Sonntag, 1.Juni
BudapestNur zwei Wochen nach der Diskussionsrunde in Wien, traf ich Tibor Nyilasi wieder. Diesmal in Budapest, wohin ich seiner Einladung gefolgt war. Ein Wochenende in der schönen Stadt an der Donau und ein wenig Sightseeing – klar das ich darunter nicht nur Palast und Heldenplatz verstehe. Denn am Nachmittag spielte Nyilasis Verein, Ferencváros TC, gegen die 2.Mannschaft von Debrecen in der Nemzeti Bajnokság II, der 2.Nationalen Liga Ungarns.
Die Grün-Weißen, gemeinhin als Fradi bezeichnet und mit 28 Titeln Rekordmeister in Ungarn, wurden 2006 wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten aus der 1.Liga ausgeschlossen. Im ersten Jahr scheiterte man am letzten Spieltag, doch in dieser Saison war der Aufstieg bereits anfang Mai perfekt. Ärgster Verfolger war der heutige Gegner, doch das Selbstverständnis von Ferencváros ist ein anderes. Vielmehr will man so schnell wie möglich die 1.Mannschaft von Debrecen wieder vom Thron stoßen. Denn das Team aus dem Osten Ungarns hat mit 4 Double-Siegen in den letzten 5 Jahren die dominante Rolle im ungarischen Fussball übernommen.
Das Albert-Florian Stadion war an diesem Nachmittag gut gefüllt, die Fans freuten sich auf eine große Aufstiegsparty nach dem
letzten Heimspiel der Saison. Doch die Gäste von Debrecen hatten da zunächst etwas dagegen, als der junge Brasilianer Galvao Leal Vinicius in der 36. Minute mit einem wunderbar vorbereiteten Flachschuss ins rechte Eck zur Führung traf. Aber Ferencváros zeigte auch an diesem Nachmittag das sie zu stark für diese Klasse sind, als Ferenczi István noch vor der Pause per Kopf ausglich und in der 50.Minute durch einen Handelfmeter den Führungstreffer erzielte.
Für mich als neutralen Zuschauer war das Spiel nicht besonders aufregend, doch da es mein erstes Spiel im ungarischen Fussball war, dem ich beiwohnen durfte, werde ich das auch nicht so schnell vergessen. Kurz vor dem Spielende, wurde Dramane Kamate durch einen herrlichen Steilpass freigespielt und setzte mit dem 3:1 den Schlusspunkt. Die Szenen aber, die darauf folgten, gaben mir einen ersten Eindruck, wie die Fans hier ihr Team unterstützen. Das man nach dem letzten Heimspiel Teile vom Rasen und Spielertrikots ergattern will, kann ich durchaus noch verstehen. Mit welcher Geschwindigkeit und
Einsatz die Frans von Fradi aber vorgingen, hat mich schon erschreckt.
Doch für Tibor Nyilasi, der als früherer Stürmerstar im Verein und Nationalmannschaft noch heute viele Hände zu schütteln hat, war dieser Tag ein großes Fest. Diesmal erlebte ich ihn nicht als kompetenten Fussballfachmann, vielmehr zeigte sich ganz der Fradi-Fan, der er wohl immer sein wird. Mit der Ausnahme vielleicht, das er nicht über den Zaun kletterte um ein Stück vom Tornetz zu bekommen...
Durch seine offen Art und dem Status des früheren Torjägers, konnte er mich aber auch mit vielen Persönlichkeiten bekannt machen. So wurde ich auf der später stattfindenden Feier vom Mannschaftskapitän bis zum Vereinvorsitzenden fast allen vorgestellt, die bei Fradi was zu sagen haben oder auch nur annehmen wichtig zu sein. Am besten konnte ich mich allerdings mit Kevin McCabe verständigen – zwischen mir und dem Engländer gab es logischerweise am wenigsten Sprachhürden. McCabe hat Ferencváros 2008 übernommen, aber schon vorher bei seinem Heimatverein Sheffield United lange Jahre als Vorsitzender im Fussballgeschäft mitgewirkt. Neben Ferencváros gehört auch ein chinesicher Verein, sowie die Central Coast Mariners in Australien zu seinem „Portfolio“. Die Zusammenarbeit zwischen den Vereinen, besonders im Falle Ferencváros und Sheffield, bringt allen Seiten Vorteile. Das Trainerteam der Grün-Weißen bspw. wird mittlerweile von Bobby Davison angeführt. Außerdem würde ich behaupten das in keinem anderen europäischen Verein so viele Engländer im Kader stehen. Der frühere Blades Spieler Paul Shaw ist zudem der beste Torjäger.
