Ja, Misstrauen gegenüber den Grünen ist sogar mehr als angebracht. Auch da lohnt sich wieder ein Blick nach Hamburg, wo mit der Machtübernahme alle möglichen umweltpolitischen Wahlkampfthemen (Elberweiterung, Kohlekraftwerkbau) über Bord geworfen wurden.
Im Prinzip ist keine Partei großartig vertrauenswert. Ich würde sogar sagen, dass man bei der FDP eher weiß, was man zu erwarten hat, als bei den Linken. Denn diese bekleckern sich hier in Berlin auch nicht mit Ruhm, von ein paar guten Änderungen abgesehen (kostenfreie Kitaplätze, Erkennungsnummertragepflicht für Polizeibeamte).
Ich führe das jetzt mal etwas länger aus, wem es zu lang ist, der möge es nicht lesen, es hat auch nur am Rand mit Stuttgart 21 zu tun, ist aber Bestandteil einer Essay-Veröffentlichung von mir in ein paar Monaten. Unkürzend zusammenfassen kann ich es leider nicht.
Im Prinzip unterliegen die Parteien alle demselben Spiel. Das mag altbacken, verschwörerisch und populistisch klingen, aber sie sind dem Wohl und Wehe des Kapitals ausgeliefert. Man muss kein Marxist sein, um Marx zu lesen und man muss auch nicht seine durchaus streitbaren Schlussfolgerungen gutheißen, aber seine Analyse des Systems ist bis heute unwidersprochen. Ich will das in Bezug auf die Parteienlandschaft nicht im Detail ausführen, aber jedem dürfte klar sein, dass in einem kapitalistischen System Privatbetriebe Geld erwirtschaften und etwas von dem Gewinn abgeben. Ein Teil geht davon an die Arbeiter, die wiederum konsumieren die von den Betrieben hergestellten Waren und somit entsteht ein Wirtschaftskreislauf. In der sozialen Marktwirtschaft greift der Staat als eine Art Mittler ein, er schafft Regeln und Grenzen, die den Markt unter Kontrolle bringen, was bitter nötig ist. Die Parteien haben alle ihre eigenen Vorstellungen, wie diese Regeln aussehen sollen.
Man muss aber verstehen, dass die Parteien eben nur die Regeln ändern können, die Abhängigkeit von der Wirtschaft können sie nicht durchbrechen, denn das Volk ist nunmal darauf angewiesen, von Kapitalunternehmen an Gewinnen beteiligt zu werden. Dieser sehr starken Abhängigkeit von Politik zu Wirtschaft steht eine Abhängigkeit von Wirtschaft zu Politik gegenüber, die wesentlich schwächer ist. Wirtschaftsunternehmen sind auf Arbeitskräfte angewiesen, auf deren Bildung und Arbeitsfähigkeit, die durch Zufriedenheit und Gesundheit bestimmt wird. Diese Abhängigkeit geht in den letzten Jahrzehnten durch die fortschreitende Automatisierung und vor allem durch die Globalisierung immer weiter zurück. In einer globalisierten Welt, ist die Arbeitskraft kein teures Gut mehr, weil sie immer leichter ersetzbar wird. Das Abnehmen dieser bipolaren Abhängigkeit von Politik und Wirtschaft hin zu einer fast totalen Abhängigkeit der Politik von der Wirtschaft ist eine sehr bedauernswerte Entwicklung, die ironischerweise von der Politik noch vorangetrieben wird, weil viele Politiker in Form von Kapitalbeteiligungen dazu gelockt werden können, mehr im Sinne der Wirtschaft zu handeln.
