So wechselte ich auf den Fahrersitz, steckte meinen iPod in die vorgesehene Halterung und schon beschalte mich „Who cares“ von meiner Lieblingssängerin Anouk. Nachdem auch das letzte Lied der acht Studioalben von Anouk verklungen war, näherten wir uns Calais. Ein Blick auf meinen Bruder und ich grinste ihn an. Dann sagte ich „Comment ça va? Est-ce que tu as bien dormi?” Wenn Blicke töten könnten. „Ich habe das Ziel bereits ins Navi eingegeben, bring uns einfach dort hin und verschon' mich mit deinem Schulfranzösisch, das du doch nicht mehr beherrscht. Und weil wir gerade so viel reden, hör‘ dir endlich was anderes an. Die ist doch echt nicht zum Aushalten.“Sei es drum „Killer bee“ war sowieso gerade das letzte Lied dieser Playliste. „Dann nimm doch meinen iPod und geh auf die Liste 2010, vielleicht sagt dir diese mehr zu.“ Er tat wie geheißen und so vernahmen wir an diesem doch sonnigen Autofahrtag „California gurls“.
Der „Spaß“ der Reise war noch nicht vorbei, als mein Bruder die Karten für die Überfahrt nach Dover besorgt hatte. Beim Gedanken an Fish & Chips kam mir das Kotzen. Warum hatte ich mich nicht mehr gewehrt, als er mich aus meiner Wohnung zerrte? Eine Frage, die ich nie mehr werde beantworten können. So ergab ich mich erneut meinem Schicksal als wir um 21 Uhr 55 die Fähre in Richtung Dover nahmen. Als wir dann endlich in Dover ankamen, hatte ich bereits enormen Hunger, da wir den lieben langen Tag nichts gegessen hatten. Am Hafen besorgten wir uns tatsächlich Fish & Chips und ich musste beinahe wirklich vom Essig kotzen. Damit war wohl der Englandaufenthalt gleich für mich versch… .
Was man so in England dank meines Bruders alles erleben durfte, erinnerte mich an ein Buch, das ich vor kurzem gelesen hatte. Darin hatte ein Paar sogar eine schmuddelige Toilette in Minneapolis besucht, wo angeblich eine berühmte Persönlichkeit seine Karriere beendet hatte. Wie viele einsame Küstenstädte kann man denn vertragen? Und überall dieser Gestank nach Fisch. Außer der Metropole London hatte ich nicht wirklich viel Sehenswertes zu Gesicht bekommen. Am 10. Tag unserer Reise näherten wir uns einer größeren Stadt im Südwesten von England. Mein Bruder war absolut begeistert von dieser Stadt. Hatte er mir doch in den letzten Stunden auf der Hinfahrt zu diesem Ort die Ohren vollgequasselt. Während er von einer Kathedrale faselte, sah ich einen Sport. Endlich etwas das mich interessierte. Da ich mir die Kathedrale nicht ansehen wollte, ließ er mich raus. So sah ich mein erstes Rugbyspiel. Das Spiel war interessant zu verfolgen, aber Fußball ist es nicht. Ich erkundigte mich nach dem örtlichen Verein. Sie meinten es spiele zurzeit nur ein Verein in dieser Stadt und zwar auf einem Trainingsplatz. Ich könne die Swans auf ihrem Platz der Wisloe Road besuchen. Qualität solle ich mir jedoch nicht erwarten, da diese bislang höchstens in der Hellenic League gespielt hätten. Hellenic League? Hatte ich noch nie gehört. Wahrscheinlich irgendeine Dorfmeisterschaft.