Mit Kevin McCabe unterhielt ich mich dann ausführlich über die Situation im ungarischen Fussball und wie es zu seinem Einstieg bei Ferencváros kam. Zwar ist er seit Jahren bemüht Sheffield United wieder zu einem englischen Spitzenklub zu formen, doch unter den dortigen Umständen ist das natürlich ein sehr schwieriges Unterfangen. In Ungarn dagegen, reicht es schon mit einigen Millionen pro Saison ein starkes Team aufzustellen und man kann innerhalb von 2 Jahren die Championsleague erreichen. Wie realistisich die Umsetzung der Theorie ist, wollte ich ihn aber nicht fragen. Für McCabe war es aber ein langer Anlauf überhaupt erstmal den Verein übernehmen zu können. Insgesamt hat er 6 Versuche gebraucht, bis seinem Antrag endlich zugestimmt wurde. Im Frühjahr 2008 war das zudem ein sehr günstiger Zeitpunkt, denn Ferencváros war zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte zweitklassig und von früheren Meisterschaften in Serie weit entfernt. Nun, da man im dritten Anlauf die Rückkehr in die 1.Nationale Liga geschafft hat, beginnt für McCabe der zweite Teil seines Plans. Und dabei geht es natürlich um die Meisterschaft und die Championsleague für die man sich 1995 bereits qualifizieren konnte. Ein weiterer wichtiger Baustein in McCabes Plänen ist das Stadion. Allgemein ist der Zustand der Fussball-Infrastruktur bei Ungarns Profivereinen sehr schlecht. Kein Wunder das eine Bewerbung Ungarns für Europameisterschaften zuletzt chancenlos war. Aber es tut sich mittlerweile etwas. Das Albert-Flórián Stadion wurde bereits renoviert und bietet aktuell 18.000 Fans Platz. Ein weiterer Ausbau auf 25.000 soll 2012 fertig gestellt werden. Daneben wird auch das Gelände drum herum und weitere Trainingsplätze von McCabe aufwendig neugestaltet. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Aufbau einer Jugendakademie nach internationalen Maßstab, damit wieder vermehrt gute junge Spieler in die 1.Mannschaft aufrücken.
Als ich ihn danach frage, warum gerade Ungarn, warum Ferencváros, holt er kurz Luft und erklärt mir dann:
„Wenn man die Chance hat Manchester United für 30 Mio $ zu kaufen, wer würde da nicht zu greifen? Nun, Ferencváros ist das Man Utd von Ungarn, mit einem riesigen Fanpotential und einer großartigen Geschichte und jeder Menge Trophäen. Die Möglichkeit die sich uns hier bot, war einmalig und das Risiko um wieder erfolgreich zu sein, ist relativ niedrig. Ich bin kein Fussballnostalgiker, aber ich verstehe den Stellenwert des Vereins in diesem Land. Es gibt wohl keinen anderen Verein in Ungarn der mehr Emotionen hervorruft als Fradi. Was aus Marketinggründen auch nicht unwichtig ist...“Nein, ein Romantiker ist dieser McCabe sicher nicht, vielmehr jemand der Fussballleidenschaft und Unternehmertum geschickt zu verbinden weiß.
Als ich sehr viel später die Feier verließ und mich von Tibor Nyilasi verabschieden wollte, war der immer noch in absoluter Jubelstimmung und feierte ausgelassenen mit allen anderen zusammen. Es sollte einige Zeit vergehen bis wir uns, unter gänzlich anderen Umständen, wiedersehen würden...