Was daraus enttsteht sieht man jetzt in Stuttgart, aber eben nicht nur da. Die Politik ist geradezu machtlos. Sicherlich gibt es einige in der CDU, die gerne wiedergewählt werden möchten bei den nächsten Landtags- und Kommunalwahlen, es gibt sicherlich einige, die dem Willen eines Großteils der Bevölkerung entsprechen wollen, aber der Bürger, also die Arbeitskraft, ist kein starkes Argument mehr im Kräfteziehen von Politik und Wirtschaft. ich behaupte einfach mal, dass das nicht an der grundsätzlichen Ausrichtung von CDU und FDP liegt, sondern dass auch eine von den Linken geführte Regierung sich in genau der gleichen Situation und Vorgehensweise wiederfinden würde. Es ist ja nicht nur die Bahn und diejenigen, die sich von einem Börsengang des Unternehmens unheimliche Profite versprechen, die dort Druck machen, es sind auch die lockenden Immobilienverträge von Betrieben, Dienstleistern und anderen Kapitalunternehmen, die die eigentlichen Argumente für Stuttgart 21 sind. Und diese Kapitalunternehmen, die allesamt von Stuttgart 21 profitieren, haben die Politik mittlerweile fest in der Hand. Das Land BaWü würde es nicht viel kosten, das Projekt abzusagen, die Bahn selbst auch nicht. Maximal 1 Milliarde steht da im Raum, das ist immernoch besser als die erwarteten 14 Milliarden für den kompletten Bau. Aber die Verluste, die den Unternehmen, die dort die Bauarbeiten führen wollen, die sich in den neu zur Verfügung stehenden Grundstücken in Stuttgart günstig Immobilien kaufen wollen und die Bahn selbst, die ihren Börsenwert durch solch ein Projekt erheblich steigert, diese zu erwartenden Verluste, die entstehen, wenn die Party nicht stattfindet, die sind für einige so hoch, dass sie die Politik gehörig unter Druck setzen. Und da wird die Politik zum Spielball, egal ob wirtschaftsnah oder links. Man kann Stuttgart 21 vermutlich wirklich nicht mehr aufhalten, sonst quittieren das die sich betrogen fühlenden Unternehmen damit, sich in anderen Ländern anzusiedeln, in Deutschland gehen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren und das wäre auch keine schöne Alternative.
Das ist im Prinzip das System, das hinter Stuttgart 21, aber noch ganz vielen anderen Prozessen steht. Beispielsweise die Elberweiterung in Hamburg ist auch so ein Ding. Die Grünen haben dem Projekt bestimmt nicht nur aus Machtgeilheit zugestimmt, sondern weil es eh unvermeidbar im Hinblick auf die Macht der Wirtschaft ist.
In diesem Zusammenhang muss man sich dann die Frage stellen, inwiefern die Demokratie überhaupt zeitgemäß ist. Es gibt ein "schönes" Wort, was den Zustand des politischen Systems relativ gut beschreibt: "
Demokratur". Also ein Kofferwort aus Demokratie und Diktatur. Und in der Tat kann man durchaus zu diesem Schluss kommen. Die Politik wird immer mehr von der Wirtschaft angezogen, das ist die magnetische Kraft der Macht. Dadurch entfernt sie sich aber immer mehr vom Volk, dessen Interessen sie eigentlich gegenüber der Wirtschaft und dem Kapital vertreten sollte. Die einen Parteien tun dies schneller, die anderen langsamer. Aber dass es diesen Trend wirklich gibt, zeigen vergleiche der Wahlprogramme. Was heute der Linkspartei als demagogischer und populistischer Blödsinn vorgeworfen wird, damit ist Schröder 1998 an die Macht gekommen. Und es gleicht dem Wahlprogramm der CDU, um Helmut Schmidt zu stürzen sehr stark. Was heute als extrem linke Wirtschaftsmeinung gilt, war vor 20 Jahren noch die gesellschaftliche Mitte.Das hat z.T. natürlich auch mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Sozialismus zu tun, der kommunistische Tendenzen aufwies (bei der DDR von Kommunismus zu sprechen ist schlichtweg extrem oberflächig, bei der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken wird der Begriff "Kommunismus" ebenfalls der Sache nicht gerecht). Woran es letztendlich genau liegt, ist vermutlich gar nicht so wichtig, wichtig ist, wie man mit dem neuen System umgeht.
Anhänger des Kapitalismus würden sagen, dass die Entfremdung von Politik und den Menschen, also den Produktionskräften und Arbeitern, aufhören muss, damit das System weiterläuft.
