmt man nicht alles in Kauf. Meine relativ guten Geographiekenntnisse hätten meine inneren Alarmsirenen anspringen lassen sollen, aber ich dachte mir nicht viel dabei. Am Flughafen umsteigen, ist ja kein Ding. War es auch nicht, zumindest in Doha. Den halben Flug verschlafen, umgestiegen und mit Air India nach Mumbai. Der Flug war okay, die Stewardessen hatten so nette traditionelle Trachten an, und schon war ich in Mumbai. Beim Umstieg passierte es dann aber. Zwei indische Gorillas - nicht im natürlichen Sinne, sondern vom Phänotyp her - lotsten mich in einen schäbigen Nebenraum und befahlen mir drei mal in Folge in einem wirren Kauderwelsch, dort still sitzen zu bleiben. Verstanden habe ich das auch nur dadurch, dass die beiden mich immer grimmiger anstarrten, wenn ich mich bewegte.
Da saß ich nun, gefühlte 30 Minuten, und langsam fürchtete ich, meinen Anschlussflug zu verpassen. Auf einmal klopfte es und zwei Polizisten kamen herein, redeten auf mich ein - müßig zu erwähnen, dass ich nichts verstand - und führten mich ab in einen komfortableren Bereich des Flughafens. Nach einer weiteren Wartezeit von fast einer Stunde führte man mich in ein luxuriöses Büro und ließ mich allein. Ich schaute mich um - eine riesige glänzende Fensterfront, mahagonigetäfelte Wände, die Tür schalldicht, mitten im Raum ein gigantischer Konferenztisch... Ich kam mir fehl am Platze vor und fühlte mich unsicher.
Plötzlich ertönte zu meiner rechten eine Stimme
"Gudd evenning Mr Smith, I verry sorry for treatment of you, but necessary. Now my interpreter you tell what happens."Stille. Ich sah auch niemanden. Dann erschien ein monströs großer Flachbildschirm an der Wand - keine Ahnung, wo der herkam, gekostet hatte der aber sicherlich mehr, als ich in meinem ganzen Leben verdient habe - und auf dem Bildschirm, gestochen scharf, ein junger Mann im dunkelblauen Anzug.
"Hallo Herr Schmitt, entschuldigen Sie die Umstände." Es scheint also doch Inder zu geben, die sich normal ausdrücken können...na mal sehen, was der will. Ich weiß ja noch immer nichts, und meine Geduld kennt auch ihre Grenzen.
"Es gibt ein Problem mit Ihrem Reisepass. Sie dürften gar nicht hier in Indien sein. Es fehlen Stempel hier" - auf wundersame Weise zeigte er meinen Reisepass ins Bild -
"und hier und hier und dort...ah, und dort." Verdammte deutsche Bürokratie! Geschlagene fünf Stunden habe ich für die Visa auf dem Amt verbracht und jetzt das...
"Wie gesagt, Sie dürften nicht hier sein. Aber mein Chef würde sich gnädig zeigen und alles in seiner Macht stehende tun, das Problem zu lösen." Ich wartete auf den Haken. Und der kam.
"Aber er tut nichts ohne Gegenleistung. Das verstehen Sie doch sicherlich." Klar doch. Nichts leichter als das, einem Typen einen Gefallen zu tun, dem offensichtlich der ganze Flughafen und was-weiß-ich-noch gehört.
"Sie sind doch Entwicklungshelfer. Mein Chef möchte, dass Sie Entwicklungshilfe leisten." Ich? In Indien? Pah, niemals!
"Ihm gehört ein Fußballclub in der I.-League, das ist" -
"die höchste indische Liga, ich weiß. Aber hier spielt doch eigentlich jeder nur Kricket", erwiderte ich.
"Eben. Mein Chef will, dass dem Fußball mehr Aufmerksamkeit zukommt. Und dafür will er einen Manager, der aus einem Land kommt, wo Fußball groß geschrieben wird."Diverse Gedanken durchflogen meinen Kopf. Manager? Ich? Warum nicht Lothar Matthäus oder Jürgen Klinsmann oder sonstwer? Warum nicht die? Wieso ich? Und Fußball in Indien? Das klappt doch nie. Doch nach zwei, drei Sekunden änderte ich meine Meinung. Die zweitgrößte Bevölkerung der Welt, da müsste sich doch was machen lassen. Und wenn der Typ so dumm ist, mich für so eine vertrauensvolle Aufgabe auszuwählen, dann bitte. Geld wird er schon haben, Geld regiert die Welt und damit könnte sogar ich, der eher passiv Fußball gelebt hat - Zuschauen, Statistiken studieren und so -, irgendetwas reißen. Und Spaß macht es bestimmt, mit motivierten Spielern in einem hochmodernen Trainingszentrum zusammenzuarbeiten.
An mehr erinnere ich mich nicht, denn der Rest meines Wunschdenkens - ich habe die Aufgabe wohl angenommen, anders konnte ich mir nicht erklären, jetzt auf diesem Platz zu stehen. Mit einem Vertrag über 12.250 € pro Jahr in der Tasche, gültig für 2 Jahre. Immerhin, besser als nichts, und in Deutschland hielt mich ja auch nichts. Und dann war da noch die Sache mit dem Visum, ich war dem Typen wohl was schuldig. Jedenfalls holte mich dann die Realität aus meinen Träumen. Wahr ist, dass mein neuer Arbeitgeber einflussreich ist, und zwar richtig. Letztlich gehört der Club Ratan Tata, dem Vorsitzenden der Tata Group. Wie viele Ebenen zwischen ihm und mir stehen, will ich gar nicht wissen, zumindest hat der Mann Geld. Aber das hat er wohl noch nie in dieses "Stadion" gesteckt, geschweige denn in fußballerisch kompetentes Personal. Ich glaube, ich bin hier ziemlich geleimt worden. Ein paar Tage Stress mit indischen Zollbehörden wären ein Einfaches gewesen im Vergleich mit dieser - untertrieben gesagt - Herkulesaufgabe.
Aber ich bin ja Grundoptimist. Irgendetwas werden wir schon hinbekommen mit dem
Air India FC. Die anderen indischen Clubs kochen ja auch nur mit Wasser. Nur das unseres wohl ein wenig abgestandener ist. Aber Entwicklungshilfe war noch nie einfach, und wenn ich mich dann in ein paar Wochen mit etwas mehr Geld in der Tasche unauffällig aus Indien wieder absetzen könnte, wäre es nur ein kleines Abenteuer geworden...