Nach dem Spiel der örtlichen Rugbymannschaft holte mich mein Bruder ab. Und wir gingen essen. Natürlich gab es wieder Fish & Chips. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Fand diese jedoch immer noch zum Kotzen. „Wie war die Kathedrale?“ „Wunderschön. Eine unglaubliche Fassade.“ Ja, klar Fassaden interessieren mich ja so toll. Aber da er Bautechniker ist, konnte ich sein Interesse zumindest nachvollziehen. „Was hast du gesagt?“ „Wir könnten uns morgen weitere Sehenswürdigkeiten dieser Stadt ansehen.“ „Nur wenn ich mal endlich wieder ein richtiges Fußballspiel sehen kann. Wir sollten dazu wohl die Wisloe Road besuchen.“ „Fängst du schon wieder von dem Spiel an, wo 22 Verrückte hinter einem Ball herlaufen und vornehmlich Blinde gegen Lahme spielen?“ Vielleicht hatte er in Bezug auf die Hellenic League nicht einmal so Unrecht. „CL Niveau haben die sicher nicht, aber es könnte ganz interessant sein.“ „Na gut, ist immerhin dein erster Vorschlag auf unserer Reise.“
Gesagt getan. Am nächsten Tag ging es auf die Suche nach der Wisloe Road. Dort angekommen erinnerte mich die Baustelle in der mein Lieblingsverein aktuell spielen musste an ein Schmuckkästchen. Kaum gestutzter Rasen und sonst die eine oder andere Unannehmlichkeit. Als eine männliche Person dort vorbei ging, erkundigte ich mich nach dem örtlichen Fußballverein. Mit Mühe und Not vernahm ich, dass der Slimbridge F.C. hier nicht seinen Meisterschaftsbetrieb abhalte. Auf meine Frage, wo denn der örtliche ansässige Verein spiele, verwies er mich auf den Meadow Park. Sofern ich ihn richtig verstanden hatte. Nach zwei Stunden hatten wir den so genannten Meadow Park gefunden. War ich zuvor schockiert, war ich es nun noch mehr. Hier sah es quasi aus als hätte eine Bombe eingeschlagen. Mein Bruder freute sich jedoch wie ein kleines Kind, denn er konnte eine Baustelle besuchen. Einer Baustelle auf der zumindest aktuell kein Baubetrieb zu erkennen war. So begab er sich in die Hölle dieser Baustelle und ward zwei Stunden nicht mehr gesehen, während ich mich am Rand des ehemaligen Sportplatzes herumtrieb.
Langeweile, Langeweile und nochmals Langeweile. Das sind die Attribute mit denen man die Wartezeit auf meinen Bruder beschreiben kann. Zumindest eine Person ging an diesem Tag an dem ehemaligen Fußballplatz vorbei. „In zwei oder drei Jahren steht hier das neue Stadion.“ Der spinnt, das geht sich nie aus. „Sind Sie sich sicher?“ „Ja, mein junger Mann. Hier wird der neue Meadow Park errichtet.“ „Freut mich für Slimbridge F.C., dass die hier so ein Stadion erhalten.“ „Nein, nein. Der Slimbridge F.C. erhält hier kein Stadion. Es ist der Gloucester City A.F.C., der hier sein zu Hause hat.“ Damit hatten der Herr und ich eine gute Gesprächsbasis gefunden, während mein Bruder auf der Baustelle herumkletterte. Am Ende erzählte er mir, dass Gloucester City zwischen 1939 und 2009 in der Southern Football League gespielt habe und danach erstmals den Aufstieg geschafft hatte. Leider seien sie nicht in die Blue Square Bet South eingeteilt worden, sondern in die Blue Square Bet North. Zudem habe die Überschwemmung von 2007 dafür gesorgt, dass Gloucester City seit diesem Zeitpunkt nicht mehr in Gloucester, sondern beim Erzrivalen Cheltenham die Heimspiele ausüben müsse. Ein Wort ergab letztlich das Andere. Wir Beide waren auf der Suche. Er nach einem Trainer für seinen Verein, da sich herausstellte, dass er der Präsident war. Ich nach einem Job. So fand die Überraschungsreise mit meinem Bruder ein Happy End, die ich mit den Worten „I’ll be back.“ gegenüber meinem Bruder ankündigte. Am Abend feierten wir gemütlich, während im Hintergrund des Pubs „The final countdown“ aus dem Radio plärrte.