Anhänger alternativer Wirtschaftssysteme würden sagen, dass die Entfremdung von Politik und den Menschen weitergehen muss, damit in der größer werdenden Lücke ein Vakuum entsteht, in das das neue System hineinschlüpfen kann. Ich bin grundsätzlich ein Anhänger alternativer Wirtschaftssysteme schon alleine, weil ich die "Logik" des Kapitalismus ablehne, aber die Erfahrung aus der Geschichte zeigt einfach, dass alle Systeme, die in die Lücke zwischen Menschen und Kapital geschlüpft sind, genauso menschenverachtend waren, wie der Kapitalismus. Sie waren es eben nur auf eine andere Art, meistens repressiv, diktatorisch und militaristisch. Mark Twain hat mal gesagt, die Evolution des menschlichen Körpers geht sehr viel schneller als die Evolution des menschlichen Geistes. Vertraut man ihm, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Menschen am Anfang des letzten Jahrhunderts erst zahlreiche Chancen hatten, den Kapitalismus zu ersetzen und letztendlich daran gescheitert sind. Das kann man auf die egoistische/egozentrische Prägung des Menschen zurückführen und kommt zu dem Schluss, dass nur ein noch mehr auf Egoismus ausgerichtetes System, als der Kapitalismus, diesen ersetzen kann. Oscar Wilde und Nietzsche, also 2 Männer, von denen man das nicht erwartet hätte, haben das mal durchdacht. In dem Zusammenhang kann ich Oscar Wildes Buch "Die Seele des Menschen im Sozialismus" allerwärmsten empfehlen. In dem Buch geht es gar nicht um Sozialismus, sondern um Individualismus, der als das beste auf den Menschen ausgerichtete System dargestellt wird. Nietzsche geht sehr ähnliche Wege und kommt zu einem anarcho-individualistischen System. Also eine Form der Anarchie, die übrigens bei weitem ausgefeilter, durchdachter und sinnvoller ist, als ihr Ruf.
Wenn man Anhänger des Kapitalismus ist (oder zumindest Gegner von experimentellen Alternativen) und
nicht gleich Lust auf die ganz große Revolution hat, der sollte sich in der Tat in Stuttgart auf die Straße stellen und "Wir sind das Volk!" rufen, so lange und mit solch einem Nachdruck, dass es bei den Politikern ankommt, damit die zunehmende Distanzierung vom Volk ein baldiges Ende nimmt.
Aber daran glaube ich nicht mehr, die zunehmende Alternativlosigkeit bei Wahlen (deren Ursache ich ja oben beschrieben habe) ist ein Grund. Ein zweiter ist der Druck des Wachstums des Kapitals. Die Wirtschaft muss immer wachsen, alles muss expandieren, die Gewinne müssen steigen, die prozentuale Steigerung muss noch gesteigert werden...es gibt kein Wachstum ohne Degeneration. Das ist das Urgesetz des Universums, der Energiererhaltungssatz, wenn man so will. Wo Gewinner sind, sind Verlierer, wo Gewinne sind, sind Verluste, wenn an einem Ort der Reichtum steigt, dann fällt er an einem anderen. Die einzige Ausnahme der Wechselseitigkeit sind Zinsen. Wo Banken Gewinne durch Zinsen machen, machen Unternehmen und Staaten Verlust durch eben jene und dieser Verlust ist exponentiell, das haben Zinsen an sich.
Schulde ich der Bank heute einen Euro, sind es morgen wegen der Zinsen 1,02€. Am nächsten Tag werden die Zinsen auf die 1,02€ erhoben usw. Das führt zu einer Exponentialfunktion.
Das heißt hier erfolgt eine künstliche Wertsteigerung von etwas, das gar nicht Vorhanden ist, denn der entstandenen Gewinn durch Zinsen ist eine Wertschöpfung, die aus dem Nichts entstanden ist. Es wurde nichts produziert, kein Produkt veredelt, verarbeitet oder sonst etwas, mit dem Wirken von Zeit hat man aus Geld noch mehr Geld gemacht. Aber das führt jetzt zu weit. Jedenfalls hat diese ganze Welt einen unheimlichen Reiz.
So nun habe ich viel geschrieben, wenig zu dem eigentlichen Thema, deshalb kann man diesen Beitrag in der Diskussion hier gerne ignorieren. Aber ich lese selber gerne die Gedanken von anderen Menschen zu diesem Gesamtthema und vielleicht geht es hier dem ein oder anderen auch so. Das was ich schreibe muss keiner genauso sehen, es wird vermutlich sogar so sein, dass die meisten andere Erfahrungen und Beobachtungen gemacht haben und über einige Dinge anders denken. Aber das hier ist sozusagen mein Wort zum Sonntag